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Marcel Schwerzmann kann den Entscheid des Luzerner Kantonsrats, die Aufgaben- und Finanzreform zu verschieben, nicht nachvollziehen. Dafür glaubt der Finanzdirektor an einen Kompromiss bei den Steuererhöhungen – und nimmt drei Parteien in die Pflicht.
Der Luzerner Kantonsrat hat am Montag die Debatte über die Aufgaben- und Finanzreform (AFR) 2018 auf Februar vertagt. Hauptgrund: der von der Regierung vorgesehene Zeitplan sei zu ambitiös. Die AFR 18 beinhaltet Aufgabenverschiebungen zwischen dem Kanton und den Gemeinden von 200 Millionen Franken. Hauptbestandteile sind die Übernahme des Wasserbaus durch den Kanton und ein neuer Kostenteiler bei den Volksschulen. Die Regierung sieht vor, die Mehrbelastungen für den Kanton mit Zusatzerträgen aus der Steuervorlage des Bundes und der kantonalen Steuergesetzrevision sicherzustellen. Beiden Steuervorlagen droht eine Volksabstimmung.
Marcel Schwerzmann, sind Sie enttäuscht vom Entscheid des Kantonsrats, die Debatte über die AFR zu verschieben?
Nein, aber ich verstehe den Entscheid nicht. Das Parlament hat mit der Vertagung nichts gewonnen. Es hätte sich mit der Beratung nicht eine Option versperrt.
Immerhin wird im Februar bekannt sein, ob das Referendum gegen die Steuervorlage des Bundes zustande gekommen ist.
Ja, aber das hätte man auch für die zweite Lesung berücksichtigen können. Es wäre besser gewesen, Eckwerte wie etwa den neuen Volksschulkostenteiler und den Steuerfussabtausch in der Dezembersession zu erledigen.
Der Kantonsrat sah das anders. Wo orten Sie die Gründe?
Die Vorlage ist komplex und inhaltlich auch mit der Steuervorlage des Bundes und der kantonalen Steuergesetzrevision verknüpft.
«Es wäre besser gewesen, Eckwerte wie etwa den neuen Volksschulkostenteiler und den Steuerfussabtausch in der Dezembersession zu erledigen.»
Das Parlament monierte aber vorab den zu engen Zeitplan.
Dass der Bundesrat die mögliche Abstimmung über die nationale Steuervorlage vom Februar auf den 19. Mai verschoben hat, ist für uns natürlich ungünstig. Doch um die AFR 2020 in Kraft setzen zu können, müssen wir sie jetzt beraten. Das entspricht nicht dem Wunschdenken der Regierung, sondern der Forderung, die das Parlament mit der Überweisung einer Motion von CVP-Fraktionschef Ludwig Peyer gestellt hat.
Nicht ganz: Die Regierung hat dem Parlament ein Ja zur Motion beantragt. Die AFR entsprach also auch dem Wunsch der Regierung.
Schon. Aber letztlich hat der Kantonsrat der Regierung den Auftrag gegeben.
Sie haben im Parlament gesagt, der Kanton verliere seine Reformfähigkeit, wenn man sich nicht mehr getraue, schwere Vorlagen zu beraten und Kompromisse zu schliessen. Ist Luzern nicht mehr reformfähig?
Das waren mahnende Worte. Luzern hat sich in den letzten 20 Jahren massiv verbessert, weil man Kompromisse schliessen konnte. Heute nimmt diese Fähigkeit ab.
Der Verband der Luzerner Gemeinden sagt, er bevorzuge den Status Quo, wenn die AFR aufgeschnürt werde. Was sagen Sie dazu?
Die Regierung will die Reform. Der Status Quo wäre alles andere als mutig – und die Übernahme des Wasserbaus durch den Kanton und der neue Volksschulkostenteiler wären für Jahre vom Tisch.
«Ohne Gegenfinanzierung kann der Kanton keine weiteren Aufgaben von den Gemeinden übernehmen.»
Baudirektor Robert Küng hat gesagt, er könne sich auch nur eine Umsetzung des Wasserbaus vorstellen.
Dann müsste eine andere Finanzierung für diese 20 Millionen gefunden werden. Ohne Gegenfinanzierung kann der Kanton keine weiteren Aufgaben von den Gemeinden übernehmen.
Angenommen, das Referendum gegen die Steuervorlage des Bundes kommt zustande: Wie sieht dann der weitere Zeitplan für die AFR aus?
