Im Kampf gegen die Lira-Krise hat die türkische Notenbank den Leitzins überraschend stark angehoben. Sie stellt sich damit gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Die türkische Lira legte nach der Entscheidung deutlich zu.
Gegen den Widerstand von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat die türkische Zentralbank am Donnerstag die Leitzinsen deutlich angehoben und damit die türkische Lira gestärkt. Die Währungshüter in Ankara erhöhten den Leitzins von 17,75 auf 24 Prozent – ein grösserer Zinssprung als von vielen Experten erwartet. Kurz vor der Entscheidung hatte Erdogan erneut eine Zinssenkung gefordert und die Zentralbank kritisiert.
Erdogans Einmischung in die Arbeit der nominell unabhängigen Zentralbank ist einer der Gründe für den Vertrauensverlust vieler Investoren und den Absturz der Lira gegenüber Dollar und Euro in den vergangenen Monaten. Seit Jahresbeginn hat die türkische Währung rund 40 Prozent gegenüber dem Dollar verloren; unmittelbar nach der Zinsentscheidung zog der Kurs der Währung im Tagesvergleich um 5 Prozent an.
Die Zentralbank hatte den Zinsschritt nach Vorlage der jüngsten Inflationszahlen vorige Woche angedeutet: Die Teuerungsrate von knapp 18 Prozent verstärkte den Ruf nach einer kräftigen Leitzinsanhebung. Im Juli hatte sich die Bank dem Druck Erdogans gebeugt und die Zinsen nicht erhöht. Während die meisten Volkswirtschafter eine Zinsanhebung als Instrument zur Bekämpfung der Inflation betrachten, vertritt Erdogan die These, dass hohe Zinsen eine hohe Teuerung bedeuten. Wer behaupte, die Inflation sei der Grund und der Zinssatz die Folge, der habe keine Ahnung, sagte Erdogan am Donnerstag in einer Rede. Der Zentralbank warf er vor, die eigenen Inflationsziele stets verfehlt zu haben.
Angesichts von Erdogans Machtfülle im neuen Präsidialsystem erforderte der Zinsbeschluss der Währungshüter einigen Mut. «Respekt», schrieb der Analyst Timothy Ash auf Twitter. Es sei die «total richtige Entscheidung» gewesen. Nun habe die Türkei eine Chance zur Überwindung der Krise. Manche Beobachter spekulierten, der Präsident habe mit seiner demonstrativen Ablehnung die Schuld an der Krise den Währungshütern in die Schuhe schieben wollen. Höhere Zinsen für Kredite könnten die verlangsamte Konjunktur abwürgen und eine Rezession auslösen.
Auch nach der Zinsanhebung steht Ankara vor schweren Problemen. Viele Anleger ziehen ihr Geld aus Schwellenländern wie der Türkei ab, weil in den USA die Zinsen wieder steigen. Dabei setzte Erdogan bisher auf billiges Geld und riesige Infrastrukturprojekte, um die Bauwirtschaft und andere Branchen anzukurbeln. Strukturelle Reformen sind in der Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre dagegen ausgeblieben. Investoren kritisieren zudem, dass Erdogan immer mehr Machtbefugnisse an sich zieht. Diese Woche ernannte er sich selbst zum Chef eines staatlichen Fonds mit einem Volumen von 50 Milliarden Dollar, in dem Anteile der Regierung an Banken sowie an Unternehmen wie der Fluggesellschaft Turkish Airlines und dem Kommunikationsanbieter Türk Telekom gebündelt sind.
Selbst mit höheren Zinsen bleibe es riskant, sich Lira zuzulegen, kommentierte der Türkei-Experte Timur Kuran. Das werde so bleiben, «bis die Ein-Mann-Herrschaft der Türkei vorüber ist», schrieb Kuran auf Twitter. In der türkischen Wirtschaft häufen sich unterdessen die Krisenanzeichen. In Cankiri bei Ankara musste laut Medienberichten eine Keramikfabrik schliessen, weil sie ihre Strom- und Gasrechnungen nicht mehr bezahlen konnte. Etwa 900 Arbeiter wurden in den unbezahlten Urlaub geschickt – sie waren seit zwei Monaten nicht mehr bezahlt worden. Wenige Stunden vor der Entscheidung der Zentralbank hatte Erdogan per Dekret die Vermietung und den Verkauf von Immobilien in Dollar und Euro in der Türkei verboten.
Auch alle bereits in einer ausländischen Währung abgeschlossenen Verträge müssen binnen 30 Tagen auf Lira umgeschrieben werden. Damit will Erdogan die Lira stützen – es ist aber fraglich, inwieweit das Verbot durchgesetzt werden kann.
Der Anti-Krisen-Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) neigt sich langsam dem Ende zu. Wie im Juni in Aussicht gestellt, halbiert die Notenbank das Volumen ihrer monatlichen Anleihenkäufe ab diesem Oktober auf 15 Milliarden Euro. Ein Ende des – vor allem in Deutschland – umstrittenen Programms zum Kauf von Staats- und Unternehmenspapieren peilen die Währungshüter unverändert zum Jahresende 2018 an.
Die Entscheidungen des EZB-Rates vom Donnerstag in Frankfurt zementieren aber zugleich ein Andauern der Phase extrem niedriger Zinsen: Der Leitzins im Euroraum bleibt auf dem Rekordtief von 0 Prozent, zudem müssen Geschäftsbanken weiterhin 0,4 Prozent Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Eine Wende hin zu höheren Zinsen wollen die Währungshüter frühestens im Herbst des nächsten Jahres einläuten.
Der EZB-Rat bekräftigte seine Einschätzung, dass die Zinsen bis «mindestens über den Sommer 2019» auf dem aktuellen Niveau bleiben werden. Sparer müssen sich gedulden Ökonomen rechnen damit, dass die EZB dann zunächst die Strafzinsen für Kreditinstitute verringern wird. Sparer dürften auf eine erste Zinserhöhung noch länger warten müssen. Andererseits profitieren Kreditnehmer somit weiterhin von relativ guten Konditionen. An den Anleihenmärkten wird die EZB auch dann noch ein gewichtiger Marktteilnehmer bleiben, wenn sie keine neuen Papiere mehr erwirbt: Gelder aus auslaufenden Anleihen will sie wieder investieren. Seit Beginn des Programms im März 2015 bis Ende August 2018 hat die EZB Wertpapiere im Gesamtwert von gut 2,5 Billionen Euro gekauft. Ziel ist es, auf diesem Weg der Konjunktur in den 19 Euroländern auf die Sprünge zu helfen und zugleich die Teuerung anzuheizen. (sda)