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Die Anwohner in Obergösgen gehen hart ins Gericht mit dem Kantonalen Führungstab. Sie hätten sich innert Minuten schützen können, wenn sie eine Hochwasser-Warnung bekommen hätten. Es ist die Rede von «unglaublicher Schlamperei».
Die Leute an der Dänikerstrasse in Obergösgen sind aufgebracht: Eine Warnung an sie hätte gereicht, und sie hätten ihre Liegenschaften dank ihren vorbereiteten Schutzeinrichtungen vor dem künstlich ausgelösten Hochwasser vom vergangenen Montag schützen können. Aber die Warnung unterblieb. Zurück bleibt ein Riesenfrust.
In den Quartieren um die Obergösger «Fähre» haben die Bewohner vor allem seit Ende der 1990er-Jahre eine ganze Reihe von Hochwassern erlebt. Und sie wissen: Es kann jederzeit wieder passieren. Die Hausbesitzer haben darum unterschiedliche Vorkehrungen getroffen, um dem Wasser nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.
Zum Beispiel Rolf Wenger: Er hat seit etwa 15 Jahren ein paar Dutzend Sandsäcke eingelagert. Der Sand muss nicht erst abgefüllt werden – die Säcke sind jederzeit griffbereit. Und zwar im Schopf gegenüber dem Haus, wenige Meter von der Stelle, wo sie im Ernstfall gebraucht werden. So kann Wenger aus eigener Kraft die gefährdete Zufahrt zur Unterflurgarage mit Sandsäcken sichern. Für die erste Reihe braucht er wenige Minuten, wenn nötig kann er die Sperre um eine zweite oder dritte Reihe erhöhen.
Doch am Montag blieben Wengers Sandsäcke im Schopf. Denn er wusste nicht, dass das Wasserkraftwerk Gösgen das Wehr Winznau geöffnet hatte und sich in der Alten Aare ein mächtiger Schwall Richtung Obergösgen bewegte. Als er das Wasser sah, war es zu spät. Rolf Wenger schätzt den Schaden an Kellerräumen, Einrichtungen und Geräten in seinem Haus auf 30 000 bis 50 000 Franken. «Das wäre längst zu verhindern gewesen, wenn man uns alarmiert hätte», ist er überzeugt.
Überhaupt kein Verständnis für die ausgebliebene Alarmierung hat Brigitte Heimgartner. Sie hat im offenen Fahrzeugunterstand grosse, genau ausgeschnittene Bretter bereit, die in eine eiserne Führung montiert werden, um den Zugang zum Haus vor dem Wasser zu schützen. Dahinter ist ein Pumpschacht gebaut, in dem sich eindringendes Wasser sammelt. Aber der Schacht nützt nichts, wenn der Deckel nicht entfernt wird, und die Bretter sind sinnlos, wenn sie im Unterstand bleiben. Auch hier: Ein paar Minuten hätten gereicht, um den Schutz zu aktivieren. Aber die rechtzeitige Warnung kam nicht.
«Beinahe hätte ich mir den Kopf eingerannt»
Markus Graber kann nur den Kopf schütteln, wenn er die Aussage von Diego Ochsner, Chef des Kantonalen Führungsstabes, liest, die Zeit hätte am Montag nicht ausgereicht, um die Häuser noch schützen zu können. Graber beweist das Gegenteil. Er selbst befand sich am Montagnachmittag vor dem Haus und sah plötzlich das Wasser von der Aare her auf sich zu kommen. Er, der jahrelang selbst im Wasserkraftwerk gearbeitet hatte, wusste sofort, was passiert war. «Beinahe hätte ich mir den Kopf eingerannt», so schnell reagierte er: Fluchend und schimpfend stürzte er sich in den Keller und montierte die selbst konstruierte Aussenverschalung vor der Tür zum Untergeschoss. Resultat: Markus Graber hat heute keine Schäden zu beklagen. Die wenigen Minuten hatten ihm gereicht, um sein Haus zu schützen.
Als er das Wasser kommen sah, war es 14.10 Uhr – der Schaden im Wasserkraftwerk war um 13.27 passiert. «40 Minuten sind verstrichen, ohne dass man uns gewarnt hat. 40 Minuten, in denen sich alle hier weitgehend hätten schützen können.»
Die Aussage des Chefs des Kantonalen Führungsstabes, dass die Zeit «ganz klar» nicht gereicht hätte, um die Häuser zu schützen, weist Graber entschieden zurück. Bei ihm und ebenso bei Brigitte Heimgartner und Rolf Wenger mischen sich Wut und Ärger. «Dass im Kraftwerk mal die Turbinen ausfallen können, dafür habe ich Verständnis. Aber dass man uns nicht vor dem Schwall gewarnt hat, das ist eine unglaubliche Schlamperei.»