An den Schweizer Meisterschaften in Realp bestreitet Biathlon-Aushängeschild Benjamin Weger (32) sein letztes Rennen.
Zum Abschluss der Saison wird Realp am Samstag und am Sonntag zur grossen Bühne für den Schweizer Biathlon. An den Schweizer Meisterschaften kämpft die nationale Elite um Titel. Gleichzeitig hat Benjamin Weger seinen letzten Auftritt. In Realp, wo er Anfang der 2000-Jahre seine ersten Erfolge im Jugendbereich feierte, beendet er seine Karriere.
Werden Sie an den Schweizer Meisterschaften nochmals Vollgas geben?
Benjamin Weger: Das ist schon der Plan, ja. Seit ich Corona hatte nach den Olympischen Spielen, lief es zwar nicht mehr so rund. Aber in Otepää und Oslo ist mir doch noch das eine oder andere gute Resultat gelungen. Das stimmt mich zuversichtlich. Ich kann ja die Schweizer Meisterschaften völlig entspannt angehen. Deshalb: Freut euch auf ein Feuerwerk! (lacht)
Ein Katzensprung vom Goms entfernt werden Sie sicher von zahlreichen Fans angefeuert. Steigt nach dem Zieleinlauf das grosse Fest?
Mein Fanclub wird in Realp bestimmt lautstark für Stimmung sorgen. Ich hoffe, dass auch sonst noch viele Leute kommen, um mich zu unterstützen. Es wäre schön, wenn ich mit den Leuten, die über all die Jahre meine Karriere mitverfolgt, sich mit mir gefreut und vielleicht auch hie und da mit mir mitgelitten haben, anstossen könnte.
Sie waren 14 Jahre im Weltcup und haben 346 Rennen bestritten. Mit welchem Gefühl werden Sie am Sonntag Ihr Gewehr in die Ecke stellen?
Sehr schwierig zu sagen. Ich denke, ich werde erst einmal eine grosse Genugtuung und Zufriedenheit verspüren – und auch eine Erleichterung, weil es mir gelungen ist, so viele Jahre durchzuziehen und immer hundert Prozent zu geben. Darauf bin ich schon ein wenig stolz.
Kein Wehmut?
Ein bisschen Wehmut ist sicher auch dabei. Letztlich habe ich bis heute fast mein ganzes Leben dem Biathlon untergeordnet. Und jetzt ist das plötzlich Vergangenheit. Gut möglich, dass es sich dann nach einiger Zeit plötzlich anfühlt, als fehle mir etwas. Ich gehe also mit einem weinenden und einem lächelnden Auge. Aber der Zeitpunkt für meinen Rücktritt vom Spitzensport hat sich richtig angefühlt. Und das ist mir wichtig.
Worauf freuen Sie sich nach nun besonders?
Einfach einmal daheim zu sein und Zeit mit meiner Freundin und mit der Familie zu verbringen. Anders gesagt: Die Ruhe geniessen und in den Tag hineinleben. Jetzt kann ich machen, was ich will – ohne zu überlegen, was morgen oder übermorgen ist. Keine Trainingslager, keine Antidopingbehörde, der ich ständig mitteilen muss, wo ich mich gerade aufhalte, keine Leistungen bringen, kein Druck. Nur das tun, was ich will.
Haben Sie trotzdem konkrete Projekte, die Sie demnächst anpacken wollen?
Diesen Sommer werde ich zu Hause einen Stall zu einem Wohnhaus ausbauen. Das Ziel wäre, bis spätestens Anfang Winter fertig zu sein. Danach möchte ich eine grössere Reise machen. Das entsprechende Reisefahrzeug steht bereits mehr oder weniger bereit. Das ist übrigens ein Traum, den ich über all die Jahre hatte, in denen ich Sport gemacht habe: Einmal nach meiner Karriere einfach aufzubrechen und sozusagen die grosse Freiheit zu erleben.
Was ist das Wertvollste, das Sie dank Biathlon für Ihr Leben neben der Loipe gelernt haben?
