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Geoffroy Serey Dié (33) verkaufte Zigaretten vor Nachtklubs, war Tellerwäscher und landete im Flughafen-Knast. Und alles nur, weil er einen grossen Traum hatte: Er wollte Fussball-Profi werden.
Er war am Boden zerstört, sein Traum in Trümmern. «Die Überzeugung, dass ich eines Tages Fussballprofi würde, war dahin. Aber die Liebe für diesen Sport loderte noch immer in mir», sagt Geoffroy Serey Dié. Heute ist er 33-jährig, Fussballprofi beim FC Basel, Nationalspieler der Elfenbeinküste.
Aber damals, er war knapp zwölf Jahre alt, ging für ihn eine Welt unter. Sie hatten ihn aus dem Fussballinternat in Abidjan geworfen. Das Geld ging aus, fast die Hälfte aller Fussballschüler musste gehen. Serey Dié war einer von ihnen.
Drei Jahre zuvor hat er gegen den Willen seiner Eltern durchgestiert, dass er nach Abidjan in die Akademie gehen durfte. Sie wollten, dass er weiter zur Schule geht, er träumte vom Fussball. Letztlich lenkte sein Vater ein, leihte sich sogar Geld, um dem Sohn die Reise in die Hauptstadt Abidjan zu finanzieren. «Meine Mutter hat nur noch geweint», erinnert er sich.
Zuerst war nur Freude, dann kam die Einsamkeit. «Meine Kollegen hatten immer wieder Besuch, aber es dauerte zwei Jahre, bis mein Vater vorbeikam. Ich traute meinen Augen nicht, als er nach dem Mittagessen plötzlich dort stand. Es ist eine der schönsten Erinnerungen an ihn.»
Serey Dié ist eines von insgesamt 17 Kindern, das dritte seiner Mutter, das dreizehnte seines Vaters, der 2004 starb, lange bevor sein Sohn den Durchbruch schaffte. Serey Dié wächst in Man, einem Handelszentrum im Landesinnern auf, sieben Autostunden von der Hauptstadt an der Küste entfernt. Sein Vater ist längst in die Jahre gekommen, als Klein-Geoffroy in die Akademie geht. Die Reise ist eine Tortur für den betagten Vater, der Besuch ein grosser Effort.
Und dann ist plötzlich Schluss. Von den 105 Kindern müssen 45 gehen. Serey Dié kommt bei seinem Onkel unter, er hadert mit sich und der Welt. Er trainiert in einem Trainingszentrum. Um sich Schuhe und Ausrüstung leisten zu können, verkauft er Zigaretten vor Nachtklubs.
Am Abend trainiert er. Meistens. Denn die Zweifel nagen an ihm. Bis mit 17 ein Spielerberater auf ihn aufmerksam wird. Dieser schickt ihn zu Probetrainings zu Klubs im Landesinnern. Das Fazit ist immer das gleiche: «Nein, der ist zu klein.»
Ein Jahr später klappt es plötzlich doch noch. Ein Freundschaftsspiel gegen einen Klub aus der höchsten Spielklasse der Elfenbeinküste, die Klubführung ist begeistert, verpflichtet ihn. «Heute kennt man mich als defensiven Mittelfeldspieler. Damals aber spielte ich noch offensiv, war der beste Torschütze des Klubs», sagt der Mann, den die FCB-Fans aufgrund seiner Aggressivität oft «Krieger» nennen.
Nur ein Jahr spielt er in der Provinz, dann der Wechsel zu Stade d’Abidjan und von dort weiter nach Tunesien. Zur Liftmannschaft EOG Kram. «Ich war drittbester Torschütze der ivorischen Meisterschaft als sie mich holten. Sie waren Letzte.» Dafür winkt endlich ein anständiger Lohn. «Aber bis zur Pause in den Wintermonaten habe ich nur zwei Monatslöhne und zwei Prämien erhalten», erinnert er sich.
Und als er nach dem Urlaub zurückfliegen will, weigert sich der Klub zu zahlen. Man fürchtet, dass er wegen der ausstehenden Zahlungen vor Gericht geht. Als dann die ersten zwei Spiele in der Rückrunde verloren gehen, lässt man ihn doch einfliegen, aber nur nachdem er per Unterschrift bestätigte, dass er stets seinen Lohn erhalten habe.
Ein einziges Spiel macht der Kämpfer noch, dann löst er den Vertrag auf. Zu vieles lief falsch, er zog es vor, vertragslos zu sein. Gemeinsam mit anderen dunkelhäutigen Spielern ohne Vertrag lebt er in einem Haus. Essen kauft, wer gerade Geld hat. Trainiert wird gemeinsam auf einem nahe gelegenen Platz. Serey Dié geht am Abend in Restaurants und putzt, wäscht Teller, schlägt sich irgendwie durch. Bis der Anruf eines ehemaligen Trainers kommt.
Er will ihn mit nach Libyen nehmen. Das Visum soll er am Flughafen kriegen, sagen die Klubverantwortlichen. Und so fliegt er zusammen mit dem Trainer los. Dort angekommen aber, ist kein Visum da. Er wird im selben Flugzeug zurückgeschickt. «Danach wollten sie Geld für den Flug, aber ich hatte ja nichts», erzählt Serey Dié, «also nahmen sie mich fest und steckten mich ins Flughafen-Gefängnis.»
