6:1, 7:5 und 7:6 gewann Novak Djokovic gegen Andy Murray die Australian Open. Wer soll den 28-jährigen Serben stoppen? Und wann? Das sind die grossen Fragen nach den Australian Open
Und dann kamen doch die Tränen. Es war schlimm genug für Andy Murray, dass er nun die fünfte Niederlage im fünften Final in der Rod-Laver-Arena kassiert hatte. Doch als er am Ende seiner Dankesrede die Worte an seine hochschwangere Frau Kim richtete, die zu Hause in London geblieben war, überkam es den 28 Jahre alten Schotten schliesslich. «Du warst fantastisch in diesen zwei Wochen. Ich komme mit dem nächsten Flieger nach Hause.»
Es war in vielerlei Hinsicht ein hartes Turnier für den Weltranglistenzweiten gewesen, auch weil sein Schwiegervater Nigel Sears unter der Woche auf der Tribüne kollabiert war, jedoch inzwischen wieder genesen zurück in England ist. «Das waren zwei schwere Wochen», sagte Murray und bedankte sich bei seinem Team um Trainerin Amelie Mauresmo für die Unterstützung gerade in dieser prekären Zeit.
Die 15 000 Zuschauer fühlten mit Murray, und zu gerne hätten sie ihm das Ende seiner schwarzen Serie in Melbourne gewünscht. Doch es lag nicht nur an der persönlichen Situation Murrays, dass er nun der einzige Spieler neben Ivan Lendl ist, der fünf Endspiele beim selben Grand Slam verlor – sondern weil Novak Djokovic derzeit einfach in einer eigenen Liga spielt.
Mit 6:1, 7:5 und 7:6 untermauerte der nur eine Woche jüngere Serbe seine Ausnahmestellung im Männertennis. Mit seinem sechsten Australian-Open-Titel baut Djokovic seinen Rekord als einziger Spieler der Open Era seit 1968 eindrucksvoll aus. Aus Dankbarkeit kniete sich der Weltranglistenerste nach dem Matchball hin und küsste den blauen Boden des Centre-Courts. «Wir waren drei Wochen lang auf dieses Ziel fokussiert, jetzt haben wir es geschafft», sagte Djokovic mit der Trophäe in der Hand in Richtung seines Teams um Trainer Boris Becker.
Vor genau 20 und 25 Jahren hatte Becker selbst in Melbourne triumphiert und sein Jubiläum gefeiert, doch sein Schützling hat nun allein mit seinen Pokalen aus Down Under genauso viele Grand-Slam-Titel gewonnen wie Becker insgesamt in seiner Karriere. Djokovic ist inzwischen bei elf angekommen und niemand zweifelt derzeit daran, dass er die 14 Major-Titel von Rafael Nadal und selbst Federers Rekord von 17 noch knacken wird. «Kein Zweifel, ich spiele in den vergangenen 15 Monaten das Tennis meines Lebens», sagte Djokovic stolz, «es ist phänomenal. Aber auch das Ergebnis vieler Jahre harter Arbeit, von Zugeständnissen, Hingabe und Opfern.»
Wie gross momentan die Kluft zwischen Djokovic und dem Rest ist, zeigte die Partie gegen Murray. Der Rangliste nach sollte der Schotte sein ärgster Verfolger sein, doch er hatte kaum eine Chance gegen Djokovic. Schon im Halbfinal hatte er die Weltnummer drei Roger Federer phasenweise sogar vorgeführt und auch im Endspiel sah es zunächst so aus, als würde Djokovic einen ähnlichen Fabel-Start hinlegen wie in den ersten beiden Sätzen gegen Federer. Murray hielt zwar mit, doch in den wichtigen Momenten schaltete Djokovic stets zwei Gänge hoch.
Nur am Ende wurde es eine ausgeglichene Partie gegen Murray, der zuletzt zehn von elf Malen dem Serben unterlegen war. Der Schotte steigerte sich im zweiten Satz, probierte im dritten Durchgang dann noch einmal alles, doch im Tiebreak kamen zwei Doppelfehler im ungünstigsten Moment. Djokovic holte sich den 22. Sieg in ihrem 31. Duell. «Ich weiss nicht, wie weit ich heute von ihm weg war», sinnierte Murray, der nur fünf Minuten nach der Siegerehrung zur Pressekonferenz erschien – der Heimflug wartete um 1 Uhr morgens, «im ersten Satz war ich nicht da, im zweiten und dritten war es eng. Aber am Ende macht er 25 Punkte mehr als ich.»
Zuletzt waren ihre Matches bei Grand Slams immer ein umkämpfter Schlagabtausch gewesen, doch Djokovic spielt mittlerweile nahe an der Perfektion. Bereits in der letzten Saison war der Serbe denkbar knapp am Kalender-Grand-Slam vorbeigeschrammt, als er bei den vier Major-Turnieren lediglich Stan Wawrinka im Final am French Open unterlag. Mit seiner Titelverteidigung in Melbourne macht Djokovic nun den ersten Schritt im nächsten Versuch. Paris bleibt die Hürde, die er noch nie genommen hat. «Ich bin sehr hungrig», meinte Djokovic über seinen Appetit auf weitere Siege, «aber der Wolf muss erst einmal viele verschiedene Mahlzeiten essen, um nach Paris zu kommen. Paris ist das Dessert.» Wie es scheint, bleiben der Konkurrenz auch in dieser Saison nur die Reste übrig.