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Klub der jungen Geschichten
Björn Hotz, Hünenberg See, 6. Primar
Ich warf der Obdachlosen zwei Franken in den Hut, der vor ihr lag. Was dann geschah, gab mir auf besondere Weise viel mehr zurück. Sie stand auf und rief überglücklich: „Danke vielmals!“ So herzlich hatte mir in den letzten fünf Jahren niemand gedankt. Ich hatte sehr viel Stress im Job, seitdem ich arbeitete. Ich sagte: „Bitte schön.“ Die obdachlose Frau fragte mich nach meinem Namen. Ich wollte ihn zuerst nicht meinen Namen geben, doch dann erinnerte ich mich, wie herzlich sie mir dankeschön gesagt hatte. Also gab ich ihr meinen Namen und meine Telefonnummer.
Wir blieben mehrere Wochen per Whatsapp in Kontakt. Wir verstanden uns so gut, dass wir uns trafen. Sie zeigte mir bei unserem Treffen, wo sie schlief. Ich war traurig, dass es in unserer Gesellschaft immer noch Menschen gibt, die unter solchen Bedingungen leben müssen. Ich war entschlossen, ich wollte ein neues Zuhause für die Frau. Ich suchte auf einem Onlineportal ein günstiges Zuhause für die Frau aus.
Bereits eine Woche später ein kleines schönes Zuhause. Sie bedankte sich wieder so herzlich wie beim ersten Treffen. Wir waren jetzt jeden Tag in Kontakt per Whatsapp.
An einem regnerischen Sonntag schrieb ich ihr wie immer. Aber sie schrieb einfach nicht zurück. Ich dachte, vielleicht ist sie auf einem Ausflug. Aber als sie am nächsten Tag immer noch nicht zurück schrieb, machte ich mir langsam Sorgen. Am Mittag dann der Schock, sie hatte auf offener Strasse einen Herzstillstand. Zum Glück machte ein Rettungswagen nebenan Pause und konnte die Frau direkt reanimieren.
Ich besuchte sie jeden Tag im Krankenhaus. Als es ihr nach mehreren Wochen im Krankenhaus wieder besser ging, musste ich auf Geschäftsreise.
Als ich nach einer Woche wieder zuhause war, ging ich sie besuchen. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung sah ich sie betrunken auf der Strasse herumtorkeln. Ich stampfte wütend auf sie zu und schrie lauthals: „Spinnst du?“ Alle Menschen auf dieser belebten Strasse verstummten schlagartig. Ich war überrascht, dass ich so laut in der Öffentlichkeit schreien konnte. Die Frau rannte, oder besser gesagt torkelte davon. Ich war traurig, wütend und enttäuscht zugleich. Ich hatte gehofft, dass die Frau gelernt hatte, wie schön das Leben ohne Alkohol und Drogen sein kann.
Ich habe nach ein paar Tagen beschlossen mit ihr zu sprechen. Ich ging zu ihrer Wohnung und sprach mit ihr. Sie entschuldigte sich bei mir. Ich half ihr auch nach ein paar Wochen immer noch. Aber es hatte sich ausbezahlt. Sie hatte jetzt einen Job und konnte selbstständig leben.
Nach einem Jahr erkannte man sie fast nicht wieder. Nach zwei Jahren waren wir immer noch in Kontakt und sie wurde zur Managerin von einer grossen Firma befördert.
Wir blieben jahrelang in Kontakt und hatten immer sehr gute Gespräche, bis uns der Tod trennte.
Ich war sehr traurig, dass die Frau gestorben ist. Meinem Körper ging es seit dem Tod der Frau immer schlechter. Ich denke, das zeigt, wie sehr wir aneinanderhingen. Nach der Beerdigung musste ich mit dem Krankenwagen in die Klinik fahren. Als ich nach ein paar Tagen mit einem Arzt sprach, sagte er: „ Ich weiss nicht, wie lange Sie noch leben werden…“