Der Trainer vergisst ihn nicht, schickt seine Frau, die Serey Dié gegen Kaution frei bekommt. Also wieder Teller waschen und hoffen. Es lohnt sich, der algerische Spitzenklub ES Sétif lädt ihn zum Probetraining ein. «Ich musste mir das Geld zusammensparen, um mit dem Taxi ins Nachbarland zu reisen. Einen ganzen Tag ist er unterwegs.
Und als er ankommt, lautet das gnadenlose Verdikt des Sportchefs: Nein, der ist zu klein! Er könne bei den Nachwuchsspielern schlafen, dann könne er zurückreisen, die Rückreise würde der Klub bezahlen. «Gott stand mir bei in diesem Moment», sagt Serey Dié heute. Wie er überhaupt oft von Gott spricht. Ihm verdankt er alles, dank ihm hat er all die Leiden überstanden, sagt er.
Serey Diés Glück ist, dass Sétif am Tag seiner Ankunft spielt und verliert. Als die Spieler tags darauf zum Auslaufen kommen, erinnert sich der Trainer, dass ein neuer Mann für ein Probetraining angekündigt war. Er fragt nach, lässt den jungen Ivorer holen und mit dem Team trainieren.
«Sétif ist ein grosser Klub, es hatte zahlreiche Fans als wir trainierten. Ich war hungrig, ich habe mich verrissen, alles gegeben - und plötzlich fragten alle nach mir», sagt Serey Dié heute. Noch am gleichen Tag unterschreibt er einen Vertrag. «Langsam verdiente ich etwas mit dem Fussball. Ich erhielt 700 Euro pro Monat plus 300, 400 Euro Prämien. Für mich waren das Millionen.»
Mit Sétif gewinnt er die arabische Champions League. Und als sie im Final spielen, ist Paolo Urfer vom FC Sion auf den Rängen. Eigentlich ist er wegen einem anderen Spieler dort, wegen Spielmacher Lazhar Hadj AÏssa. Aber er wird den Sechser mit ins Wallis nehmen.
Es ist Serey Diés Ticket nach Europa. Das grosse Los. Und der Eintritt in eine andere Welt. «Ich war so übermotiviert zu Beginn bei Sion, dass ich praktisch in jedem Spiel eine rote Karte kassierte», erinnert sich der FCB-Abräumer.
Aber er lernt, verbessert sich und landet schliesslich beim FC Basel. Hier grätscht er sich mit seiner aufopferungsvollen Art innert Kürze in die Herzen der Fans. Kein Weg ist ihm zu weit, kein Zweikampf zu hart, kein Ball verloren. Serey Dié: «Wenn ein Kollege von mir in Schwierigkeiten ist, verreisse ich mich für ihn. Denn so bin ich, ich helfe gern.»
Nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben. Seiner Mutter hat er ein Haus gebaut in Abidjan, aber noch bevor er sie jeweils im Urlaub besucht, geht er ins Waisenheim. «Ich kenne ihr Leiden», sagt er. Und: «Ich mache das aus Dankbarkeit.»
Unter Marcel Koller feiert der Ivorer seinen dritten Frühling. Bei Wickys Nachfolger ist er Stammspieler. Diskussionlos. Koller sagt, dass er sowohl Feuer ins Spiel bringen könne, als auch Ruhe. Und: «Im Training ist er der Lauteste, er treibt die anderen an, dirigiert. Das sind Qualitäten, die wir gut brauchen können. Denn im Allgemeinen sind wir ein bisschen zu ruhig.»
Da hat Serey Dié gegenüber Taulant Xhaka wohl noch einen Vorteil und das dürfte ihm längerfristig zu einem Stammplatz verhelfen. Dass beide gleichzeitig auflaufen, dürfte –sofern niemand verletzt ist – eher selten der Fall sein.
Es kommt also zum Duell der Terrier, zum Zweikampf der Krieger. Das könnte böse enden. Wird es aber nicht. Denn Serey Dié sagt: «Ich habe gesehen, wie Tauli zu dem Spieler wurde, der er heute ist. Wenn ich ihn sehe, sehe ich mich selbst. Uns verbindet mehr als eine Freundschaft, das ist eine Seelenverwandtschaft.»
Und wenn er doch nicht spielen sollte, dann bleibt der Mann, der auf dem Platz so laut sein kann, ganz ruhig. Das hat er unter Raphael Wicky eindrücklich bewiesen. Serey Dié sagt: «Meine Rolle hat sich unter Marcel Koller nicht verändert. Egal, ob ich spiele, auf der Bank sitze oder auf der Tribüne, meine Rolle ist immer die gleiche: Ich bin der Älteste in der Kabine, der grosse Bruder.»
Ob er deshalb auch Privilegien geniesse? «Ja, jeder schlägt mir auf den Kopf, das ist mein Privileg», sagt der Krieger und lacht. Denn egal, was da kommen mag, er hat viel mehr erreicht, als man ihm zugetraut hätte. Und wenn es nach ihm geht, dann bleibt er noch eine ganze Weile aktiv: «So lange ich rennen kann, werde ich Fussball spielen.» Es ist das, was er schon immer wollte.