Gewinnt Nino Schurter am Sonntag Gold, dürfen sich auch die Funktionäre von Swiss Cycling eine Scheibe davon abschneiden.
Funktionäre sind nicht sexy. Gerade der Sport schreit nach braun gebrannten Helden, die an Grossanlässen über sich hinauswachsen und Edelmetall mit nach Hause bringen. Und nach der kolossalen Leistung am Tag X fängt der Trubel für den Sieger der Stunde erst an. Am Ziel warten die Fotografen und Journalisten, am Telefon der alte Weggefährte und ein neuer Sponsor. Die Vertreter des eigenen Sportverbandes erhalten bestenfalls kurz Gelegenheit für eine flüchtige Gratulation. Das Schaufensterlicht ist dabei nicht auf sie gerichtet.
Dass der Athlet im Erfolgsfall kompromisslos auf der Sonnenseite steht und der Funktionär höchstens benötigt wird, um einen Misserfolg zu erklären – daran hat man sich auch beim Radverband Swiss Cycling längst gewöhnt. So sind die Gesetze des Sports nun mal. Daran will man auch nicht rütteln, darüber nicht klagen.
Sollte Nino Schurter am Sonntag Gold gewinnen, dann jubeln auch die Funktionäre von ganzem Herzen. Und doch hebt Thomas Peter, der Leistungssportverantwortliche von Swiss Cycling, den Mahnfinger. Denn während der Sieger im Hier und Heute schwelgt, denkt der Funktionär oft bereits an die nächste Herausforderung. Je höher die sportliche Messlatte liegt, umso schwieriger ist es, den Standard längerfristig zu halten. Konkret: Wer kommt nach Nino Schurter?
Swiss Cycling hat dabei von all den in Rio de Janeiro vertretenen Schweizer Sportverbänden eine spezielle Rolle. In den allermeisten Disziplinen ist die Qualifikation für das Nationalkader der Elite die höchste Hierarchiestufe eines Athleten.
Nur beim Tennis spielt diese gar keine Rolle und beim Radsport eine sehr begrenzte. Hier sorgt der Verband zwar mit seinen nationalen Fördergefässen ab der U17-Jugend dafür, dass es ein Talent bis an die internationale Spitze schafft. Und nimmt man die Resultate der Mountainbiker als Währung, geschieht dies mit ziemlich grossem Erfolg.
Doch mit Erreichen des Profi-Levels begeben sich die vielversprechendsten Fahrer unter die Fittiche eines Rennstalls. Dieser profitiert nicht nur vom jahrelangen Aufbau durch Swiss Cycling. Er erntet auch die Früchte, kann den Olympiahelden präsentieren und vermarkten. Das gleiche Spiel bei den Geldgebern. Der Trend ist deutlich: Sponsoren wollen in den erfolgreichen Sportler von heute investieren und nicht in die Verbandsarbeit von morgen.
Selbst bei den öffentlichen Geldern existiert diese Tendenz zur direkten Subvention von Athleten. Verbände «verbrennen» das Geld schliesslich nur in der Administration, so das landläufige Klischee. Deshalb ist für Thomas Peter die grosse Frage bei den geforderten zusätzlichen 30 Millionen Franken pro Jahr in die Kassen des Schweizer Sports, um die internationale Konkurrenzfähigkeit zu bewahren, das «wohin».
«Wir haben unser Budget für den Leistungssport in den letzten fünf Jahren von zwei auf vier Millionen Franken pro Jahr verdoppelt. Es wird aber zunehmend schwieriger, dieses Budget zu stemmen», sagt Peter, «und strukturell hat und wird sich der Radsport weiterhin rasant verändern.» Im Verhältnis zum öffentlichen Interesse an der Sportart sei die Stellung des Verbandes als tragendes Element viel zu schwach. Das gelte im Übrigen auch für den internationalen Verband UCI.
Gerade das Beispiel von Nino Schurter zeigt, wie gross der Aufwand beim Verband und damit letztlich auch der Anteil am Erfolg ist. Nicht nur profitierte die grosse Schweizer Goldhoffnung vom gesamten Aufbau auf Kaderstufe und bekam durch die Selektionsentscheide von Swiss Cycling Zugang zu den persönlichen Leistungen der Schweizer Sporthilfe und von Swiss Olympic.
Schurter nahm neben dem gemeinsamen Tagen im Nationalkader und jährlich zwei umfangreichen Leistungsdiagnostik-Tests auch in anderem Umfeld die Unterstützung des Verbandes in Anspruch. Wie rund 30 weitere Velosportler, unter ihnen auch der Bahnvierer von Rio, profitierte Schurter von Diensttagen im Solde der Armee. Bis heute haben sich beim Bündner so 606 Militärtage angehäuft.
Um ihren Athleten diese Trainings unter professionellen Bedingungen zu ermöglichen, muss Swiss Cycling für die Betreuung rund um die Uhr besorgt sein. Eine Spitzensport-RS absorbiert zwei vollamtliche Trainer. Die Kosten trägt der Verband.
Schurter profitierte auch von der verbandsseitig organisierten und bezahlten Möglichkeit, 18 Monate vor Rio ein zweiwöchiges Trainingslager in Brasilien, ein Jahr zuvor den Testwettkampf auf der Olympiastrecke, im Vorfeld der Olympischen Spiele ein Höhentrainingslager und unmittelbar vor dem Entzünden der olympischen Flamme ein frühzeitiges Vorbereitungscamp vor Ort zu absolvieren. Alles Massnahmen von Swiss Cycling, um den Erfolg der Aushängeschilder zu gewährleisten.
Zu Recht ein wenig stolz ist Thomas Peter auf ein Materialprojekt, das wenn nicht sogar das Tüpfelchen auf dem i ausmacht, so doch zumindest einen technischen und gleichwohl psychologischen Vorteil bewirkt. In Zusammenarbeit mit dem Baspo untersuchte man den Rollwiderstand von Felgen, Reifen und Räder. «Wir waren selbst überrascht, wie viel dieser bisher vernachlässigte Aspekt in einem Bikerennen ausmacht», sagt Peter.
Tests zeigten, dass der Unterschied auf eine Rennzeit von einer Stunde bis zu zwei Minuten betrug. Und Nino Schurter war noch vor einem Jahr im letzten Drittel dieses Feldes. Mit Proband Schurter ging es in die nächste Projektphase. Bis kurz vor Rio wurde weitergetestet und schliesslich konnte der fünffache Weltmeister vor wenigen Wochen das neue Reifenmaterial erstmals unter Wettkampfbedingungen testen.
Nicht nur deswegen dürfen sich auch die unpopulären Funktionäre von Swiss Cycling ein wenig im hoffentlich goldenen Licht von Rio sonnen. Aber nur kurz, schliesslich wartet bereits das nächste Projekt. Auch wenn dies manche als Verschleuderung von Fördergeldern betrachten. Gelder, die ihrer Meinung nach direkt beim Athleten besser eingesetzt wären. Tatsächlich?