«Auf einen Kaffee mit ...»
Wie ein Blinder dank der «Apfelschule» sein iPhone wieder bedienen kann

«Eingeschränkte Sehkraft und das Smartphone trotzdem im Griff!» ist in dicken Buchstaben auf dem Flyer der «Apfelschule» zu lesen. Das grüne Flugblatt, das vor Peter Fehlmann auf dem Tisch liegt, weckt Erinnerungen in ihm.

Alexandra Just
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Peter Fehlmann sieht viel Potenzial im technischen Fortschritt.

Peter Fehlmann sieht viel Potenzial im technischen Fortschritt.

Hansjörg Sahli

«Es war am Freitag, dem 13. November 2015», erinnert sich der Sehbehinderte an den Tag zurück, an dem er zum ersten Mal von der «Apfelschule» gehört hatte. «2009 ergriff meine Sehbehinderung das zweite Auge, wodurch ich nur noch vierzig Prozent sehen konnte», beginnt Fehlmann bei einem Kaffee in der Stadtrösterei Solothurn mit der Geschichte seiner Augenkrankheit. Nach einigen Jahren sei es zu einer weiteren Verschlechterung seiner Sehstärke gekommen – von vierzig auf knapp zwanzig Prozent. Ein halbes Jahr später habe sein Sehvermögen noch lediglich zehn Prozent betragen. «Plötzlich konnte ich mein iPhone nicht mehr bedienen», sagt der ehemalige Mediensprecher der Synthes. Die iPhones seien ja visuelle Geräte, und um diese als Sehbehinderter und Blinder gleichwohl nutzen zu können, stehe man vor einer grossen Herausforderung. Die «Apfelschule», von der Fehlmann vor zwei Jahren erstmals erfahren hat, bietet bei genau diesem Problem Hilfestellung. Sie bringt Blinden und Sehgeschädigten den Umgang mit technischen Geräten sowie die Nutzung Neuer Medien bei.

Käufliche Unabhängigkeit

«Die Möglichkeiten, die sich uns durch die technische Entwicklung von Smartphones eröffnet haben, sind faszinierend», erklärt Fehlmann seine rasche Begeisterung für das Projekt der «Apfelschule». Noch am ersten Schultag seiner «Apfelschulkarriere» hat Fehlmann den Initianten Urs Kaiser kennen gelernt. Dieser habe ihm sogleich sein Leid geklagt. Kaiser wollte für die Selbsthilfegruppe «Apfelschule» eine solide Basis aufbauen und sein Werk jemand Jüngerem übergeben. «Jawohl, das mache ich», war die Erwiderung des Musterschülers Fehlmann zu diesem Anliegen.

«Wir haben das Ganze wie ein richtiges Unternehmen aufgebaut. Im Sommer 2016 professionalisierten wir die Gruppe zu einem Verein. Wir stellten Sandro Lüthi als Vollzeitgeschäftsleiter an und begannen das Kursangebot zu erhöhen», beschreibt Vereinspräsident Fehlmann den Werdegang der Schule. Diese sei mittlerweile in einem schweizweiten Verein organisiert, der auch von dem schweizerischen Blinden- und Sehbehinderten-Verband unterstützt werde.«Für mich ist der Job als Präsident ein Ehrenamt. Nach der Verschlimmerung meiner Sehbehinderung wollte ich nicht untätig zu Hause herumsitzen.» Mit der Leitung des Vereins hat Fehlmann eine sinnvolle Aufgabe gefunden, in die er sein Management-Know-how sowie seine Kommunikationsfähigkeiten einbringen kann. Es sei wichtig, Sehbehinderten und Blinden den Nutzen technischer Geräte zu vermitteln. Durch Applikationen, wie beispielsweise der SBB-App, könnten diese wieder selbstständig herumreisen. «Wir müssen nicht mehr immer die Bahnhofshilfe anrufen, wenn wir in Zürich umsteigen wollen», erklärt Fehlmann. Das Smartphone werde gewissermassen zum fehlenden Augenlicht und könne einschränkende Barrieren einreissen.

«Ich gehe beispielsweise wieder ins Kino», fügt der sehbehinderte Fehlmann hinzu. Dank einer neuen App, die Audiodeskriptionen zu Kinofilmen anbietet, können Blinde und Sehgeschädigte mit einem Kopfhörer im Ohr fast jedes Filmereignis miterleben. Durch solche spezifischen Apps seien Menschen mit einer Erblindung oder Sehbehinderung wieder in der Lage, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ebenso wenig wie auf Kinobesuche müssten Blinde aufs Zeitunglesen verzichten. Gebe man die richtigen Befehle auf dem Smartphone ein, so lese dieses die Berichte einfach laut vor.

Lohnender Aufwand

Ein Blick auf den Bildschirm genüge, damit «normale» Leute wüssten, wo sie hinzutippen hätten. Blinde hingegen bräuchten eine zweiwöchige Schulung, um ihr Gerät ansatzweise bedienen zu können. «Sie müssen lernen, wann und wo mit zwei Fingern einmal tippen, wann mit drei Fingern dreimal tippen oder wann mit einem Finger hinauf- und hinunterstreichen», zählt Fehlmann die Schwierigkeiten auf.

Das schwarze Display wird zu einem Labyrinth für die Finger. Der einzige Weg, sich darin zurechtzufinden, sei eben Übung und Einprägung. «Oftmals stellen wir bei blinden und sehbehinderten Menschen eine Hemmschwelle fest, wenn es um die Nutzung von Smartphones geht. Sobald sie das Gerät in die Hand nehmen, beginnt es zu sprechen und zu piepsen», so Fehlmann.

Frustration über Misslingen sei anfangs normal, werde aber bald von der Freude über die gewonnenen Fähigkeiten abgelöst. Auf die abschliessende Frage, was er sich in Zukunft vom technischen Fortschritt erhoffe, antwortet Peter Fehlmann prompt: «Autofahren. Ich möchte wieder Autofahren können.» Er werde das noch erleben, da sei er sich sicher. Stichworte dabei seien: künstliche Intelligenz und selbstfahrende Autos. «Es hat eigentlich nie eine bessere Zeit gegeben, um blind oder sehbehindert zu sein», sagt Peter Fehlmann zum Schluss.