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Regisseurin Liliana Heimberg schrieb und inszeniert das Festspiel zum Landesstreik «1918.ch». Am kommenden Donnerstag geht in der alten SBB-Werkstätte in Olten die Premiere über die Bühne.
Treffpunkt ist das Restaurant Flügelrad in Olten, gleich hinter dem Bahnhof. Liliana Heimberg (*1956), die Regisseurin des Festspieles zum Landesstreik «1918.ch», nimmt Platz. Sie wirkt ruhig und konzentriert. Am kommenden Donnerstag geht die Premiere ihres Stückes in der alten SBB-Werkstätte in Olten über die Bühne. «Ich muss delegieren können und kann mich auch auf meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Team verlassen», sagt sie, befragt nach dem momentanen Stresspegel. Dann erzählt sie, wahrscheinlich nicht zum ersten Mal, wie sie zum Engagement für dieses aussergewöhnliche Theaterprojekt gekommen ist.
«Die ehemalige Solothurner Regierungsrätin Esther Gassler sah vor fünf Jahren eine Aufführung des Appenzeller Festspiels ‹Der dreizehnte Ort›, welches ich konzipiert hatte. Ein Stück mit 180 Mitwirkenden. Es erzählte 500 Jahre Appenzeller Geschichte bei der Eidgenossenschaft. Auf Umwegen gelangte die Botschaft, dass die Veranstaltung Esther Gassler gefallen hatte, zu mir. Ich stellte ihr daraufhin eine Idee vor, die ich seit längerem mit mir herumtrug, und sagte auch gleich, dass es sich aber um ein Thema für die ganze Schweiz handle: Der Landesstreik von 1918. Und Olten wäre – einerseits als damaliger Aktionsort und andererseits wegen seiner zentralen Lage – natürlich als Spielort ideal.»
Seither sind fünf Jahre ins Land gezogen. Heimberg hat viel Arbeit schon hinter sich, aber das Spannendste, die Premiere, noch vor sich. Am 16. August ist es so weit. 105 Spielerinnen und Spieler stehen bereit, die alte Werkstätte zu bespielen und die Zuschauer in die damalige schwierige Zeit zu entführen. Es gibt eine Rahmenhandlung, und bei jeder Aufführung werden neue Spielszenen mit Akteuren aus den verschiedenen Schweizer Kantonen beigefügt.
Die Regisseurin berichtet von den ersten behördlichen Hürden, die zu Beginn zu nehmen waren. «Eine Machbarkeitsstudie im Auftrag der Solothurner Behörden ebnete den Weg. Nach einer Präsentation in der Konferenz der Kulturverantwortlichen der Kantone und beim Bund zeichneten sich rasch Möglichkeiten zur Umsetzung ab. Das Thema Landesstreik fiel auf grosses Interesse», erinnert sie sich, denn: «Daraus hervorgegangen sind viele der heute selbstverständlich gewordenen sozialen und politischen Einrichtungen. Der Landesstreik ist eine Wegmarke in der Geschichte der Schweiz. Wir müssen wissen, woher wir kommen, um zu wissen, wohin wir gehen», hält sie fest. Deshalb sei das Thema auch heute noch aktuell.
Trotzdem wissen heute die meisten Leute nichts oder nur wenig über den Landesstreik. Das hat Heimberg bei der Erarbeitung des Stückes mit den Spielern erlebt. In ihrer Herkunftsfamilie war das anders: «Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, aufgewachsen in Wimmis im Simmental. Ich erinnere mich, wie mein Vater sich verärgert über den Streik äusserte, obwohl nicht er, sondern mein Grossvater als Soldat einberufen wurde. Und zwar kurz nachdem er von der Grenzbesetzung 1918 heimkam. Er musste wiederum den Hof verlassen, um den Streikenden gegenüberzutreten. ‹Die Städter wussten wieder mal nicht, wie blöd sie tun wollen›, hat der Vater über den Landesstreik gesagt.»
Liliana Heimberg selbst hat als Schülerin noch einiges über die damalige Zeit erfahren. «Wir hatten einen aussergewöhnlich guten Geschichtslehrer, der uns davon erzählte. Zudem sei Robert Grimm, die wichtigste Arbeiter-Persönlichkeit jener Tage, nach dem Streik für ein halbes Jahr ein paar Gemeinden weiter oben im Tal im Gefängnis gesessen. «Und davon hat man Jahre danach in unserer Region noch gesprochen.» Heimberg hat bei der Erarbeitung des Textes und der Inszenierung mit Wissenschaftern gearbeitet, und es ist ihr wichtig, zu betonen, dass jüngste Forschungsergebnisse im Theaterstück ihren Niederschlag gefunden haben.
Wer Mitspieler werden wollte, konnte sich ganz einfach melden. «Ich habe bewusst kein Casting durchgeführt. Aber durch Beobachtung und Gespräche habe ich im Laufe der Proben versucht, die richtigen Spieler – ich sage bewusst nicht Schauspieler oder Laienspieler – für die Aufgaben zu finden.» Sie hat also ihre ganz eigene Methode, mit nicht ausgebildeten Schauspielern zu arbeiten. Alles sei ein Prozess, Erkenntnisse sollen gewonnen werden, auch für die Regisseurin. «Wichtig ist, dass die Spieler alles verstehen; ihre Lebenserfahrungen, ihr Wissen ins Spiel mit einbeziehen können.»
Festspiele oder Freilichtinszenierungen haben Tradition – nicht nur in der Schweiz, aber hier besonders. Einer der Gründe mag sein, dass es hier kein Burgtheater oder höfisches Theater gab. «Beim Festspiel geht es um die Hinwendung zur eigenen Geschichte, zur eigenen Herkunft.» Heimberg, welche über Festspiele eine wissenschaftliche Forschungsarbeit geleitet hat, weiss: «Festspiele sind unter anderem aus Umzügen mit Themenwagen, mit Musik entstanden. Sie sind bis heute lebendig, weil sie in zeitgemässe, moderne Theaterformen überführt werden. Wichtig ist mir bei dieser Arbeit das Theater als Begegnungsort.»
«Olten kannte ich natürlich als Eisenbahnverkehrsknotenpunkt. Die schöne Altstadt war eine Entdeckung für mich», sagt Heimberg über den Ort, der noch bis Ende September, zum Ende der Produktion ihr Zuhause ist. «Ich finde es wichtig, vor Ort zu sein. So kann ich mich voll und ganz dem Projekt widmen. Sie hat von ihrem Arbeitgeber, der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, einen unbezahlten Urlaub für dieses Projekt erhalten, denn die zeitintensive Arbeit der Proben und Aufführungen dauert acht Monate lang. «In Olten sind wir überall auf offene Ohren gestossen. Eine wirklich schöne Begegnung.»