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Der vierfache Olympiasieger hat nach dem unbefriedigenden Saisonstart und vor dem Weltcup in Engelberg das Bedürfnis, sich zu erklären.
Die Leidenschaft und die Lust sind noch da. Dieses Signal will der ewige Skispringer Simon Ammann bei seinem kurzfristig angesetzten digitalen Medienauftritt aussenden. Und immer, wenn den doppelten Doppelolympiasieger etwas beschäftigt, redet er. Dann will er die Welt – und vielleicht auch sich selbst – überzeugen, dass alles seinen Sinn hat. Seine Botschaft ist klar: Es geht weiter. Und es gibt Hoffnung.
Die Hoffnung hat einen Namen: Karbonschuh. Ein neues Modell ist in Produktion, im optimalen Fall bereits beim Heim-Weltcup in Engelberg verfügbar. «Wir werden aber wohl jede Minute brauchen, um das zu schaffen», sagt der 39-Jährige. Vom neusten Modell des selbst entworfenen Sprungschuhs erhofft sich Ammann einen grossen Schritt zurück zur Konkurrenzfähigkeit. Er spricht von den Top 10.
Ein Blick auf die Statistik zeigt, wie magisch dieser Wert ist. 180-mal reihte sich die Schweizer Skisprung-Legende während der gut 20-jährigen Karriere im Weltcup unter die besten Zehn. Doch seit geraumer Zeit zeigt die Leistungskurve in eine andere Richtung. Dass er sich zuletzt nie mehr für den zweiten Durchgang und teilweise nicht einmal mehr für den Wettkampf qualifizieren konnte, nagt an Ammann. Und vielleicht auch ein wenig am Heldenstatus im Schweizer Sport.
Es sind wohl die Medienspekulationen, die selbst verordnete Pause vor Engelberg und der Verzicht auf seine liebste Spielwiese Skifliegen könnten das verfrühte Karriereende einläuten, die Ammann in die Offensive treiben. Er geht 45 Minuten lang in jedes erdenkliche Detail und lässt dabei tief blicken.
Ein grosser Fehler hat sich in den vergangenen Monaten in seinen Sprung eingeschlichen. Der Flugteil ist überstreckt, Ammann kommt in der Luft nicht mehr über das Luftpolster, das ihn weit hinunter trägt. Der neue Schuh soll ihm ermöglichen, aggressiver abzuspringen und flüssiger in die Flugphase zu gelangen, ohne dabei die Stabilität zu gefährden. Es gebe zwar keine volle Garantie dafür, dass die Modifikationen am Schuh das Problem löse. Aber zumindest wird sich damit eine offene Frage in Ammanns Kopf auflösen. «Es steckt recht viel Hoffnung in diesem Projekt. Es wird aufregend», sagt Ammann.
Der Karbonschuh ist in den vergangenen zwei Jahren für den vierfachen Olympiasieger zum Prestigeobjekt geworden. Daran knüpft er seine Erwartungen. Es gibt aber auch Stimmen, der Schuh stehe quasi stellvertretend für all die Hoffnungen, im biblischen Alter von 39 Jahren nochmals den Anschluss an die Weltspitze zu finden.
Die Gretchenfrage stellt sich. Wieso all das noch? Eine Legende ist Simon Ammann bereits. Unsterblich mit seinen olympischen Leistungen, durch seine unverwechselbaren Auftritte. Ein Unikat wie sein Schuh.
Der dreifache Familienvater will zeigen, dass er in seinem Denken und in seinem Handeln nach wie vor durch und durch Spitzensportler ist. Und er will diese Leistung in seiner Situation, in seinem Alter gewürdigt sehen. Trainingseinsatz, mentale Stärke, die Sprungkraft und das Gewicht stimmen. Die Sinnfrage habe er sich gestellt und bejahen können. «Die Lust, es zu probieren, ist da», sagt er.
Simon Ammann taxiert das Halten des Gewichts als «ein wichtiges Leistungssportthema. Es soll zeigen, dass wir nicht im Spassbereich unterwegs sind, sondern absolut austrainiert.» Man müsse jeden Tag rund um die Uhr daran arbeiten.
Seine Bemerkung, dass die Athleten wieder leichter geworden seien, wird bei Ammanns Videoauftritt bald einmal überhöht diskutiert. Die Fälle von Magersucht in der Vergangenheit bleiben im Gedächtnis. Auch die Reaktion der FIS darauf mit der Bestrafung eines zu tiefen BMI durch kürzere Ski. Ammann ist es längst nicht mehr ganz wohl in der Diskussion. Er will keine Schlagzeilen für eine zu kurz greifende mediale Abhandlung liefern. Dennoch ist ihm das Thema wichtig.
Der Schweizer Skisprungchef Berni Schödler erklärt stellvertretend für seinen Athleten die aktuelle Situation. Simon Ammanns Wort habe eben im Weltcup Gewicht. Vertreten wird die Position der Springer im Komitee der FIS jedoch durch den Slowenen Jernej Damian, mit 37 Jahren in einer ähnlichen Situation wie Ammann.
Und Damian habe das Thema Gewicht tatsächlich eingebracht. Die aktuelle Problematik liegt darin, dass mehrere Topspringer inzwischen freiwillig auf kürzere Ski setzen, weil diese beim Absprung Vorteile bieten. Also greift die Bestrafung zu leichter Sportler nicht mehr.
Schödler sagt, es sei eine wichtige und auch eine gute Diskussion, allerdings keine neue. Man müsse die Massnahmen überdenken, allenfalls die Ski der gewichtskritischen Athleten noch mehr kürzen. «Aber so kurz vor den Olympischen Spielen will und kann man keine solche einschneidende Massnahmen treffen.»
Simon Ammann wird, bis es so weit ist, nicht mehr im Skisprung-Zirkus dabei sein. Er gedenkt aber nicht, durch irgendeine Hintertür abzutreten. Der erfolgreichste Schweizer Skispringer der Geschichte glaubt, den Anschluss an die Besten nochmals schaffen zu können. Vielleicht einfach noch nicht am Wochenende in Engelberg.