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Nach 12 Jahren im Amt als Regierungsrätin freut sich Esther Gassler auf die neu gewonnene Freiheit.
Klar: Je familiärer der Rahmen der Verabschiedungen wurde, desto eher wurde auch mal eine Träne verdrückt. Aber Esther Gassler ist sich eigentlich sicher, dass sie nicht zu den Politikerinnen gehört, denen das Loslassen vom Amt schwer fallen wird. Ein Zeichen: Zwölf Jahre lang fuhr sie mit dem Zug von Schönenwerd zum Regieren nach Solothurn. Wenn sie in den letzten Wochen an Wangen an der Aare vorbeifuhr und den Leuten beim Schwimmen in der Badi zusah, war ihr Gedanke: «Hey, das kann ich jetzt dann auch, wann immer ich will.»
Und dann sind da schliesslich auch sechs Enkelkinder, die sich darauf freuen, dass ihre Grossmama mehr Zeit für sie hat. Und mit ihrem Mann zusammen gereist ist sie eigentlich auch noch kaum. Da waren die Familie, das Geschäft und dann das Regierungsamt – man war immer eingespannt, ein Leben lang. «Ich spüre Freude aufkommen, so frei wie jetzt war ich noch nie», sagt die abtretende Regierungsrätin.
Was natürlich nicht heissen soll, dass sie das Amt als Volkswirtschaftsdirektorin nicht mit Freude ausgeübt hätte. Und es ist unter ihrer Ägide ja auch einiges ganz gut gelungen. Der neue Finanzausgleich zum Beispiel war ein Riesenprojekt. «Ich hatte ja als Gemeindepräsidentin mal geholfen, einen Finanzausgleich zu bodigen, als Gottes Strafe musste ich dann selber einen auf die Beine stellen», scherzt Gassler.
Esther Gassler eine «eiserne Lady»? Sie selber hat es «sehr getroffen» , als man ihr das Prädikat vor ihrem Amtsantritt verpasste. Und 12 Jahre später dürfte auch feststehen, dass es nicht zutraf. Dass sich die abtretende Volkswirtschaftsdirektorin im Regierungsgremium so etwas wie mütterlichen Respekt verschaffte, dürfte schon eher stimmen.
Zwei Worte illustrieren es: «Chömet Buebe.» So rief sie nach den Wahlen 2013 die Kollegen der neu bestellten Regierung zum ersten Fototermin zusammen. Der mütterlioche Befehl blieb in nachhaltiger Erinnerung. Als Vortsherein des Volkswirtschaftsdepartements war Esther Gassler auch für das Militär zuständig, und seine Militärdirektorin verabschiedet man mit einem eigens für sie komponierten Marsch.
So ist es denn auch geschehen, aber bei der Abschiedsfeier im Wallierhof erklang nicht etwa der «Esther-Gassler-Marsch», sondern er heisst eben «Chömet Buebe». (mou)
Aber im Ernst: 20 Gemeindevertreter und nur fünf Leute aus der Verwaltung in den Steuerungsausschuss für das Projekt zu holen, war sicher ein cleverer Schachzug. Ohne die breite Abstützung an der Front wäre das Vorhaben kaum durchzubringen gewesen. Auch am neuen Wirtschafts- und Arbeitsgesetz hat Esther Gassler ihre Freude.
Nachtschwärmer mögen angesichts der Verwirrung über die Öffnungszeiten-Vorgaben zwar zweifeln, ob man sich in Regierung und Parlament überhaupt wirklich bewusst war, was da beschlossen wurde. Aber für Gassler zählt etwas anderes: Es sei gelungen, 25 Einzelerlasse in ein völlig neues Gesetz zu giessen. Das sei eine grosse Arbeit vielleicht ohne grosse öffentliche Aufmerksamkeit gewesen, führe aber zu erheblich weniger administrativem Aufwand. «Daran habe ich grosse Freude», so Gassler.
Der grosse Coup war natürlich die Ansiedlung des Biotech-Riesen Biogen, für die sich das Volkswirtschafts- und das Baudepartement gemeinsam und erfolgreich ins Zeug legten. Der Konzern investiert auf dem vom Kanton erworbenen Attisholz-Areal eine Milliardensumme und schafft 400 Arbeitsplätze. Aber dem standen bittere Firmenschliessungen und Arbeitsplatzverluste in Serie gegenüber.
Da holt man sich als Volkswirtschaftsdirektorin keine Lorbeeren, denn man steht machtlos da. Esther Gassler trägt es mit Fassung, wenn man sie dann mitverantwortlich macht, dass solche Entwicklungen nicht verhindert werden konnten. Sie muss, denn es ist ihre innerste Überzeugung, dass der Staat keine Strukturerhaltungspolitik betreiben soll, selbst wenn er es könnte. «Den Fortschritt aufhalten zu wollen, ist kein guter Plan», sagt Gassler.
Je länger man überholte Strukturen erhalte, umso schwieriger werde es, den Anschluss zu finden. Der «Fall» Attisholz ist für sie beispielhaft: Der Niedergang der Cellulosefabrik sei unaufhaltsam gewesen, dafür konnte der Kanton Einfluss auf die künftige Arealentwicklung nehmen. Aber Gassler macht sich nichts vor: Es hätte auch sein können, dass man Jahre auf dem Land sitzen bleibt, dann hätte wohl niemand mehr den Kauf für eine gute Idee gehalten und ihr applaudiert.
