Grenchen
Woher kommst du?

Roger Rossier
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Der Tod des Afroamerikaners George Floyd liess die Rassismusdebatte auch in der Schweiz neu aufflammen.

Der Tod des Afroamerikaners George Floyd liess die Rassismusdebatte auch in der Schweiz neu aufflammen.

Keystone

Heute vor zwei Monaten wurde der Afroamerikaner George Perry Floyd bei der Festnahme durch die Polizei getötet. Dieses auf Video festgehaltene Ereignis schockierte die Welt und löste eine grundlegende Diskussion über Rassismus aus.

Das Thema erreichte auch die Schweiz. Zum Beispiel erklärte eine Teilnehmerin in der politischen Diskussionssendung «Arena», wieso bereits die Frage «woher kommst du?» rassistisch sei. Ihre Begründung, man stelle dies Frage nur Personen, die eine andere Hautfarbe hätten.

Ist das so? Versucht man damit, nicht der Sprache eine Mitschuld an sozialen Missstände zu geben, und verlagert die Diskussion auf eine Ebene, die für die Lösung der Probleme wenig hilfreich ist?

Diese Woche fragte ich unsere Nachbarin im Quartier, woher sie komme. Diese Frage stellte ich aus Neugier und mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass sie rassistisch belastet sein könnte. Wenn man diese Frage nicht mehr stellen darf und nicht oberflächlich bleiben will, wie soll man einem Mitmenschen zeigen, dass man sich für seine Geschichte interessiert?

Oder wird aufgrund der laufenden Diskussionen über Rassismus das Volkslied «es Burebüebli mahn i nid» auch schon bald aus den Gesangbüchern verschwinden, weil spätestens mit der Strophe «muess eine si gar hübsch und fiin, darf keini Fähler ha, juhe» suggeriert wird, die Bauernsöhne seien weder hübsch, feinfühlig noch fehlerlos? Eine Aussage, die spätestens mit der Wahl des Bauers Renzo Blumenthal zum Mister Schweiz 2005 widerlegt wurde.

Vermutlich haben wir alle schon Momente der Ausgrenzung erlebt. Als ich eingeschult wurde, sprach ich kaum Deutsch, da in der Krippe vor allem italienisch und bei mir zu Hause französisch geredet wurde. Nach einem Wohnortwechsel kam ich zu einer jungen Lehrerin, die im Zentrum die zweite Klasse mit 34 Abc-Schützen unterrichtete. Beim Diktat machte sie sich einen Spass daraus, die schlechtesten mit Angabe der Schreibfehlersumme (lag nicht selten bei 20 und mehr Fehlern) namentlich aufzurufen. Auch ich durfte immer wieder zusammen mit meinen ebenfalls der deutschen Sprache nicht mächtigen Klassenkameraden nach vorne gehen und das rot korrigierte Diktat entgegennehmen. Da ich damals schwarzhaarig war, wurde ich oft zudem «Tschinggeli» genannt.

Ein anderes Beispiel: Während eines Armee-Wiederholungskurses in den Neunzigerjahren erhielt ich den Spezialauftrag, im Emmental verschiedene Fahrschulstrecken für angehende Motorfahrzeuglenker einer Rekrutenschule zu erkunden. Im Befehl stand, die Fahrstrecken sollten einfach zu befahren sein, es gehe schliesslich um die Fahrschule einer Frauen-Rekrutenschule... Lehrkräfte, die sich einen Spass daraus machen, Schwächere blosszustellen, oder Armeeangehörige, die geschlechterverachtende Befehle geben, gehören heute hoffentlich der Vergangenheit an.

Grenchen hat einen Ausländeranteil von 35 Prozent und liegt damit 10 Prozent über dem schweizerischen Durchschnitt. Menschen aus 106 Nationen leben hier. Statistisch gesehen wäre Grenchen ein guter Nährboden für Rassismus. Die Politik und wir alle sind gefordert, dass niemand nur aufgrund seiner Herkunft ausgegrenzt wird. Die Geschichte unserer Stadt hat immer wieder bewiesen, dass wir eine offene Stadt sind und gut mit fremden Kulturen umgehen können. Darauf dürfen wir auch stolz sein.

Meine Nachbarin stammt übrigens aus Lüterkofen im Buechiberg und ist nicht dunkelhäutig.