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Wunder passieren, wenn man daran glaubt. Aber ist es wirklich ein Wunder, wenn Carlo Janka heute am Lauberhorn das Abfahrtstraining bestreiten will? 78 Tage, nachdem er sich das Kreuzband im rechten Knie gerissen hat.
Fragt man den 31-Jährigen, lautet die Antwort Nein. «Es gibt zahlreiche Beispiele, dass sich ein Kreuzbandriss ohne Operation behandeln lässt.» Hört man sich in der Skiszene um, sind viele skeptisch, ob sein Plan aufgeht, an den Olympischen Winterspielen im Februar dabei zu sein. Schon als sich der Bündner am Tag des Unfalls entschied, den Riss konservativ zu behandeln, zweifelten manche. Denn in der Regel bedeutet eine solche Verletzung: Saisonende, Operation, Reha.
Doch die Skepsis hinderte Janka nicht, es trotzdem zu versuchen. In Gesundheitsfragen vertraut er Rolf Fischer. Der Manualtherapeut aus Stansstad ist überzeugt, dass durch richtige Behandlung Operationen oft vermieden werden können. In der Manualtherapie werden verletzte Köperpartien gezielt mit den Händen behandelt. «Was er tut, lässt sich nicht einfach so kopieren», sagt Janka und kann nicht erklären, was genau Fischer macht.
Man müsse bei ihm in Behandlung sein, um zu verstehen, was er kann. Und Fischers Kundenliste ist lang. So gehörte FCB-Trainer Raphael Wicky einst ebenso zum Patientenkreis wie Eiskunstläuferin Sarah Meier. Die Arbeit von Fischer ist weitum bekannt. Wenn es Kritik gibt, nur anonym. In der «NZZ» sagte Markus Wolf, Geschäftsführer von Swiss Ski: «Fischer ist vielleicht nicht vorbehaltlos, aber sehr gut anerkannt.»
So oder so. Janka schwärmt von Fischer. Und er hat Grund dazu. Seine chronischen Rückenschmerzen wurden deutlich besser, seit er 2013 die Behandlung begann. Das rechte Knie ist nur 78 Tage nach dem Unfall so stabil, dass sich Janka zutraut, den Belastungen einer Weltcupabfahrt standzuhalten. Mit Konditionstrainer Michael Bont konnte er ein Fitness- und Belastungsprogramm absolvieren, das ihm diese Gewissheit gibt. «Es ist noch nicht alles so, wie ich es gerne hätte. Aber zumindest kann ich es wagen», sagt Janka. Damit sein Knie danach optimal versorgt ist, reist Fischer extra an. «Nur Rolf weiss, was es braucht, damit es klappt.»
Mal stand Carlo Janka in Wengen schon auf dem Podest. 2010 gewann er
die Abfahrt, 2011 und 2015 fuhr er auf Rang drei. In der Kombi konnte der 31-Jährige 2009 und 2015 triumphieren und stand 2010 (2. Rang), 2011 (2. Rang) und 2013 (3. Rang) auf dem Podium.
Wunder erwartet Janka nicht. Vergangene Woche hat er in Garmisch mit den Teamkollegen trainiert. Und er konnte gut mithalten. «Aber sind wir ehrlich: Ein Training auf einer Weltcuppiste ist noch einmal etwas ganz anders», sagt Janka. «Erst so erfahre ich, wie mein Knie regagieren wird.» Die Rennen am Lauberhorn hat er für den Test bewusst ausgewählt. In Wengen stand er schon achtmal auf dem Podest, davon dreimal als Sieger: 2009 und 2015 in der Kombi und 2010 in der Abfahrt. «Die Piste liegt mir. Das gibt mir viel Selbstvertrauen», sagt er. Denn der Glaube daran, dass es gut kommt, wird mitentscheidend sein, ob der Versuch klappt. «Ich muss bereit sein, das Knie voll zu belasten. In Wengen kann ich das.»
Sein grösster Gegner auf dem Weg, sich den Olympiatraum zu erfüllen, ist die Zeit. Sollte er in Wengen nicht starten können, wird es schwierig werden. «Die Belastungen in Kitzbühel sind zu gross. Ein Start dort nur eine Woche nach Wengen ist kein Thema für mich.» Danach bliebe Janka nur noch Garmisch, um die Selektionskriterien für die Winterspiele (eine Top-7-Klassierung) zu erfüllen.
Doch selbst bei einem Start in Wengen muss sich Janka sofort die Sinnfrage stellen. Denn das FIS-Reglement besagt, dass ein Athlet in jeder Disziplin nur ein Rennen bestreiten darf, ohne den Verletztenstatus zu verlieren. Danach müsste er seine Position in der Startliste verteidigen. «Dies ist fast problematischer als die Verletzung selbst.» Weil er ein Abrutschen in die meist benachteiligen späteren Startplätze verhindern will.
Doch egal, wie es weiter geht. Schon mit dem Versuch allein schafft Janka, dass sich einige wundern. Jeder Schritt mehr wäre bewundernswert.