Sechs Botschafterinnen und Botschafter diskutierten am Donnerstag an einem Podium in Sarnen über das Verhältnis der Schweiz zu ihren Nachbarn.
Dieses Podium war eines Jubiläums mehr als würdig. Im Format «Die Kantonsschule lädt ein» gibt es jährlich Gespräche zu aktuellen Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Fürs zehnte Podium war es dem mittlerweile pensionierten Prorektor Thomas Peter sowie Geschichtslehrer Manuel Bhend gelungen, gleich sechs Botschafterinnen und Botschafter an einen Tisch zu bringen. Sie vertraten neben dem EDA und der EU die Nachbarländer Deutschland, Österreich, Frankreich sowie das Fürstentum Liechtenstein.
Die hochrangigen Gesprächsteilnehmer hatten gern zugesagt. «Das Thema stiess auf reges Interesse von Seiten der Diplomaten», erzählte Bhend. Wegen Corona war der Anlass vor einem Jahr ausgefallen. Im Mai dieses Jahres war mittlerweile das Rahmenabkommen der EU mit der Schweiz gescheitert. Die Verhandlungen waren abrupt vom Schweizer Bundesrat beendet worden.
Thomas Peter beschrieb in der Begrüssung das Verhältnis von Brüssel und Bern als «Eiszeit». Er witzelte: «Wir haben die erhitzte Diskussion in die Provinz nach Sarnen verlegt und hoffen, dass wir heute Abend einen neuen Deal zwischen Bern und der EU vorlegen können.» Pietro Piffaretti, Chef der Sektion Länderbeziehungen, Abteilung Europa beim EDA, konterte direkt: «Ich hoffe, Sie haben Schlafsack und Sandwich mitgebracht.»
Zum ersehnten historischen Deal kam es dann doch nicht. Und selbst Botschafterinnen und Botschafter reden Klartext. So äusserte Natalie Sleeman, Erste Botschaftsrätin der Delegation der EU für die Schweiz und Liechtenstein, zum geplatzten Rahmenabkommen: «Auf politischer Ebene waren wir schon sehr überrascht.» Sie schilderte die Situation: «Es war nicht wirklich vorhersehbar, wir waren voll darauf konzentriert, Lösungen zu finden, als wir gemerkt haben, dass der Bundesrat beschloss, den Tisch zu verlassen.»
Beim kürzlichen Treffen mit Cassis habe Maros Sefcovic, der Vizepräsident der EU-Kommission, signalisiert, dass die Tür immer offen sei. «Wir sind bereit zur Diskussion, aber wir wollen konkrete Sachen diskutieren, denn diskutiert haben wir ja jahrelang in den Verhandlungen», sagte Natalie Sleeman. Sie sprach von einer Asymmetrie im Zugang der Schweiz zum Binnenmarkt im Vergleich zum Schweizer Markt. Die Schweiz sei sehr exportorientiert im Hinblick auf Waren, Güter und Dienstleistungen.
Michael Flügger, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, betonte, dass Deutschland der grösste Handelspartner der Schweiz ist. 22 Prozent des Schweizer Aussenhandels findet mit Deutschland statt. Er sprach vom «grossen Schock» in Bezug auf den Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen. «Mit uns hat niemand gesprochen, obwohl wir der grösste Aussenhandelspartner sind.» Auch Flügger signalisiertes grosses Interesse daran, dass die Schweiz mit der EU «wieder auf vernünftige Bahnen» komme. Anstatt der von Sefcovic angestrebten Roadmap erwartet der deutsche Botschafter aus realistischer Sicht zunächst nur eine Agenda.
Mit teilweise kritischen Fragen zur Zusammenarbeit von EU und der Schweiz oder zu Frontex versuchten die Fünftklässer, die Diplomaten aus der Reserve zu locken. Samuel Keiser aus Sarnen wollte wissen, wie die EU die Kohäsionsmilliarde einsetze und was der Steuerzahler davon habe. Natalie Sleeman erklärte, dass der Kohäsionsbeitrag auf dem Solidaritätsprinzip des Schwächeren beruhe ähnlich wie beim interkantonalen Finanzausgleich. Sie erklärte, dass der Beitrag der Schweiz nicht als Geschenk empfunden worden sei, sondern als lange erwartete Zahlung, die zwischen 2014 und 2020 fällig geworden sei.
Die Probleme zwischen der Schweiz und der EU konnten am Donnerstag nicht gelöst werden. Für viele Besucher, darunter Vertreter der Regierung, war der Blick über den Hag dennoch spannend. «Es war ein guter Anlass und spannend, mal die Seite der EU zu hören», fand Fünftklässlerin Hanna Zumstein aus Giswil. «Es ist wichtig, dass man miteinander redet, um beide Parteien auf einen Nenner zu bringen.»