Er war Weltmeister, Olympiasieger und gewann den Gesamtweltcup. Doch das ist lange her. Längst kämpft Carlo Janka vor allem mit gesundheitlichen Problemen. Nun hat er genug und hört auf. In der Geschichte des Skisports bleibt der 35-jährige Bündner verewigt.
Er wird doch nicht? Er, der sonst nie grosse Emotionen zeigte. Carlo Janka sitzt auf einem Stuhl im Kinosaal von Wengen. In zehn Minuten wird er seinen Rücktritt verkünden. Zehn Minuten sitzt er da. Ganz still.
Vielleicht denkt er noch einmal an alles, was war. An seinen Olympiasieg, an seinen Weltmeistertitel, an den Triumph im Gesamtweltcup. Als einziger Schweizer neben Pirmin Zurbriggen hat er diesen Hattrick geschafft.
Immer mal wieder blinzelt er. Die Augen funkeln. Doch die Tränen, die bei vielen anderen im Moment, wenn das Karrierenende offiziell wird, laufen, bleiben aus. Carlo Janka bleibt sich treu. Auch kurz vor Schluss. «Bis jetzt fällt der Abschied nicht schwer», sagt er später. «Aber ich bin gespannt, was dann am Samstag passiert.»
Am Samstag bestreitet Janka die Abfahrt in Wengen, die er 2010 gewann. Es wird das letzte Rennen seiner grossen Karriere. «Es ist der schönste, der perfekte Ort dafür. Es ist mein Lieblingsrennen.»
Es endet also in Wengen. Das Lauberhorn, dieser Zauberberg der Schweizer, war für Janka oft so etwas wie ein Lebenselixier. Zumindest wenn es um seine Skikarriere ging. Wenn vieles schieflief – gesundheitlich vor allem –, kam es in Wengen schon irgendwie gut.
Acht seiner 28 Podestplätze im Weltcup hat Janka in Wengen errungen. «Mittlerweile kann ich nur noch hier schnell sein», sagt der 35-Jährige. Schon im Sommer und spätestens im Herbst spürte er, dass das Karrierenende naht. Er sagt:
«Ich hatte nur noch ein Ziel: noch einmal am Lauberhorn zu fahren.»
Auf dieser Strecke, die er so beherrscht, auf der ihm alles so leicht fällt. «Schön, dass es klappt.»
Marco Odermatt, der Dominator der Saison, der wohl als erster Schweizer seit Janka 2010 den Gesamtweltcup gewinnen wird und der am Freitag im Super-G von Wengen siegte, sagt vor seiner Abfahrtspremiere am Lauberhorn: «Bis ich das Brüggli-S so fahren kann wie Carlo – das sind Welten.»
Und wäre die Schlüsselstelle nicht schon einmal unbenannt worden in Kernen-S, nach dem Wengen-Sieger von 2003, dann würden die Organisatoren vielleicht mit dem Gedanken spielen, es nach Carlo Janka zu benennen.
OK-Präsident Urs Näpflin sagt: «Wir werden uns etwas einfallen lassen. Vielleicht eine Holzbank an der Strecke, auf der er im Sommer beim Wandern mit der Familie eine kurze Pause machen kann.»
Die Familie hat die Prioritäten im Leben von Carlo Janka verschoben. 2019 wurde er Vater einer Tochter. Im vergangenen Sommer heiratete er die Mutter des Kindes. Und im Frühling bekommt die Familie erneut Zuwachs.
«Der Fokus ist jetzt woanders. Und der Kopf war irgendwann nicht mehr bereit für das ganz grosse Risiko», sagt Janka. Er hat ein neues Lebenselixier. «Auch darum ist das Ende nur logisch.»
Seit Jahren kämpft Janka zudem mit starken Rückenproblemen und musste eine Disziplin nach der anderen aufgeben, bis nur noch die Abfahrt übrig blieb. «Die Störfaktoren wurden immer grösser», sagt Janka, der darum nie mehr an die frühen Erfolge anknüpfen konnte.
«Ich schaue auf eine sehr zufriedenstellende oder sogar optimale Karriere zurück. Am Anfang ist es sehr gut gelaufen und dann kamen Höhen und Tiefen dazu. Doch das ist normal. Ich durfte sehr schöne Momente erleben.»
2009 gewann Janka in Val d’Isère WM-Gold im Riesenslalom und Bronze in der Abfahrt. Im Folgewinter bestätigte er seine Erfolge trotz einer Viruserkrankung in der Vorbereitung und gewann erst in Wengen die Abfahrt, dann in Vancouver Olympiagold im Riesenslalom und schliesslich den Gesamtweltcup.
Doch die rätselhafte Viruserkrankung sollte ein Vorbote sein für alles, was kommen sollte. Im darauf folgenden Winter wurde bekannt, dass Janka an Herzrhythmusstörungen leide, worauf er sich im Februar 2011 operieren liess.
Nur zehn Tage nach dem Eingriff gewann er in Kranjska Gora einen Riesenslalom, und die Hoffnung war da, dass die Probleme nun enden würden. Tatsächlich verschwanden die Erschöpfungszustände, wurden aber bald von starken Rückenschmerzen abgelöst, die ihn bis heute begleiten und die ihn stark behindern.
Und so wurde aus Janka, dem nach diesen so erfolgreichen Wintern 2009 und 2010 eine Karriere als Star vorausgesagt wurde, ein gewöhnlicher Athlet. Einer, der zwar besonders in der Abfahrt besser als viele andere blieb und zwischendurch auch auf das Podest fuhr. Aber eben auch einer, der nicht mehr überragte.
Carlo Janka nahm dies alles mit einer stoischen Gelassenheit hin. So wie er schon seine Erfolge feierte: Kurz den Zeigefinger heben – und das war’s. So wie jetzt. Ein ganz Grosser des Skisports geht leise.