Auch wenn man sich ein dickes Fell zulegt: Zwei Fälle gingen der abtretenden Regierungsrätin wirklich nahe: Wie man als Regierung bei der Schliessung der Papierfabrik Biberist vom Weltkonzern Sappi vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, darüber hat sie sich empört («eine ganz üble Sache»). Und bei der Schliessung der Lehrlingswerkstatt des Stahlwerks Gerlafingen fühlte sich Gassler wirklich ungerecht behandelt. Da sei ihr in einem abgekarteten Spiel der schwarze Peter zugeschoben worden und es sei für die Regierung praktisch unmöglich gewesen richtigzustellen, wie die Sache wirklich gelaufen war.
Die inzwischen routinierte Volkswirtschaftsdirektorin musste sich wohl zwölf Jahre zurückversetzt vorgekommen sein, denn ihre Regierungskarriere startete bereits mit einem Missverständnis. Unternehmerin, Präsidentin der Handelskammer: Eine Frau der Wirtschaft präsentierte die FDP für die Nachfolge von Ruth Gisi, die das Bildungsdepartement geführt hatte. Das trug Esther Gassler das Prädikat «Iron Lady» ein.
Und das hat sie «sehr getroffen», denn sie selbst sah sich wohl als liberal, wirtschaftsfreundlich, als «klar strukturierte» Person – aber sicher nicht als «eiserne Lady». Damals war sie zum Beispiel als Vorstandsmitglied des Regionalvereins Olten-Gösgen-Gäu für die Organisation der Suchthilfe Olten verantwortlich. Die gebürtige Ostschweizerin hatte sich immer dem sozialen Flügel der FDP zugeordnet, weshalb ihr der Solothurner Freisinn in seiner speziellen Ausprägung besonderes sympathisch war.
Und als ausgebildete Lehrerin hatte und hat sie ein grosses Herz für Kinder. Das lockerte sicher die eine oder andere Regierungssitzung auf, wenn Esther Gassler eine Anekdote wie diese erzählte: Einer ihrer Enkel fragte sie einmal, ob es noch Dinosaurier gab, als sie auf die Welt kam. Eigentlich ja nicht gerade ein Kompliment, aber aus dem Mund eines Vierjährigen einfach zu süss, um es den Regierungskollegen vorzuenthalten.
Die soziale Ader kam aber auch im harten Politgeschäft zum Tragen. Die Ergänzungsleistungen für einkommensschwache Familien etwa hat Esther Gassler von Anfang an überzeugt mitgetragen – ein Prestigeprojekt von SP-Regierungskollege Peter Gomm, er nennt es seinen grössten Erfolg. Ob er ihn auch ohne die Unterstützung der freisinnigen Kollegin hätte feiern können, wer weiss.
Esther Gassler trat das Amt 2005 zusammen mit Peter Gomm und CVP-Mann Klaus Fischer an. Die drei hatten sich in einem langen Wahlkampf kennen und schätzen gelernt. «Wir mochten uns gut, haben uns nie gegenseitig vorgeführt und sogar unsere Rollen an Auftritten etwas untereinander abgesprochen», erzählt Gassler. Aber man war überzeugt, dass jemand von ihnen würde über die Klinge springen müssen. Dass Roberto Zanetti im zweiten Wahlgang abgewählt würde und es alle drei in die Regierung schaffen, damit hatte niemand ernsthaft gerechnet.
Als es doch so kam, hatten die routinierten Regierungsräte Christian Wanner und Walter Straumann nicht drei Greenhorns unter ihre Fittiche zu nehmen, sondern quasi ein bereits eingespieltes Team als neue Kollegen zu begrüssen. Das hatte Einfluss auf die Arbeit im neuen Regierungsrat, glaubt Gassler. Es sei schnell ein grosses Vertrauen da gewesen und man habe Themen wie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit departementsübergreifend an die Hand genommen.
Und man begann die Aussenbeziehungen wieder aktiver zu pflegen, die zum Aufgabenbereich des Vorstehers oder der Vorsteherin des Volkswirtschaftsdepartements gehören. Zwar war 2005 längst keiner der Regierungsräte mehr im Amt, die sich 1983 wegen einer Einladung der Atel (heutige Alpiq) harten Korruptionsvorwürfen ausgesetzt sahen. Aber Esther Gassler erlebte bei ihrem Amtsantritt die Regierung als geradezu nachhaltig traumatisiert von den Auseinandersetzungen um das «Spanienreisli»: «Man ging nirgends hin und wollte mit niemandem Kontakt.»
Man mag sie vielleicht hie und da als weiblichen Grüssaugust verspottet haben, Esther Gassler sah es als eine der wichtigen Aufgaben, den Kanton und seine Regierung zu repräsentieren. Dass sie als Frau Landammann die Solothurner Gastkanton-Delegation unter dem Motto «Mir gäh dr sänf drzue» an die Olma führte, wo Senf zur Bratwurst ja ein Sakrileg ist, kann man unter den gegebenen Umständen schon als reichlich keck bezeichnen.