Am Altdorfer Bahnhof wollte die Urner Gastronomin, Tätowiererin und Mutter Melanie Schillig ihren Ausflug ins Tessin fast abblasen: Nach 40 Minuten im engen Zug erlebte sie dann einen frühlingshaften Tag.
Wetterprognose Norden: bewölkt, leichter Regen, 3 °C – Prognose Süden: Sonne, 16 °C. Die Bedingungen schienen perfekt. Der Zug um 10.08 Uhr versprach mit einer tiefen Belegung in 40 Minuten durch den Neat-Tunnel nach Lugano zu flitzen. Herrlich, oder? 40 Minuten gemütlich durch die Tiefen der Bergwelt gondeln und dann: Frühling, wir kommen! Der Plan schien perfekt. So staunten wir nicht schlecht, als wir am Altdorfer Bahnhof die Menschenmenge sahen, welche wohl genau dieselbe Idee hatte. Egal, der Zug soll ja irre lang sein.
Kaum gedacht, rauschte er bereits heran, und siehe da, in jedem Waggon standen bereits Menschen in den Gängen, bereit, sich ins Altdorfer Leben zu stürzen. Doch da hatten wir uns wohl getäuscht. Niemand machte Anstalten, auszusteigen. Lange Gesichter unsererseits. Empörte Gesichter ihrerseits, als sich im Altdorfer Bahnhof nochmals eine Riesen-Meute in den Zug drängte. Ein kurzer Flucht- und Rückzugsgedanke meinerseits verdrängte ich gekonnt. So setzten wir uns mitten im Waggon auf den mässig sauberen Boden. Tja, flexibel bleiben, oder? Glücklicherweise hatten wir nicht auch noch das heiss geliebte Laufrad unserer Tochter im Schlepptau. Diese fand das ganze Spektakel übrigens sehr toll. Turnübungen an den Halterungen der Sitze und mit Gejauchze von Mama zu Dädi hüpfen.
Das alte Ehepaar, welches in besagten Sitzen sass, warf mir Blicke zu, welche ich ihnen hier nicht zumuten möchte. Ich betete, dass der Tag in absehbarer Zeit eine gute Wendung nehmen möge! So ratterten wir gefühlte Stunden durch den Neat-Tunnel. Und dann, schwups, spuckte uns die tiefe Bergwelt wieder aus. Grelles Sonnenlicht flutete den Waggon. Ein Raunen ging durch das Abteil. «Aaah»'s und «Oooh»'s hallten durch den Zug. Ja, ja, alles wird gut! In Bellinzona stiegen gut zwei Drittel der Passagiere aus. Locarno ruft! Oder ob alle den leeren Stausee im Verzascatal bestaunen wollen? Uns egal. Wir kuschelten uns gemütlich in die bequemen Sessel und streckten die Beine von uns. So verflogen die letzten zehn Minuten im Fluge und schon waren wir in Lugano.
Ich gestehe hier, ich war zuvor noch nie in Lugano. So nah und doch so fern … Und wir waren begeistert. Eine hübsche in den Hang gebaute Altstadt mit Pflasterstein-Gässchen. Viele lustige kleine Läden, an welchen wir uns die Gesichter an den Schaufenstern platt drückten. Unten am See fanden wir ein herrliches Restaurant mit noch herrlicherer Bedienung. Auch die Kleine war in diesem doch etwas schickeren Hause herzlich willkommen und so schlemmten wir uns den Bauch voll. Kugelrund trollten wir uns sodann in den nächstgelegenen Park und machten es uns an der Sonne gemütlich. Barfuss durchs Gras tollen, Gänseblümchen Haarbänder knüpfen und einfach nur geniessen. Ein richtig schöner Frühlingstag.
Der perfekte Espresso und ein richtig italienisches Gelati bildeten das «I-Tüpfchen» des Nachmittags. «Wie gut habe ich am Morgen am Bahnhof keinen Rückzieher gemacht.» Und auch mein Mann ist ganz und gar meiner Meinung. Die Heimfahrt ist dann rasch erzählt. Da wir in Milano den Zug bestiegen, hatten wir noch reichlich Platz. Leider nicht so unsere Mitreisenden, welche in Bellinzona dazu kamen. Wir konnten jedoch gemütlich in unseren Sesseln schwelgen, die Sonne nachspüren und vom Thunfischtatar und Gelati träumen. Und jetzt gerade, da ich diesen Text schreibe, ist Montagnachmittag. Ich schaue auf den Regen, welcher an die Fensterscheibe «schmeizt», und denke mir: «Was bin ich froh haben wir gestern diesen Ausflug gemacht! Ein Tag Frühling.»