Der ehemalige Vizepremier der Volksrepublik China, Zhang Gaoli (75), soll die Tennisspielerin Shuai Peng zum Sex gezwungen haben. Seither ist die 35-Jährige verschwunden. Die Profi-Organisation WTA reagiert.
Nur 30 Minuten war der Vorwurf auf Weibo, dem chinesischen Pendant zu Facebook, öffentlich, dann schlug die Zensurbehörde zu, entfernte diesen und unterdrückt unterdessen sogar Suchanfragen nach Shuai Peng. Die Tennisspielerin hatte berichtet, Zhang Gaoli, bis 2018 Vizepräsident unter dem allmächtigen Xi Jinping, habe sie wiederholt gegen ihren Willen zum Sex gezwungen. Es ist das erste Mal, dass es Vorwürfe dieser Art gegen einen früheren hochrangigen Vertreter der kommunistischen Partei gibt.
Im Doppel hat die inzwischen 35-jährige Peng sowohl in Roland Garros als auch in Wimbledon gewonnen, war auch die Nummer 1 der Weltrangliste. Im Einzel gewann sie zwei Titel und wurde einst im 14. Rang geführt.
Seit den Vorwürfen an die Adresse des ehemaligen Spitzenpolitikers, mit dem sie Jahre zuvor eine kurze Affäre gehabt haben soll, fehlt von Peng jede Spur. Knapp drei Monate vor Beginn der olympischen Winterspiele in Peking wirft der Fall ein Schlaglicht auf ein Thema, das in China gerne unter den Teppich gekehrt wird: Gewalt gegen Frauen. Nach Angaben des chinesischen Frauenverbands wird alle sieben Sekunden eine Frau von ihrem Partner geschlagen. Etwa jede vierte erlebt häusliche Gewalt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Zu gross ist die Angst, in einer patriarchal geprägten Gesellschaft ein Schicksal zu erleiden wie nun Peng.
Elf Tage nach dem Verschwinden der Tennisspielerin hat sich die Tennis-Profi-Organisation der Frauen, die Women's Tennis Association, zu Wort gemeldet. Der CEO, Steve Simon, drückt seine Sorge aus: «Peng Shuai sowie alle Frauen verdienen es, gehört und nicht zensiert zu werden. Wir fordern eine vollständige, faire und transparente Untersuchung der Vorwürfe.» Steve Simon sagt zur «New York Times»: «Peng Shuai hat Mut bewiesen. Wir sind es ihr und allen Frauen schuldig, das ernst zu nehmen.»
Mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern ist China ein Megamarkt. Für das Frauentennis ist das Land im letzten Jahrzehnt zum wichtigsten Faktor aufgestiegen: 10 der 54 jährlich veranstalteten WTA-Turniere finden in China statt, darunter die beiden wichtigsten ausserhalb der Grand-Slam-Turniere: die Jahresfinals in Zhuhai und Shenzhen, die WTA Finals der acht Jahresbesten, die derzeit einmalig in Guadalajara, Mexiko, stattfinden. Alleine in Shenzhen soll innerhalb des nächsten Jahrzehnts eine Milliarde Franken investiert werden. Das jährliche Preisgeld beträgt 14 Millionen.
Das wirft die Frage auf: Ist das Frauentennis von China abhängig? Steve Simon sieht das offenbar umgekehrt. Er sagt: «Wenn wir sehen, dass nicht die von uns gewünschten Schritte eingeleitet werden, sind wir bereit, uns aus China zurückzuziehen.» Alle wüssten, was auf dem Spiel stehe, aber man sei sich einig, dass es nur einen akzeptablen Weg gebe: jenen, «das Richtige» zu tun. Das offizielle China hat nicht auf die Vorwürfe reagiert.
Auf Kritik aus dem Sportkosmos reagierte das chinesische Regime bisher knallhart: Die NBA erwirtschaftet rund einen Zehntel ihres Umsatzes in China. Als sich der Teammanager eines NBA-Teams in den sozialen Medien mit Demonstranten in Hongkong solidarisiert hatte, stellte der staatliche Sender China Central Television CCTV) die Übertragung aller Spiele ein, wie auch der Streamingdienst Tencent, der für die Rechte bis 2025 1,5 Milliarden Dollar bezahlt haben soll. Der Online-Händler Alibaba, auf dessen Plattform die NBA jährlich 1,8 Milliarden Dollar erwirtschaftet, entfernte alle Artikel. Die NBA entschuldigte sich, zu abhängig ist man.
Fussballer Mesut Özil, der damals noch bei Arsenal London unter Vertrag stand, hatte im Dezember 2019 den Umgang Chinas mit der muslimischen Minderheit der Uiguren angeprangert. Das Spiel zwischen Arsenal und Manchester City wurde umgehend aus dem Programm gestrichen. Der Boykott wurde erst aufgehoben, nachdem Arsenal sich von Mesut Özils Äusserungen distanziert hatte. Der aktuelle Vertrag mit China bringt der englischen Premier League in drei Jahren 660 Millionen Franken ein.
Vor diesem Hintergrund ist das fordernde Auftreten der Women's Tennis Association gleichermassen erstaunlich wie erfreulich. Weil man offenbar gewillt ist, China die Stirn zu bieten und das Wohl von Shuai Peng über die gigantischen wirtschaftlichen Interessen stellen. Steve Simon vermeldet, er habe zwar nicht mit Peng gesprochen, der chinesische Tennisverband habe aber bestätigt, dass sie sich in Peking und in Sicherheit befinde.