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Xamax feiert den Aufstieg, Sion und Lausanne zittern um den Klassenerhalt. Doch wie steht es generell um den Fussball in der Romandie? Die «Schweiz am Wochenende» hat sich vor Ort bei Experten umgehört. Das Ergebnis ist nicht besonders ermutigend.
Das Treffen mit Bernard Challandes findet in La Chaux-de-Fonds statt. Es ist kalt und windig an diesem Mittwochmorgen im Jura auf 1000 Metern über Meer. Doch einen Bergler wie Challandes kümmert das nicht.
Leidenschaftlich referiert er über den Westschweizer Fussball. Wer könnte dafür geeigneter sein als er? Der 66-Jährige, seit zwei Monaten Nationalcoach von Kosovo, hat in der Romandie mit Ausnahme von Lausanne alle Spitzenvereine trainiert.
Auch den FC La Chaux-de-Fonds, als dieser noch in der Nationalliga A spielte. Wir wollen zwar nicht über die alten Zeiten reden, doch der dreifache Meister und sechsfache Cupsieger ist halt ein Symbol für die Jahre, als die Musik im Schweizer Fussball oft in der Romandie spielte.
«Das Geld der florierenden Uhrenindustrie lockte damals viele Stars an», erzählt Challandes. «Ein Spieler bekam das Dreifache dessen, was ein Uhrmacher verdiente.» Zwar seien diese Firmen auch heute noch da, würden aber als Sponsor lieber auf internationaler denn auf lokaler Ebene auftreten, sagt Challandes.
Kein Wunder, turnt der FC La Chaux-de-Fonds am Schwanz der drittklassigen Promotion League herum.
Aber auch Servette, Lausanne, Sion und Xamax sind nicht mehr, was sie einmal waren. Fast 19 Jahre sind es her, seit mit dem FC Servette letztmals ein Verein von jenseits des Röstigrabens Schweizer Meister wurde.
Er ging in der Finalissima gegen Lausanne-Sports als Sieger hervor. Seither sahen sich die Klubs der französischsprachigen Schweiz mit vielen Problemen konfrontiert. Konkurse, kriminelle Investoren sowie Punkteabzüge zerkratzten das Image.
Viele Leute wandten sich vom Super-League-Fussball ab. Vor sechs Jahren musste Xamax in der interregionalen 2. Liga neu beginnen, ist aber ab der neuen Saison und nach insgesamt vier Aufstiegen zurück in der höchsten Klasse, in der es einst ein dominanter Player war.
Vor der Sonne gestanden sind die Neuenburger aber Servette, einem zweiten aufstiegswilligen Klub aus der Romandie. Und weil vier Runden vor Schluss mit Sion und Lausanne in der Super League zwei Teams aus dem Westen des Landes am akutesten vom Abstieg in die Challenge League bedroht sind, wäre es deplatziert, nach der Promotion von Xamax von einer Renaissance des Westschweizer Fussballs zu sprechen.
Wie es um diesen bestellt ist, zeigt das Gesicht der Schweizer Nati. In den Barrage-Spielen gegen Nordirland stand mit Denis Zakaria gerade mal ein einziger Romand in der Startaufstellung, im Testspiel gegen Griechenland sogar keiner.
Für Xamax hat Challandes aber Lob parat: «Ich bewundere, wie dort gearbeitet wird. Präsident Christian Binggeli gibt nicht mehr Geld aus, als er einnimmt.» Aber nun sei es wichtig, den Klassenerhalt zu schaffen, um den Goodwill nicht zu verlieren, sagt Challandes.
«Es darf nicht vergessen gehen, woher der Klub kommt. Es ist verboten, von alten Zeiten und vom Europacup zu träumen.»
In der Super League sieht Challandes Lausanne als den Abstiegsanwärter Nummer 1. «Ausgerechnet jetzt, wo der Klub dank dem neuen Besitzer finanziell mal gut dasteht, droht er in der Challenge League zu verschwinden. Das ist sehr schade», hadert Challandes.
Wenn die Ineos-Gruppe die schwierige Situation aber akzeptiere und Geduld beim Bau eines neuen Lausanne-Sport zeige, dann sehe er zusammen mit dem neuen Stadion gleichwohl ansprechende Perspektiven, sagt der Neuenburger.
Zum FC Sion mit seinen treuen Zuschauern hat er eine klare Meinung: «Auch wenn er nicht immer vorbildlich geführt wird und eine schwierige Saison durchmacht, verdient es das Wallis, dass sein Aushängeschild in der Super League überlebt.»
Über Servette schliesslich sagt Challandes: «Präsident Didier Fischer hat den Klub stabilisiert. Jetzt ist entscheidend, wer neuer Trainer wird.»
Das sieht Michel Pont genauso. Der Genfer war viele Jahre bei der Nati der Assistent von Köbi Kuhn und Ottmar Hitzfeld. Heute hat er ein Mandat als Berater des Servette-Präsidenten und kümmert sich um den Nachwuchs.
