Zur Selbstbestimmungsinitiative
Podiumsdiskussion in Lengnau: Die Chronik einer Eskalation

Die Podiumsdiskussion zur Selbstbestimmungsinitiative in Lengnau lief beinahe aus dem Ruder.

Patric Schild
Drucken
Podiumsdiskussion mit von links Adrian Spahr, Werner Salzmann, Gesprächsleiter Hans-Ueli Aebi, Hans Stöckli und Angela Kummer.

Podiumsdiskussion mit von links Adrian Spahr, Werner Salzmann, Gesprächsleiter Hans-Ueli Aebi, Hans Stöckli und Angela Kummer.

Hanspeter Bärtschi

«Näme si sech scho am Gring»?», fragt ein älterer Herr schmunzelnd auf dem Weg zur Podiumsdiskussion über die Selbstbestimmungsinitiative (SBI), zu welcher die SVP Lengnau geladen hat. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, wie recht er am Ende behalten sollte.

Während sich die Aula des Dorfschulhauses allmählich füllt, machen sich auf der Bühne die Podiumsteilnehmenden bereit zur Debatte. Nur einer fehlt noch. Ständerat Hans Stöckli (SP) ist zuvor noch eifrig dabei, ein paar Hände im Publikum zu schütteln, bevor er aufs Podium huscht. «Das ist ja fast ein Heimspiel», scherzt der Ständerat munter. Es wird sein letzter Lacher an diesem Abend gewesen sein. Die Moderation hat Hans-Ueli Aebi, Journalist bei der Gratis-Wochenzeitung «Biel Bienne», inne. Nach einer kurzen Zusammenfassung über – wie Aebi selbst sagt – «eine der wichtigsten Abstimmungen dieses Jahrzehnts», eröffnet der Moderator die Diskussion. Die erste Frage richtet sich an die Befürworter der Initiative. Adrian Spahr, Co-Präsident der JSVP Kanton Bern, soll zwei Rechtssprüche des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) schildern, in denen aufgezeigt wird, dass die Schweiz die SBI braucht.

Zwei Beispiele genannt

Spahr nennt einerseits die Auflösung eines illegalen Hausbesetzervereins, welche durch sämtliche hiesige Instanzen bestätigt wurde. In Strassburg dagegen wertete man das Urteil als Menschenrechtsverletzung und verurteilte die Schweiz. In einem zweiten Fall habe der EGMR entschieden, dass die Krankenversicherung auch dann für eine Geschlechtsumwandlung zahlen muss, wenn die – gemäss Schweizer Regelung vorausgesetzte – zweijährige Beobachtungsphase nicht abgewartet wird.

Ständerat Stöckli bezeichnet die beiden Aussagen von Spahr mit sarkastischem Unterton als «sehr gute Beispiele» und will sogleich zur Gegenoffensive übergehen. Der Moderator erläutert Stöckli, dass er dafür später noch genug Zeit habe, und will stattdessen von den SBI-Gegnern wissen, welche Verträge im Falle einer Annahme gekündigt werden müssen. Der Ständerat beginnt zu erklären, welche positiven Auswirkungen die Menschenrechtskonvention für die Schweiz hat und weshalb sie durch die Initiative gefährdet ist. Mehrfach interveniert der Moderator und verweist auf seine zuvor gestellte Frage wie auch darauf, dass allen Rednern gleich viel Zeit zur Verfügung steht.

Da platzt Stöckli der Kragen: «Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, dann gehe ich nach Hause.» Auf der Bühne wird wild durcheinanderdiskutiert. Die sozialdemokratische Gemeinde- und Kantonsrätin aus Grenchen, Angela Kummer, ist derweil bemüht, ihren Parteigenossen zu beruhigen. Der politische Diskurs wird ab diesem Zeitpunkt je länger, je mehr durch die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Ständerat und dem Moderator überschattet.

Nach einem längeren Schlagabtausch zwischen SVP-Nationalrat Werner Salzmann und Stöckli über die Frage, ob nach Annahme der Initiative gewisse Völkerrechtsverträge automatisch nicht mehr angewendet werden dürfen, kommt der Moderator zum Schluss, dass sich die Frage nicht entwirren lässt. Das Publikum habe die Argumentation durchaus verstanden, entgegnete der Ständerat. «Dann lassen wir das Publikum entscheiden», so Aebi. Gesagt, getan – der Moderator fragte in die Runde, welche Argumente gerade mehr überzeugt haben. Ein paar wenige Hände schnellen für Stöckli in die Höhe, die grosse Mehrheit im Saal stimmt Salzmann zu.

Schmollender Ständerat

Als sich Aebi mit einer Frage an Stöckli wenden will, um die Diskussion in eine andere Richtung zu lenken, hat sich die Mine des Ständerates nun definitiv verfinstert. Er wisse nicht, ob er überhaupt noch auf die Frage antworten wolle. Denn: «Ich habe noch nie erlebt, dass ein Gast dermassen vorgeführt wird», erklärt Stöckli wütend. Weiter holt der ehemalige Bieler Stadtpräsident zum Rundumschlag gegen den Moderator aus: «So einseitig und unbedarft hat in meinen 40 Jahren in der politischen Arena noch nie ein Gesprächsleiter manipuliert.»

Auch Kummer schaltet sich nun in den Zwist der beiden Herren ein und kritisiert das Verhalten des Moderators scharf als unprofessionell: «Wir haben vorgängig klare Regeln abgemacht und eine davon lautet, dass das Publikum während der Diskussion nicht mit einbezogen wird.» Selbst Salzmann attestiert, dass dies «ein wenig unfair» war. Gegen Ende ermuntert der Moderator die Podiumsteilnehmenden nach der harten Diskussion noch zum gemütlichen Teil des Abends zu bleiben. Ständerat Stöckli kommentierte das Angebot kurz und trocken mit einem «ohne mich».