Stadtbummel Grenchen
Wir bitten Sie um einen Augenblick Geduld

Brigitte Stettler
Brigitte Stettler
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Abwarten und Teetrinken ist vielerorts angesagt.

Abwarten und Teetrinken ist vielerorts angesagt.

Keystone/KEYSTONE/TI-PRESS/SAMUEL GOLAY

Diesen Satz bekommt man im Moment beinahe bei jedem Telefonanruf an überlastete Institutionen zu hören. Mehr denn je ist Geduld gefragt. Abwarten und Teetrinken. Gefasst sein. Sich nicht verunsichern lassen. Gerade einmal knapp drei Wochen befinden wir uns in einer Art von Ausnahmezustand, üben wir uns in «sozialem Abstand».

Nein, das tun wir eben nicht. Wir haben erlebt, wie ungemein sozial und solidarisch sich nicht nur die Bewohner der Stadt Grenchen verhalten, sondern Menschen über alle Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Man trägt Verantwortung, man hilft sich gegenseitig und erfährt dadurch eine ganz besondere Nähe zu seinen Mitmenschen, derer man sich gar nicht bewusst war.

Nein, es hätte kein Virus gebraucht, das uns in Angst und Schrecken versetzt, das uns verunsichert und krank macht, bis wir begriffen hätten, was Entschleunigung möglich macht. Die Natur atmet im Moment durch, erholt sich, der Verkehr hat abgenommen, abgesehen von einigen vollpfostigen Rasern, die sich Rennen liefern. Nein, es hätte kein Virus gebraucht, das uns nötigt, Grenzen zu schliessen, uns abzuschotten, um gesund bleiben zu dürfen. Es gibt Präsidenten, die von einem Krieg sprechen, in dem wir uns befinden. Ja, wir bekämpfen das Corona-Virus. Aber wir sind nicht im Krieg. Wir erleben nicht, wie täglich Bomben unsere Häuser zerstören. Wir werden nicht in Flüchtlingslagern zusammengepfercht. Wir haben nach wie vor mehr als genug Nahrung, und falls uns diese ausgeht, haben wir die Möglichkeit, uns sofort Nachschub zu besorgen.

Nein, wir befinden uns lediglich in eingeschränkten Lebensumständen. Viele von uns bangen um ihre finanzielle Zukunft, viele sind einsam, aber in einem Krieg befinden wir uns nicht. Jedes Jahr sterben 9 (neun) Millionen Menschen an Hunger, eine Zahl, die uns nachdenklich machen sollte. Und dankbar. Trotz allem oder gerade deshalb. Seien wir geduldig, nicht nur unseren Mitmenschen, auch uns selber gegenüber. Lassen wir uns die Zeit, die nötig sein wird, das Virus zu besiegen oder zumindest in gewissen Schranken zu halten. Seien wir dankbar allen jenen gegenüber, die in all diesen Tagen und Wochen schier Unglaubliches leisten, die an ihre körperlichen und seelischen Grenzen stossen und die sich dennoch nicht beklagen, sondern einfach weitermachen.

Ich wünschte mir sehr, dass auch nach der Bewältigung dieser Krise nicht alles in Vergessenheit gerät, was uns in dieser Zeit auch an Positivem widerfahren ist. Ich wünsche mir für den Moment, die nächsten Tage und Wochen weiterhin Distanz. Eine körperliche und keine soziale Distanz. Von dieser nämlich sind wir weit entfernt. Und wenn ich mir die Zustände vor Augen führe, die in so manchem armem Land herrschen, da bin ich mehr als dankbar für meinen jetzigen Zustand. Ich will mich aber auch freuen auf volle Spielplätze, auf entlastete Familien, auf fröhliche Schulklassen, auf flanierende Menschen überall, auf gut besuchte Beizen und einen hoffentlich weniger überhitztenTourismus unserer Umwelt zuliebe.
In der Zwischenzeit unternehme ich ausgedehnte Reisen in die schönsten Gegenden der Welt, treffe mich mit Freunden in den Beizen Grenchens, das Kino in meinem Kopf macht es möglich. Ich mache Spaziergänge und geniesse die sonst so seltene Stille in unserer Stadt am Jurasüdfuss, hoffe auf Frieden und Harmonie in den Familien und übe mich in Geduld. Und, ich langweile mich auch, ja, Sie haben richtig gelesen, denn Langeweile aktiviert bei Menschen, welche grundsätzlich die Anlage dazu besitzen, die Fantasie und die Geduld. Doch ganz zum Schluss das Allerwichtigste: Bleiben Sie gesund und weiterhin füreinander da.