An diesem Nachmittag beobachtet er im Trainingszentrum Balexert die Junioren und spricht mit den Trainern. Der 63-Jährige ist stolz auf die vielen Talente, die hier gefördert werden.
«Der grosse Vorteil von Genf ist die Kleinräumigkeit», sagt Pont. «Von allen Genfer Klubs ist der Weg zu Servette kurz. Es gibt 9000 Junioren und das Ziel ist, dass von jedem Jahrgang die besten 15 bei uns sind.»
Damit die Talente aber hier blieben, sei es wichtig, dass die erste Mannschaft in der Super League spiele, sagt Pont. «Es ist frustrierend, dass wir immer die Besten wie Zakaria, Bua oder Kutesa abgeben müssen.»
Pont denkt, dass Servette auf einem guten Weg sei, es aber grosse Anstrengungen und Geduld brauche, um die Leute ins Stadion zu locken. «Genf ist in dieser Beziehung speziell», sagt Pont. «Doch ich träume davon, in ein paar Jahren vier frankophone Klubs in der Super League zu sehen.»
Der frühere Lausanne-Profi Alexandre Comisetti trainiert den 1.-Ligisten Echallens und arbeitet in einer Firma aus der Heiztechnikbranche. Lausanne ist nicht weit und Comisetti bestens informiert, was auf der Pontaise passiert.
Er hat an diesem Tag viele geschäftliche Termine, nimmt sich bei einer Tasse Kaffee aber die Zeit, seine Meinung über Lausanne zu sagen: «Die Romandie hat mit vielen Investoren schlechte Erfahrungen gemacht, Ineos aber ist seriös und arbeitet nachhaltig.»
Auch der neue Sportchef Pablo Iglesias sei eine Topbesetzung, sagt der 44-jährige frühere Nationalspieler. «Und schauen Sie mal auf die linke Seite, wenn Sie nach Lausanne zurückfahren. Sie werden staunen.»
Comisetti meint die Grossbaustelle, auf der mit Hochdruck am neuen Stade de la Tuilière gearbeitet wird. «2019 ist die Eröffnung. Es wäre eine Katastrophe, wenn Lausanne ausgerechnet jetzt abstiege. Aber die Ausgangslage ist im Moment sehr schlecht.»
Überhaupt gibt es laut Comisetti für den Fussball in der Westschweiz nur bescheidene Perspektiven. «Wir wachen zwar langsam auf, aber die Deutschschweiz hat bezüglich Professionalität und Organisation zehn Jahre Vorsprung. Lausanne bekommt nun zwar ein Stadion, Basel jedoch hat seit bald zwanzig Jahren eines.»
Sébastien Fournier, der Technische Leiter des FC Sion ist mit dem Auto unterwegs nach Genf. «Wir sind in einer gefährlichen Situation. Wir spielen unter Maurizio Jacobacci zwar gut, holen aber zu wenig Punkte.»
Doch Fournier weigert sich daran zu denken, was los wäre im Tal bei einem Abstieg. «Wir Walliser gehören mit unserer Mentalität und Tradition in die Super League. Im Gegensatz zu den anderen Klubs in der Region haben wir im Tourbillon einen einzigartigen Spirit.»
Die kritischsten Töne über die Situation im Westschweizer Fussball schlägt ausgerechnet ein Mann an, der soeben aufgestiegen ist. Wir treffen Stéphane Henchoz, den Assistenztrainer von Neuchâtel Xamax, vor dem Nachmittagstraining.
«Die Leute hier sind zwar zufrieden, dass wir wieder oben sind. Aber von Euphorie kann keine Rede sein», sagt Henchoz. «In Neuenburg spricht kein Mensch über Fussball. Ich weiss das, weil ich hier wohne.»
Obwohl viele Neuenburger bei Xamax spielten, gebe es kaum eine Identifikation mit dem Klub. «Schauen Sie nach St. Gallen und Luzern. Dort definieren sich die Menschen über die Farben ihres Vereins.» Erstaunlich: In der Westschweiz passiert dies nur im Eishockey.
Der 43-Jährige, der als Spieler von Liverpool die englische Begeisterung für Fussball gesehen hat, wirkt desillusioniert. Er zeichnet ein düsteres Bild: «In der Romandie gibt es keine Fussballkultur. Niemand will Servette und Lausanne sehen.
In der Deutschschweiz haben Klubs wie Winterthur und Aarau trotz einer miserablen Saison mehr Leute im Stadion.» Als er selber noch für Xamax gespielt habe, seien oft 10 000 Zuschauer gekommen. «Diese Zeiten sind vorbei. Ausser im Wallis gibt es bei uns keine Passion mehr für den Fussball», sagt Henchoz.
Das sei aber vor den Konkursen schon ein Trend gewesen. Bevor er sich verabschiedet, sagt er noch: «Die Beziehung der Welschen zu ihrem Fussball ist eine Katastrophe.» Um schulterzuckend anzufügen: «Aber vielleicht wird es ja wieder einmal besser.»