Mein Olten
Spielzeug-Schlachtfeld macht gute Laune

Unsere Kolumnistin ist zu einem Essen bei Freunden eingeladen, die keine Kinder haben. Wie geht das mit einem kleinen Sohn?

Jessica Foschini*
Jessica Foschini*
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Das Wohnzimmer sieht nach dem Abendessen wie ein Spielzeug-Schlachtfeld aus. (Symbolbild)

Das Wohnzimmer sieht nach dem Abendessen wie ein Spielzeug-Schlachtfeld aus. (Symbolbild)

Sandra D. Sutter

Ich hole die Post ab und finde eine schöne Karte, ohne Briefmarke und ohne Anschrift. Freunde haben uns zum Abendessen eingeladen. Das freut mich! Sie ist eine hervorragende Köchin, die Gespräche sind immer interessant und kurzweilig. Der Abend wird angenehm sein.

Blitzschnell kommt mir ein Gedanke in den Sinn, der die Freude bremst: Was machen wir mit unserem kleinen Chaoten? Die beiden haben keine Kinder und deren Wohnung ist sicher nicht kindgerecht.

An dem Tag vergewissere ich mich, dass das Nickerchen nicht zu lange geht, sodass mein Kleiner abends früher müde wird – so gemein! Als er aufwacht, erkläre ich ihm, dass wir zum Abendessen auswärts eingeladen sind. Er kann ein paar Spielzeuge mitnehmen. Er freut sich sehr. Ich habe den Satz gerade beendet – und schon ist die Riesentüte überfüllt. Er hat praktisch seinen ganzen Besitz eingepackt.

So schnell und unauffällig wie möglich sortiere ich Fahrzeuge, Tiere, Lebensmitteln, Legos und Musikinstrumente aus. Geschafft, jetzt hat die Tüte ein angemessenes Gewicht.

Er möchte aus meinem Glas trinken!

Als wir ankommen (inklusive Töpfchen und Kinderstuhl), fangen wir mit dem Apéro an; schon steht die erste Hürde vor mir: Cocktails mit Röhrchen aus Glas und dekoriert mit Blaubeeren werden serviert. Ich packe seinen blauen Trinkbecher aus der Tasche. Vielleicht reicht diese strategische Bewegung: Er kann nun mit uns anstossen.

Natürlich nicht, er möchte aus meinem Glas trinken! Ich gebe ihm die Heidelbeeren. Anstatt ein nachdrückliches «Nein!» auszusprechen, erkläre ich ihm als moderne Mutter des 21. Jahrhunderts, dass dieses alkoholische Getränk für Mama ist.

Meine Worte schmelzen in seinem Kopf wie Eis unter der Sonne. Also, ich gebe mit der Wahrheit auf und spiele gleich meine Trumpfkarte: Es sei sehr, sehr, sehr scharf. Er guckt mich verständnisvoll an. Das Röhrchen bleibt aber ein begehrtes Objekt, und die Gastgeberin kommt mir zu Hilfe: Sie bringt ihm ein kleines Geschenk.

Er packt das aus: Chocolat-Frey-Mäuse mit süsser Füllung. Ich falle beinahe vom Stuhl. Ich habe es nicht gerne, wenn meinem Kind Schokolade angeboten wird. Also spiele ich mit den Mäusen, als wäre es keine Süssigkeit. Er ist davon begeistert und fängt an, die farbigen Mäuse aufzureihen. Apéro geschafft.

Nüsslisalatblätter und Radieschen

Nun geht’s am Tisch weiter. Es ist mit elegantem Geschirr für vier Personen gedeckt. Ein schöner und bunter Salat wartet auf uns. Unser Kleiner, der eigentlich schon gegessen hat, erfordert seine Portion. In der Zwischenzeit nascht er von unseren Tellern. Er sucht sich die Cherry-Tomaten, Mango-Stücke, Datteln und Granatapfelkerne aus. So langsam besteht mein Salat nur noch aus Nüsslisalatblättern und Radieschen. Ab und zu geht er runter und bringt ein Tier aus Plastik auf den Tisch.

Die Gastgeber beobachten das Ganze: «Niemand würde uns glauben, dass ein Kind bei uns zu Abendessen war.» Sie lachen amüsiert. Er mag es, Teil davon zu sein und alles zu probieren, bis es «piccante, piccante!», also scharf, wird.

Dann verschwindet er ins andere Zimmer – das macht mich verdächtig. In der Wohnung stehen viele angezündete Kerzen und Erinnerungsstücke aus Glas. Tatsächlich erwische ich ihn dabei, mit einer grossen und angezündeten Kerze «Tanti auguri!», italienisch für «Alles Gute zum Geburtstag», zu spielen. Ich unterbreche mein Abendessen und versuche, diese frische und überschäumende Energie ein Stündchen lang zu kanalisieren, sodass alles im Raum erhalten bleibt. Abendessen halb geschafft.

Endlich geht er schlafen, ich kann mich wieder hinsetzen und entspannen. Das Wohnzimmer sieht wie ein Spielzeug-Schlachtfeld aus, aber alles in allem ist es gut gelaufen. Ich muss innerlich grinsen: Auf die alltägliche Komödie zu blicken, löst bei mir immer gute Laune aus. Reicht das als Vorsatz fürs neue Jahr?

* Jessica Foschini ist Mutter und Kantonsschullehrerin