13 Jahre nach seinem ersten und einzigen Erfolg bei den Australian Open greift Rafael Nadal in Melbourne nach seinem 21. Grand-Slam-Titel. Gegner Daniil Medwedew spielt um den Weltranglistenthron.
Fast ungläubig liess Rafael Nadal den tosenden Applaus in der Rod-Laver-Arena auf sich niederprasseln, die Faust immer wieder wild jubelnd durch die Luft fliegen – einmal, zweimal, dreimal. Zum 29. Mal steht er im Final eines Grand-Slam-Turniers, zum sechsten Mal in Melbourne. Wie viel ihm das bedeutet, offenbarte sich, als er seine Sachen packte und die Tränen nicht zurückhalten konnte. Sein Gesicht vergrub Nadal in der Tennistasche.
Auch später, als er Gedanken und Emotionen hat sortieren können, fehlten dem Spanier die Worte: «Es fällt mir schwer zu beschreiben, was mir das bedeutet. Denn es ist noch nicht lange her, dass ich mit der Familie und meinem Team über meinen möglichen Rücktritt gesprochen habe.»
Im Sommer feiert Nadal seinen 36. Geburtstag, im letzten Jahr hat er nur sechs Turniere bestritten und ab August wegen einer hartnäckigen Blessur am linken Fuss ein halbes Jahr pausieren müssen. Seit Jahrzehnten leidet der Spanier am Müller-Weiss-Syndrom, einer Knochenkrankheit, die bei ihm zur schmerzhaften Deformierung des Kahnbeins im Mittelfuss führte. Ende 2021, so erzählte es Nadal, sei nicht nur unklar gewesen, ob er in Australien spielen, sondern ob er überhaupt zurückkehren würde. Er tat es. Und wie. Gleich sein erstes Turnier, in Sydney, gewann Rafael Nadal.
Für Nadal, das gab er mit entwaffnender Ehrlichkeit zu, waren die letzten Monate die ganz persönliche Hölle. «Ich habe gelitten und gekämpft. Die Zweifel werden mich bis zum Ende der Karriere begleiten.» Doch, und das ist eben auch Rafael Nadal: Er verlor nie die Relationen. «Was ich erlebt habe, ist nichts im Vergleich zu dem, was viele Familien durchgemacht haben, die Angehörige verloren und unter der Pandemie gelitten haben.»
Im Männertennis ist Rafael Nadal der König der Leiden, ganz besonders in Australien. 2010 war es das Knie, 2011 konnte er wegen Rippenproblemen kaum mehr servieren, 2013 schwächte ihn eine Magen-Darm-Infektion, 2014 im Final gegen Wawrinka der Rücken (und Blasen an den Händen). 2019 musste er wegen muskulärer Probleme unter Tränen aufgeben. 2020 behinderte ihn eine Verletzung am Oberschenkel. Und 2021 kämpfte er sich mit Rückenproblemen durchs Turnier. Es war, als sei Nadal für seinen einzigen Sieg in Melbourne einen Pakt mit dem Teufel eingegangen.
Dabei war es nicht nur der Fuss, der Rafael Nadals Rekordjagd diesmal zu sabotieren drohte. Kurz vor Weihnachten war er bei einem Schaukampf in Abu Dhabi auf den Platz zurückgekehrt und steckte sich dort wie Belinda Bencic mit dem Coronavirus an. Die Symptome waren heftig. Nadal sagte, während Tagen habe er sich kaum bewegen können. Und im Viertelfinal gegen Denis Shapovalov machte ihm eine Magenverstimmung zu schaffen.
Nun bietet sich ihm, in Abwesenheit von Rekordsieger Novak Djokovic, die Chance, sein 21. Grand-Slam-Turnier zu gewinnen – er würde damit jene Rekordmarke übernehmen, die er sich mit dem Serben und Roger Federer teilt. Es wäre sein zweiter Sieg in Melbourne nach 2009, als er Federer in fünf Sätzen besiegt hatte. Seither verlor Nadal dort viermal im Final: 2012 und 2019 gegen Djokovic, 2014 gegen Stan Wawrinka, 2017 gegen Federer.
Die Australian Open sind das Grand-Slam-Turnier, das Nadal nicht nur am seltensten gewonnen hat, sondern wo er auch die Hälfte seiner bisher acht Niederlagen in Major-Finals erlitten hat. Gewinnt Nadal nun ausgerechnet dort seinen 21. Grand-Slam-Titel, würde sich nicht nur der Pakt mit dem Teufel in Luft auflösen. Nadal würde auch Argumente sammeln, wenn es darum geht, wer dereinst als bester oder erfolgreichster Tennisspieler in die Annalen eingehen wird: er, Novak Djokovic oder doch Roger Federer.
Rafael Nadal, den König der Leiden, treibt anderes an. Schon nach dem Vorstoss in die Halbfinals sagte er: «Ganz ehrlich, am Ende des Tages ist es für mich sehr viel wichtiger, wieder Tennis spielen zu können, als den 21. Grand-Slam-Titel zu gewinnen. Das machen zu können, was ich am meisten liebe, macht mich glücklicher als jeder Grand-Slam-Sieg.»
Im Final trifft Nadal auf den Russen Daniil Medwedew. Dieser setzte sich in vier Sätzen gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas (23, ATP 4) durch und steht wie schon 2021 im Final der Australian Open. Im Herbst hinderte der 25-Jährige Novak Djokovic im Final der US Open an dessen 21. Grand-Slam-Titel und zugleich am Kunststück, alle vier Major-Turniere innerhalb einer Saison zu gewinnen. Medwedew wäre der erste Spieler seit John Newcombe 1967, der nach seinem Premieren-Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier auch das darauf folgende Turnier auf dieser Stufe gewinnt.
Gewinnt Daniil Medwedew die Australian Open, löst er Novak Djokovic an der Spitze der Weltrangliste ab. Der Serbe führt diese seit Februar 2020 an.
Zwar hat Medwedew das bisher letzte Duell gegen Nadal Ende 2020 für sich entschieden, der Spanier hat aber drei der bisher vier Begegnungen gewonnen, darunter 2019 den Final der US Open, in dem er beinahe eine 2:0-Satzführung noch verspielte. Am Ende setzte sich aber Nadal durch, nach 4:50 Stunden Spielzeit. Er war einmal mehr der König der Leiden.