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Wirtschaft
Personalentscheidungen in Chefetage haben mehr mit Macht als mit Arbeit zu tun. Das haben Gespräche mit verschiedenen Wirtschaftsführern mit langjährigen Erfahrungen in Schweizer Chefetagen ergeben.
«Nur die Leistung zählt.» Was die meisten Unternehmenschefs ihren Nachwuchsmanagern einhämmern, ist ein Mythos. Das ist die ernüchternde Erkenntnis aus Gesprächen mit Wirtschaftsführern, die sich über ihre langjährigen persönlichen Erfahrungen in den Führungszirkeln unterschiedlichster Schweizer Firmen äussern. Die Vermutung liegt zwar nah, dass eine Gesellschaft von Alpha-Tieren ihre eigenen Gesetze kennt. Doch wie diese Gesetze aussehen, wissen nur die Beteiligten.
Bei mehr als der Hälfte aller Managemententscheidungen, die er in seiner langen Laufbahn erlebt und mitgetragen habe, sei das Hauptmotiv die «Machtabgrenzung» gewesen, erzählt ein krisenerprobter Wirtschaftsführer. Das sei zwar menschlich, aber oft hässlich, und vor allem schade es dem Geschäft. Zwar kommen die Machtspiele in den Führungszirkeln der Firmen früher oder später in den Verwaltungsräten und in den Geschäftsleitungsgremien auf den Tisch.
Aber allzu oft bleiben die Hintergründe der Konflikte auch in diesen vermeintlich eingeweihten Kreisen nebulös. «Aus uns beiden wird nichts»: Diesen Satz habe er in 30 Jahren nie aus dem Munde eines CEO oder Verwaltungsratspräsidenten gehört, sagt ein Insider. Obwohl es oft genau darum gegangen sei. Ein allzu ungeschminktes Machtgehabe könne Sympathien kosten, erklärt er sich den Umstand, weshalb die Positionskämpfe mit echten oder vermeintlichen Rivalen kaum einmal mit offenem Visier geführt würden. Lieber stellt man Fallen, um den Gegner, ohne direkten Körperkontakt loswerden zu können.
Der grossen Mehrheit der Mitarbeitenden, den gewöhnlichen Publikumsaktionären und erst recht der breiten Öffentlichkeit bleiben diese Vorgänge in der Regel verborgen. Die Sprachregelung in den Pressecommuniqués kommt üblicherweise ganz und gar unverfänglich daher.
SBB-Chef Andreas Meyer fand vorige Woche nur lobende Worte für seine bislang wichtigste Managerin, obwohl er sie gerade auf ein Nebengleis einfahren liess: «Jeannine Pilloud hat unsere grösste Division sieben Jahre umsichtig geführt. Nun wird sie sich auf die Branchenthemen fokussieren. Genau das brauchen wird jetzt. Denn die öV-Branche und der Personenverkehr sind in einem umfassenden Wandel.» Die Umplatzierte machte gute Miene zum Spiel: «In der öV-Branche stehen in den nächsten Jahren wichtige Weichenstellungen an. Ich freue mich, mich voll und ganz darauf zu konzentrieren und mitzugestalten.»
Klar ist, dass die Westschweizerin in der eigens für sie neu geschaffenen Funktion einen rapiden Verlust an Einfluss erleidet. Wer das wollte, und wer davon profitiert, ist auch für langjährige Branchenkenner ein Rätsel. Der Schutz des Verlierers vor der öffentlichen Blamage ist bei Machtspielen in den Unternehmensleitungen oft auch im Interesse des Siegers, denn ein zur Schau getragener Triumph kann in der öffentlichen Meinung schnell zum Pyrrhussieg verkommen.
Nur selten gibt die offizielle Firmenkommunikation so viel Interpretationsspielraum, wie es am Freitag bei der UBS der Fall war. CEO Sergio Ermotti verabschiedete Jürg Zeltner, seinen mächtigsten Manager und Leiter der Flaggschiffdivison, nach 30 Dienstjahren mit den knappen Worten: «Sein Einfluss auf die positive Entwicklung unseres internationalen
Wealth-Management-Geschäfts und des Unternehmens über die vergangenen Jahre verdient Anerkennung.» Dementsprechend ist das Verständnis, dass hier ein Machtkampf vorausgegangen war, bereits Konsens in den Medien.
Anders liegt der Fall beim unerwarteten Abschied von Georges Kern als Leiter des ganzen Uhrengeschäfts beim Luxusgüterkonzern Richemont. Kern hatte sich über viele Jahre als CEO der zur Richemont gehörenden Schaffhauser Manufaktur IWC profiliert. Ende 2016 wurde sein Verantwortungsgebiet um etliche Uhrenmarken erweitert. Darüber hinaus sollte er die Digitalisierung von Marketing und Vertrieb an die Hand nehmen.
Weniger als ein Jahr nach der Beförderung war Kern weg. In einer dürren Mitteilung äussert sich der Konzern zwar bedauernd über den Abgang, und Verwaltungsratspräsident Johann Rupert wünscht ihm alles Gute. Das ist aber nicht viel nach 17 Jahren gemeinsamen Weges, muss man sagen.
Kern sagte der «Bilanz» später im Gespräch: «Es gibt zwei Menschen, die wissen, was gesagt wurde. Der eine bin ich. Und ich sage nichts dazu. Der andere bin nicht ich. Und der sagt sicher auch nichts.» Auch im Fall Kern kann die Leistung als Trennungsgrund ausgeschlossen werden, zumal der Abschied so schnell erfolgt. Immerhin treffen Unternehmen ihre Personalentscheidungen oft auch aus rationalen Gründen.
Bisweilen genügt die Leistung nicht, manchmal stimmt die Chemie mit Kollegen nicht. Doch solche Trennungen machen in der Regel keine Schlagzeilen, denn sie werden nach «diplomatischen Gepflogenheiten» abgehandelt, wie ein Insider sagt.