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Für die Schweizer ist der Titelkampf bereits in der Halbzeit der Motorrad-Weltmeisterschaft vorbei. Am Ende stehen die Piloten aus jenen Teams ganz vorne, die es verstehen, Sport und kommerziellen Zirkus zu trennen – das gelingt den Schweizern nicht.
Alle Jahre wieder. Nach einem vielversprechenden Saisonstart ist bei «Halbzeit» der Titelkampf für Tom Lüthi schon vorbei. Dabei schien nach dem Sieg im ersten Rennen alles so harmonisch und aufeinander abgestimmt wie eine Wagnerpartitur in einer Aufführung von Alberto Toscanini. Also wie perfekt gespielte und dirigierte Musik. Nun, nach dem GP von Deutschland mit dem zweiten Sturz und «Nuller» hintereinander ähnelt das Unternehmen WM-Titel eher dem Turmbau zu Babel. Es sprechen im Schweizer «Dream-Team» mit Tom Lüthi (29), Dominique Aegerter (25) und dem Gentlemen-Driver Robin Mulhauser (24) einfach nicht alle die gleiche Sprache.
Es ist Kritik auf hohem Niveau. Tom Lüthi (4.) und Dominique Aegerter (9.) sind in der WM nach wie vor formidabel klassiert. Kein anderes Land ausser Italien hat in der zweitwichtigsten Töff-WM zwei Fahrer in den «Top Ten». Und das ist die zentrale Ursache für das erneute Scheitern im Titelkampf. Die Sponsoren sind durchaus zufrieden mit der medialen Beachtung (SRF bringt die Rennen live) und der Möglichkeit, den Kunden mit einem Besuch der Europa-GP etwas ganz Besonderes zu bieten. Unser «Dream-Team» ist auch ohne regelmässige Siege und ohne WM-Titel eine überaus erfolgreiche «Marketingmaschine» mit einem Hauch von Zirkus. Aber Motorradrennsport ist auch technische Detailarbeit auf höchstem Level. Am Ende stehen die Piloten aus jenen Teams ganz vorne, die es verstehen, Sport und kommerziellen Zirkus zu trennen. Genau das gelingt Teamchef Fred Corminbœuf bei unseren «Dream-Team» nicht. Deshalb franst nach gutem Beginn zwischen Mai und August alles aus. Der Erfolg kehrt meistens erst in der Ruhe der Übersee-GP in der Schlussphase der Saison zurück. Zu viele äussere Faktoren stören immer wieder die Konzentration der Fahrer. Auch wenn dadurch die Karrieren von Tom Lüthi und Dominique Aegerter nicht in Gefahr geraten und beide im kleinen Schweizer Markt gut leben – es kann im Sport keine Zufriedenheit geben, wenn nicht ein Optimum herausgeholt wird.
Der Finne Aki Ajo ist der erfolgreichste Teamchef der Moto3- und Moto2-Klasse. Er produziert Jahr für Jahr Weltmeister. Sein Fahrer Johann Zarco hat gestern auf dem Sachsenring gewonnen und ist drauf und dran, als Erster den Moto2-Titel zu verteidigen. Beim introvertierten Finnen gibt es keinen «Zirkus». Der Sport hat das Primat über alle kommerziellen Tätigkeiten. Er würde mit ziemlicher Sicherheit Tom Lüthi zum Weltmeister und Dominique Aegerter wieder zum Siegfahrer machen.
Alle wissen im Fahrerlager um das enorme Potenzial der beiden Schweizer. Beide sind auch jetzt wieder bei mehreren Moto2-Teams begehrt. Zumal sie ein nettes Sponsorenpaket mitbringen. Fred Corminbœuf geht allerdings davon aus, dass die beiden Berner die Komfortzone seines Teams nicht verlassen werden. Aber er sollte diesmal den Willen von Dominique Aegerter nicht unterschätzen, die Karriere durch einen Wechsel neu auszurichten. Gestern ist der Sachsenring-Sieger von 2014 nur auf Rang 10 gefahren, zum ersten Mal von Jesko Raffin (8.) besiegt worden – eine Niederlage, die sein Selbstvertrauen tief getroffen hat.
Der 19-jährige Zürcher Raffin ist ein grosses, mit Dominique Aegerter vergleichbares Talent und war erstmals bester Schweizer. Er fährt in seinem zweiten Moto2-WM-Jahr um die Fortsetzung seiner Karriere. Aber er und sein Manager Marco Rodrigo haben es schwer, im Windschatten des mächtigen «Dream-Teams» Medienpräsenz, Sponsorengelder und für 2017 einen Platz in einem Team zu bekommen.
Ein Aufbrechen des helvetischen Töff-Marktes (und des «Dream-Teams») durch einen Wechsel von Tom Lüthi oder Dominique Aegerter in einen anderen Rennstall könnte frischen Wind in die Schweizer Töffszene bringen – und Jesko Raffin eine Zukunft.