Skicross
Die doppelte Reise in eine neue Welt für Skicrosser Alex Fiva

Die Schweizer Skicrosser rund um Weltmeister Alex Fiva testen in China und sind dabei erstmals offiziell alpine Skifahrer. Gleichzeitig ist es für den Bündner die Generalprobe für die Olympischen Spiele 2022 in Peking. Mit den Spielen hat Fiva zudem eine Rechnung offen.

Rainer Sommerhalder
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Skicrosser Alex Fiva muss für den Saisonstart zur Generalprobe für Olympia nach China.

Skicrosser Alex Fiva muss für den Saisonstart zur Generalprobe für Olympia nach China.

Gian Ehrenzeller / KEYSTONE

Nein, ausgelassen ist die Stimmung nicht. Wenn die Schweizer Weltcupfahrerinnen und -fahrer am Sonntag in Frankfurt den Charterflug der Air China in Richtung Peking besteigen, begeben sie sich auf einen Trip in eine unbekannte Welt. So gross die Bedeutung, dass die Besten der Welt die Olympiastrecke in Chinas Bergen vor den Winterspielen im Februar endlich testen können, so klein die Vorfreude auf diese Reise. Bezeichnenderweise nennt sich der Wettkampfort «Secret Garden».

Aufgrund der drastischen Corona-Restriktionen der Gastgeber sowie der Erlebnisberichte der Bobfahrer, welche die Olympia-Hauptprobe bereits hinter sich haben, müssen sich die Sportlerinnen und Sportler auf einen Ausflug in ein goldenes Verlies gefasst machen. Auch Weltmeister Alex Fiva will der olympische Geist derzeit eher als Schreckgespenst denn als leuchtender Engel erscheinen. Das Playbook mit den Verhaltensregeln und Massnahmen gegen das Virus hat sich der 35-Jährige mit Bestimmtheit nicht als Motivationsschrift für den kommenden Grossanlass aufs Nachtschränklein im Schlafzimmer gelegt.

Die grosse Kunst des Streckenbaus

Allerdings sieht auch der Bündner diesen Weltcupstart im fernen Osten als absolute Notwendigkeit, um im Februar konkurrenzfähig zu sein. Denn bislang sind die Informationen über die neu gebaute Piste äusserst spärlich. Der Weltcup von 2020 und die WM 2021 auf der Olympiastrecke wurden wegen Corona abgesagt. Und was Fiva zur Strecke im Frühling aus China erfuhr, kommentierte der Routinier mit einer Prise Sarkasmus. Peking teilte mit, man hätte den Kurs mit chinesischen Athleten getestet und er funktioniere. «Wenn er für die Chinesen funktioniert, dann für uns mit Sicherheit nicht», so Fiva.

Die letzten Olympischen Spiele in Pyeongchang verliefen für Fiva nicht nach Wunsch.

Die letzten Olympischen Spiele in Pyeongchang verliefen für Fiva nicht nach Wunsch.

Keystone

Der Bündner erinnert an die Olympiastrecke vor vier Jahren: «In Pyeongchang flog man von einen Sprung direkt auf den nächsten, weil wir viel schneller unterwegs waren als die Testpersonen». Gemeinsame Kurse für Skicrosser und Snowboardcrosser wie in Pekings Bergwelt sind ohnehin problematisch. «Damit sie funktionieren, müssen sie für Snowboarder anders sein. Diese sind auf dem gleichen Kurs mehr als 10 Sekunden länger unterwegs wie wir. Eine solche Strecke zu bauen ist eine extreme Herausforderung», sagt Fiva

Bernhard Russi ist jetzt auch ein Skicrosser

Eben erst hat auch eine andere Reise für die Skicrosser begonnen. Eine, die viel länger dauern wird als die Tour nach China und erst mittelfristig so richtig Wirkung verbreiten wird. Der internationale Skiverband hat im Sommer Skicross von der Sparte «Freestyle» zu den alpinen Skifahrern umgesiedelt.

Eine Entscheidung, welche auch Fiva als Athletensprecher der Skicrosser seit längerem gefordert hat und als «Riesenchance» bezeichnet. Er sagt, dass es bei den Nordischen mit den Sparten Langlauf und Skispringen ja auch funktioniere. «Und wir haben wenig am Hut mit dem Style der Freestyler. Bei uns geht es um Tempo. Es ist ein anderes Gedankengut.»

«Bei uns geht es um Tempo», sagt Fiva (Mitte) zum Skicross.

«Bei uns geht es um Tempo», sagt Fiva (Mitte) zum Skicross.

Keystone

Dass die Skicrosserinnen und Skicrosser dereinst den Zielhang auf der Streif in Kitzbühel hinunter jagen, glaubt der Weltmeister zwar nicht, da der Terminkalender der Alpinen für gemeinsame Weltcups bereits übervoll sei. «Aber die Weltmeisterschaft und vielleicht auch der Weltcupfinal am gleichen Ort wären durchaus eine erstrebenswerte Variante.» Fiva hat vernommen, dass Bernhard Russi als Vorsitzender der Alpin-Kommission die neuen Familienmitglieder durchaus mit offenen Armen und zugänglich für Ideen empfangen will.

Eine nachhaltige Wirkung wird die Umsiedlung aber so oder so haben. Bislang benötigten die Fahrerinnen und Fahrer, die zum allergrössten Teil aus dem alpinen Nachwuchs stammen, zwei verschiedene FIS-Lizenzen. «So gehen Talente verloren», sagt Fiva.

Fivas persönliches Duell: Perspektiven vs. Alter

Wie lange man das Talent des zweifachen Familienvaters Alex Fiva noch auf höchstem sportlichem Niveau bewundern kann, weiss der 35-Jährige vor seiner 16. Saison im Weltcup selbst noch nicht. Mit Olympia hat er zweifellos noch eine Rechnung offen, denn 2014 in Sotschi stoppte ihn ein Bandscheibenvorfall, nachdem er den Weltcup zuvor dominiert hatte. Und vier Jahre später in Pyeongchang gewann er die Qualifikation und stürzte dann im Viertelfinal.

Die WM-Rechnung der Schweizer hingegen hat Alex Fiva bekanntlich beglichen. Aber 2023 als Titelverteidiger in Georgien antreten und dem starken Männerteam mit derzeit einem halben Dutzend potenziellen Podestfahrern so einen zusätzlichen Startplatz sichern? «Hat seinen Reiz», sagt der Bündner, «wenn ich gesund bleibe.»

Fiva (links) jubelt vergangenen Februar nach seinem Sieg bei der Weltmeisterschaft in Schweden.

Fiva (links) jubelt vergangenen Februar nach seinem Sieg bei der Weltmeisterschaft in Schweden.

AP

Aber danach? Die Verlockungen werden nicht kleiner. 2025 folgt die Heim-WM in St. Moritz und 2026 performen die Skicrosser an den Olympischen Spielen von Cortina in Livigno – eine der Lieblingsdestinationen von Fiva. «Aber dann wäre ich ja schon 40», stellt er fest und weiss nicht genau, ob diese Erkenntnis eher bewundernd oder bedrohlich wirkt. Ähnlich wie der kurzfristige Blick auf die Wettkämpfe in Peking.