Die obligatorische Abstimmung über die AFR wird nach heutiger Planung gleichzeitig mit jener zur Bundessteuervorlage im Mai stattfinden. Wir wissen bis zur Sondersession im Februar, ob das Referendum zustande kommt. Falls nicht, würde dies die Beratung emotional vereinfachen. Das Parlament erhält dadurch jene Sicherheit, womit es die Verschiebung begründet hat. Ein definitives Inkraftsetzen der Bundessteuervorlage würde nicht nur die AFR stabilisieren, sondern auch die Finanzplanung des Kantons und der Gemeinden.
Wie hoch sind die Chancen, dass die AFR 2020 in Kraft treten kann?
Wenn man mit der zweiten Beratung der AFR bis zum Referendumsentscheid über die Bundessteuervorlage im Mai wartet, reicht es nicht.
Wie sieht Ihr Szenario bei einem Referendum gegen die kantonale Steuergesetzrevision aus?
Das würde am Zeitplan grundsätzlich nichts ändern. Doch wenn jemand ernsthaft mit dem Referendum droht, wird das Parlament die AFR vielleicht nicht in dieser Form beschliessen. Die Chance, die Abstimmung vor dem Volk zu gewinnen, schätze ich als hoch ein: Wir planen eine minimale Gewinnsteuererhöhung. Auch eine Erhöhung der Vermögenssteuer hätte eine gute Chance. Ich möchte die Steuergesetzrevision jedoch ohne Referendum durchbringen.
Dafür müssen Sie aber noch viel Überzeugungsarbeit leisten.
Die Gespräche laufen. Es braucht einen Kompromiss zur Steuergesetzrevision. Dafür müssen alle Federn lassen, vielleicht auch die Regierung. Über ein Loch in den Büchern hätte ich zwar keine Freude, aber dann wäre dies der Kompromiss der Regierung, den sie eingehen müsste. Klar ist: Wird die Vorlage zur Steuergesetzrevision grob verändert, lässt sich das ohne Ersatzmassnahmen nicht ausgleichen.
Die CVP ist der Meinung, sie könne einen Kompromiss herbeiführen, um die geplanten Steuererhöhungen zu retten – und damit die Gegenfinanzierung der AFR.
Ich erwarte und bin sicher, dass die bürgerlichen Fraktionen die Reihen mit einem Kompromiss schliessen werden.
Sie meinen also einen Kompromiss bei den höheren Firmengewinnsteuern und die Verhinderung des angedrohten Referendums?
Das ist noch nicht klar. Das werden die Gespräche mit den Fraktionen zeigen. Ich glaube an einen Kompromiss, weil im Prinzip alle die AFR wollen.
Sehen Sie nun für den Kompromiss primär die CVP in der Pflicht?
Nein, alle drei bürgerlichen Parteien. Keine von ihnen ist mit der kantonalen Steuergesetzrevision restlos zufrieden. Von der Ratslinken können wir nichts erwarten. Sie wird diese Vorlage aus Prinzip stets bekämpfen.
Der Kompromiss zur Steuergesetzrevision alleine reicht aber nicht. Die AFR muss noch eine Volksabstimmung überstehen.
Es gibt einen kritischen Punkt: den Steuerfussabtausch. Ein Jahr lang kann die Bevölkerung nicht über den Gemeindesteuerfuss abstimmen.
Falls die AFR auf 2021 verschoben werden muss: Wie wollen Sie das Loch in der Kantonskasse stopfen?
Dann müssen jene Kräfte, die für die Verschiebung plädiert haben, politisch mehrheitsfähige Vorschläge bringen. Die Regierung hat keinen Plan B, hat aber systematisch analysiert, wie sich welcher Entscheid zu welcher Vorlage finanziell auswirkt.
«Der Rückhalt in der Bevölkerung ist doch nicht von einem einzelnen Sachgeschäft abhängig.»
Was ist das Worst-Case-Szenario?
Das sage ich Ihnen nicht. Genau lässt sich derzeit nur eine Zahl nennen: Mit einer Verschiebung der AFR um ein Jahr ergäbe sich einmalig ein Loch von 20 Millionen. Das würden wir lösen können.
Wie beurteilen Sie die Chancen für eine Zustimmung zur kantonalen Steuergesetzrevision nach der Vorlage der Regierung?
Nach wie vor als intakt. Wichtig ist nun, dass die vorberatende Kommission für Wirtschaft und Abgaben die Vorlagen inhaltlich aufeinander abstimmt.
Was bedeutet die Verschiebung der AFR-Debatte für Ihre Wahlchancen?
Gar nichts. Der Rückhalt in der Bevölkerung ist doch nicht von einem einzelnen Sachgeschäft abhängig. Aus dem Abtraktandierungsantrag der CVP schwindendes Vertrauen abzuleiten, wäre völlig falsch. Die CVP will die Vorlage ja. Das Volk möchte in der Politik transparente Leute. Ich arbeite transparent. Man weiss nach zwölf Jahren, wofür ich einstehe.