Stadtbummel
Zuversicht, trotz kopflosem Jesuskind

Brigitte Stettler
Brigitte Stettler
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Während des Krippenspiels hat die Jesus-Puppe den Kopf verloren. (Symbolbild)

Während des Krippenspiels hat die Jesus-Puppe den Kopf verloren. (Symbolbild)

Schweizerisches Nationalmuseum

Wenn uns Kindern die Wartezeit bis zum Heiligen Abend viel zu lange dauerte und wir ungeduldig wurden, so hatte unsere Mutter stets folgenden Vorschlag zur Hand. Bastelt euch eine Weihnachtsgeschichte, sagte sie. Und wenn ihr sie fertig ausgedacht habt, höre ich sie mir am Abend an.

Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viele Geschichten sich meine Mutter jeweils anhören durfte, ja manchmal auch musste. Einmal jedoch übertraf die Realität meine Fantasie. In der vierten Klasse beim Lehrer Widmer durfte ich im grossen Krippenspiel die Maria spielen. Ich übte zwanzig Mal am Tag meinen Text und feilte an meinem Gesichtsausdruck, der mütterlich und liebreich zu sein hatte. Diesen beizubehalten, war alles andere als leicht. Dann war er endlich da, mein Auftritt als Maria. Die Jesus-Puppe hatte das Chrischteli Hitz grosszügigerweise zur Verfügung gestellt, das Chrischteli spielte einen Engel.

Als ich also zu Beginn des Spiels das Jesuskind in meinen Armen hielt und hin und her wiegte, da verlor dieses seinen Kopf. Mir stockte der Atem und ich drückte verzweifelt mit der rechten Hand den losen Kopf vom Jesus an seinen Körper. Es sollte doch niemand etwas merken. Ich muss verzweifelt ausgesehen haben, so mancher Zuschauer attestierte mir nach der Vorstellung ein gewisses dramatisches Talent. Aber niemand hatte etwas mitbekommen bis zum Schluss, als die Puppe, kopflos zwar, aber friedlich in der Krippe schlummerte. Bloss das Chrischteli Hitz kam noch angeflattert in seinem Engelskostüm und schrie unentwegt. Zwei Tage lang sprachen wir nicht mehr miteinander.

Trotz dieser Erfahrung habe ich seitdem unzählige Kopfgeschichten gebastelt, mit grossem Vergnügen, und ich kann diese Bastelei nur empfehlen. Sie lenkt ab vom im Moment doch eher eingeschränkten Alltag, von den ewig gleichen Nachrichten über das ewig gleiche Virus. In unserer Fantasie tragen wir weder Masken, noch halten wir Abstand. Wir umarmen uns und Gedränge in den Läden stört uns nicht. Wir brauchen diese Fantasie, um dem Alltag besser gewachsen zu sein. Um allfälligen Frust in eine positive Energie umzuwandeln.

Ob er nun an die Weihnachtsgeschichte glauben solle, fragte mich ein Bub an der Busstation Ich wisse es nicht, aber was für uns alle an einem Heiligen Abend wichtig sei, das könne ich ihm sagen. Einen langen Moment an Stille brauche es. Dann eine warme Unterkunft, liebevolle Eltern für alle Kinder dieser Welt, genügend Nahrung und Versorgung, Beistand, wenn man welchen brauche, und dann doch eben dieses eine neugeborene Kind in der Krippe als Zuversicht und Hoffnung für unsere Welt.