Der Sport hat mich gelehrt, dass man auch in schlechten Zeiten die Flinte nicht ins Korn werfen darf. Ich spreche da aus Erfahrung, denn ich hatte ja nicht immer nur gute Zeiten. Aber Ich bin immer drangeblieben, und zwar seriös mit voller Kraft. Rückblickend weiss ich: Es ist dann immer alles wieder gut gekommen. Der Biss, der Durchhaltewille und der Glaube, dass man fast alles erreichen kann, wenn man wirklich will: Das ist schon etwas, das ich aus dem Sport mitnehme ins «normale» Leben.
Gab es Situationen, in denen Sie sich sagten: Jetzt schmeisse ich den Bettel hin?
An den Weltmeisterschaften in Antholz 2020 war ich nahe dran. Während der gesamten Saison war ich nicht auf Touren gekommen, weil ich es im Herbst mit dem Höhentraining übertrieben hatte. Ich war den ganzen Winter müde. An der WM erreichte ich zwar einen fünften Platz, was in meiner Verfassung eigentlich gigantisch war. Aber ich machte mir da schon Gedanken. Will ich wirklich nochmals mehr investieren und vielleicht wieder Fehler machen? Aber dann sagte ich mir: Ich bin noch nicht soweit, mit diesem Sport aufzuhören. Ich wusste ja, wo ich in der Saisonvorbereitung Fehler gemacht hatte. Deshalb sagte ich mir: So, jetzt packst du es nochmals an und machst es besser.
Also kein Höhentraining mehr?
Genau, darauf verzichteten wir. Was sich auszahlte. Ich kam stark wieder zurück, unter anderem mit einem Podestplatz und drei Top-Ten-Plätzen. Im Nachhinein war es für mich sicher die richtige Entscheidung, dass ich mir sagte: Jetzt zeige ich mir selber, was wirklich geht.
Biathlon ohne Benjamin Weger kann man sich in der Schweiz kaum vorstellen. Ist es möglich, dass man Sie irgendwann als Trainer an der Loipe sieht?
Gut möglich. Wohin die Reise geht, weiss ich allerdings noch nicht. Aber ich kann mir künftig gut eine Tätigkeit vorstellen, die mit Sport zu tun hat. Ob das Biathlon sein wird oder nicht, steht in den Sternen. Wovon ich als passionierter Fliegenfischer auch immer träume, ist eine Kombination zwischen Sport und Fliegenfischen. Ich könnte mir vorstellen, etwas zu machen, das mit Sport zu tun hat, mir aber gleichzeitig auch etwas rund ums Fliegenfischen aufzubauen. Aber das ist wie gesagt ein Traum. Es eilt auch nicht. Es ist ja nicht so, dass ich bereits morgen wissen muss, was ich machen will. Erst einmal wird gechillt.
Früh wurde der Obergommer Benjamin Weger mit herausragenden Sportlern wie dem Skispringer Simon Amman und dem Langläufer Dario Cologna verglichen. Obwohl ihm im Gegensatz zu Amman und Cologna der ganz grosse Erfolg vergönnt blieb, hat er massgeblich zur Popularität des Biathlons in der Schweiz beigetragen. Wegen seiner Medaillenchancen übertrug das Schweizer Fernsehen 2012 erstmals überhaupt live die Weltmeisterschaften. Sein Debüt im Weltcup gab Weger in der Saison 2008/2009. Bis heute hat er 346 Weltcup-Rennen absolviert. Fast hundert Mal schaffte er es in Einzelrennen oder mit der Staffel in die Top Ten. Einzig ein Sieg blieb dem Schweizer Nachwuchssportler des Jahres 2012 vergönnt. Sein bestes Weltcup-Resultat war ein zweiter Platz im Einzel von Pokljuka 2010. In jeder der vier Einzeldisziplinen – Sprint, Verfolgung, Einzel, Massenstart – schaffte Weger mindestens einmal den Sprung auf das Podest. An den Olympischen Spielen 2018 gewann er im Einzel und in der Verfolgung ein Diplom. (pd)