Startseite
Solothurn
Solothurn Stadt
Petra Märchy stellt sich gegen zwei Lärmquellen im Solothurner Quartier. Und macht so auf das Problem niederfrequenten Schalls aufmerksam.
Es ist kein Lärm, der nur die Ohren plagt. Sondern einer, der durch die Glieder fährt. Einer, der nicht nur die Nerven all jener strapaziert, die ihm ausgesetzt sind, sondern auch deren Gesundheit beeinträchtigt. So viel weiss die Wissenschaft über niederfrequenten Schall, der entweder als Brummen hörbar ist – oder aber dann so tief, dass man ihn ohne Hilfsmittel nicht vernehmen kann, sogenannter Infraschall.
Petra Märchy, die an der Leopoldstrasse 10 im Obach-Quartier wohnt und dort ihr Wohnatelier für gesunden Schlaf betreibt, hat sich mit den technischen und rechtlichen Grundlagen dieser «anderen» Lärmbelästigung auseinandergesetzt – auseinandersetzen müssen.
Gleich zwei Lärmquellen hat sie in nächster Nähe zu beklagen: Von Südwest her brummt eine Kühlanlage auf dem Dach der Obach-Klinik, von Nordost ist es ein 2018 ersetzter Rückkühler für den Server einer Sunrise-Antenne, dessen tieffrequenten Geräusche bis zu ihrer Wohnung dringen. Untergebracht ist dort ein Datencenter von Sunrise. Oropax und Kopfhörer halfen Märchy nur bedingt gegen den «leisen Lärm», wie sie ihn selbst nennt. Und dann: «Ich stellte fest, dass ich nicht mehr daheim schlafen konnte, und suchte nach auswärtigen Übernachtungsmöglichkeiten.» Auch schliesst Märchy nicht aus, dass zwischenzeitliche Zahnprobleme und Allergieschübe mit dem störenden Einfluss der Schallimmission zusammenhängen könnten. Ganz sicher weiss sie: «Mein Tinnitus begann mit diesen Belastungen.»
Heute blickt Märchy auf ellenlangen Briefverkehr mit den Verwaltungen der Liegenschaften und mit den Behörden zurück. «Damals sicherte mir der Vertreter der Sunrise-Anlagen vor Ort mündlich zu, dass, wenn ich das Brummen in unseren Räumen messbar beweisen könnte, sie auch bereit wären, etwas dagegen zu tun.» Denn: Durch Entkoppelung vom Boden oder durch eine Isolation zu den Wänden hin würden die störenden Vibrationen nicht weiter über die Wände und Böden übertragen. Und so gab Märchy bei einem Ingenieurbüro eine Messung in Auftrag. Die Expertise bestätigte: In den tiefen Frequenzen treten sehr hohe Schallpegel auf. Solche, die laut Umweltschutzgesetz relevant sein könnten. Konfrontiert mit den Messresultaten habe Sunrise vom ursprünglichen Versprechen aber plötzlich nichts mehr wissen wollen, erzählt Märchy.
Und so wählt sie den Gang durch die Instanzen: Gegen die nachträglichem Baugenehmigungen für die Kühler im Sunrise-Gebäude und für die Kühlanlage der Klinik Obach erhob sie Einsprache beim Stadtbauamt, die schliesslich abgelehnt wurde. Im Fall der Obach-Klinik war eine weitere Einsprache eingegangen, bei Sunrise zwei weitere. Dann erhob sie als einzige der Einsprecher beim kantonalen Bau- und Justizdepartement BJD Beschwerden gegen das Stadtbauamt in Sachen Obach und Sunrise. Verfahren, die allerdings noch hängig sind. Doch Märchy schöpft weitere Optionen aus – zum Beispiel: Sie lanciert eine Unterschriftensammlung in der Nachbarschaft, die sie den Unterlagen ans BJD nachreicht.
Immerhin: Trotz des parallel laufenden Verfahrens beim BJD konnte mit der Klinik Obach eine provisorische technische Lösung gefunden werden, um eine der beiden Anlagen geräuschärmer zu betreiben: «Für mich ein Meilenstein», sagt Märchy, die seither wieder zuhause schlafen kann. Ausstehend ist eine Bestandesaufnahme der Kältemaschine im April, um die im Sommer noch störenderen Geräusche zu deziminieren.
Derweil beruft sich Sunrise auf die Einhaltung der Vorgaben des Umweltschutzgesetzes und der kantonalen Lärmschutzverordnung. «Es wurden mehrere Treffen mit Frau Märchy vor Ort organisiert», teilt Therese Wenger von der Sunrise-Medienstelle mit. Man habe eine kurzzeitige Nachtabschaltung eingeleitet, damit Petra Märchy entsprechende Messungen durchführen konnte: «Doch diese Messungen wurden weder den Eigentümern noch Sunrise vorgelegt.» Stattdessen habe man unter Anwesenheit des Amts für Umwelt auf freiwilliger Basis ein eigenes Lärmgutachten durchgeführt. «Aus der Schlussfolgerung wurde hervorgehoben, dass die neue Anlage die massgebenden Lärm-Grenzwerte an den massgebenden Empfängerpunkten überall einhält respektive sogar massiv unterschreitet», so Wenger.
Für Märchy ist klar: «Ich betreibe diesen Aufwand nicht nur für mich. Schliesslich könnte ich von der Leopoldstrasse wegziehen, was mir aber sehr schwer fiele.» Tatsächlich will sie mit ihrem Kampf auf ein Problem aufmerksam machen, das die physische wie psychische Gesundheit betrifft. Eines, das die Wissenschaft zwar erforscht hat, jedoch noch zu wenig ins politische Bewusstsein gedrungen ist. Und: eines, zu dem sich nur wenige äussern, die dazu befugt wären – wohl aus Reputationsgründen, vermutet Märchy aufgrund eigener Erfahrungen. «Ärzte erkennen das Problem zwar oft an, trauen sich aber oft nicht, es im Kreise der Berufskollegen zu thematisieren.»
Einzig das Umweltschutzgesetz legt in grober Weise fest, dass «Menschen, Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften und Lebensräume gegen schädliche oder lästige Einwirkungen» zu schützen seien – auf Kosten jener, die diese Einwirkungen verursachen. Und: Dass auch tief- oder hochfrequente Töne ausserhalb des hörbaren Bereichs dazugehören. Doch genau bei der Wahrnehmungsschwelle, die von Mensch zu Mensch variiert, liegt der Knackpunkt. Nichtsdestotrotz weiss Märchy – nicht nur anhand der erfolgreichen Unterschriftensammlung –, dass sie längst nicht die einzige ist, die das «Brummphänomen» am eigenen Leibe kennengelernt hat.