Corona-Massnahmen
«Das einzig richtige wäre ein Lockdown»: So diskutiert der Kantonsrat in seiner Sitzung

Der Solothurner Kantonsrat diskutierte in seiner Sitzung vom Dienstag auch über die neuen Corona-Massnahmen, die der Kanton vergangene Woche erlassen hat. Es ging lange und wurde auch emotional. Regierungsrätin Schaffner stellte sich indes hinter die Massnahmen und kündete an, dass diese - wenn nötig - auch noch verschärft werden können.

Noëlle Karpf
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Der Kollaps im Gesundheitswesen müsse verhindert werden, so klang es aus dem Kantonsrat. Aber eben auch ganz anders.

Der Kollaps im Gesundheitswesen müsse verhindert werden, so klang es aus dem Kantonsrat. Aber eben auch ganz anders.

Hanspeter Bärtschi

Im Kanton werden derzeit 73 an Corona erkrankte Personen im Spital behandelt, 14 davon auf der Intensivstation. Die Fallzahlen steigen weiter: 142 Neuinfektionen registrierte der Kanton Stand gestern. Letzten Mittwoch hat die Regierung strengere Massnahmen beschlossen – gestern diskutierte der Kantonsrat über diese abgeänderte Verordnung.

Das Spektrum reichte von: «Im Zentrum steht jetzt der Schutz der Gesundheit der Menschen – wir müssen alles unternehmen, um diese zu gewährleisten» (Thomas Studer, CVP, Selzach), bis hin zu Aussagen wie dieser: «Beinahe wöchentlich werden Grundrechte der Schweizer Bevölkerung eingeschränkt» (Kevin Kunz, SVP, Deitingen).

«Geht nicht um Wirtschaft gegen Gesundheit»

Die Debatte zur abgeänderten Covid-19-Verordnung artete teils zu einer Grundsatzdiskussion aus – etwa, als der genannte SVP-Sprecher erwähnte, heutzutage werde quasi verlangt, dass jeder Mensch «100 Jahre alt wird»; gleichzeitig löse man mit Coronamassnahmen Wirtschafts- und Sozialkrisen aus.

Gleich mehrere aufgebrachte Einzelsprecher meldeten sich daraufhin zu Wort, so Josef Maushart (CVP, Solothurn), der dieses und weitere SVP-Voten so deutete, dass man «zu Gunsten einer florierenden Wirtschaft» Menschen sterben lassen wolle. Was wiederum weitere SVP-Sprecher auf den Plan rief, die sich «in aller Form» distanzierten – und auch zu einer Entschuldigung von Kunz führte.

Markus Spielmann (FDP, Starrkirch-Wil) – «eigentlich hätte ich mich zum Thema nicht äussern wollen» – erklärte später, es gehe hier gar nicht um «Wirtschaft gegen Gesundheit». Das, was in Spitälern abgehe, könne man gar nicht gegen die wirtschaftlichen Folge der Krise aufwiegen – und diese habe man im Übrigen sowieso, ob mit verschärften Massnahmen oder ohne.

«Solche Aussagen sind total egoistisch»

Während verschiedene Stimmen betonten, man dürfe das Gesundheitssystem nicht überlasten und müsse eigene Interessen nun zurückstecken, gab es Kritik an der unterschiedlichen Handhabung der Krise in den Kantonen. «Der Kantönligeist stösst dann an seine Grenzen, wenn in Kantonen unterschiedliche Regelungen für Abdankungen gelten», sprach Barbara Wyss Flück (Solothurn) diesen Punkt für die Grünen an. «Kaum jemand versteht, dass in einem anderen Kanton mehr Leute in eine Gondel steigen dürfen, als im Kanton in eine Kirche eingelassen werden», so André Wyss (EVP, Rohr).

Kritisiert wurden weiter ganz spezifische Punkte der Verordnung; wie etwa die Schliessung von Tennishallen. Was dann Hardy Jäggi (SP, Recherswil) irritierte: Solche Äusserungen seien «total egoistisch» – es gehe hier um die Spitex, die teils keine Patienten mehr aufnehmen könne, um Personen, die im Spital nicht operiert werden könnten. Das einzig Richtige, so Jäggi, «wäre ein totaler Lockdown».

Im Kanton stehen verschärfte Massnahmen tatsächlich zur Diskussion. Die in der letzten Woche abgeänderte Verordnung hiess der Kantonsrat nach langer und hitziger Debatte gut. Regierungsrätin Susanne Schaffner machte schliesslich klar, dass auch der Kanton ein strengeres Regime begrüsse – und auch gedenke, dieses einzuführen, sollte der Bund keine verschärften Massnahmen erlassen.

«Hätten gerne strengere Massnahmen»

Die Bevölkerung verstehe kaum noch, was eigentlich gilt. Auch das war gestern im Kantonsrat zu hören. Denn: Vergangenen Mittwoch hat der Regierungsrat die Massnahmen im Kanton verschärft; am Freitag dann erliess auch der Bundesrat neue Regelungen. Nach wie vor gibt es Unterschiede zwischen den Kantonen: So sind im Solothurnischen Treffen von mehr als 5 Personen im öffentlichen Raum untersagt. Weil Solothurn hier strenger ist als der Bund, kennt etwa der Aargau diese Massnahme nicht. Gesundheitsdirektorin Susanne Schaffner stellte sich gestern einmal mehr hinter das Vorgehen der Regierung: «Wir alle sehnen uns nach Normalität», aber diese sei im Moment noch weit weg. Unterschiedliche Regelungen in Nachbarkantonen, so Schaffner, seien kein Zeichen dafür, dass man sich nicht abspreche. Vielmehr zeigten die Unterschiede, dass das «Problembewusstsein» nicht überall in gleichem Masse vorhanden sei. Die Situation in Spitälern, Heimen und bei der Spitex im Kanton sei besorgniserregend. «Die Stufe Rot ist schon lang erreicht.» Entsprechend hätte man auch schon früher gerne strengere Massnahmen gehabt. Und: «Wenn der Bund nicht strenger wird, dann müssen wir weiter gehen.» Der Bundesrat will allfällige strengere Regeln am Freitag erlassen. Im Kanton wird derzeit zudem geprüft, ob man auch in den Spitälern eine Stufe weiter geht: Ob auf elektive – nicht lebensnotwendige – Eingriffe verzichtet werden soll. Auch ist Thema, ob Privatspitäler ihren Betrieb herunterfahren sollen, um die öffentlichen Spitäler zu unterstützen. (nka)