Grenchen
Wie German Vogt für sein Buch die Nazi-Grössen ausgrub

Diplomatie sei nicht seine Stärke, sagt der ehemalige Grenchner Bezirkslehrer German Vogt. Dennoch schafft er es seit Jahren, historisch Unbekanntes an die Oberfläche zu befördern. Seine «Spezialität» ist die Grenchner Uhrenindustrie.

Fränzi Zwahlen-Saner
Drucken
German Vogt (*1929) mit seinem Buch über den Nationalsozialismus im Kanton Solothurn. Dieses war die Quelle für die zweiteilige Serie in dieser Zeitung.

German Vogt (*1929) mit seinem Buch über den Nationalsozialismus im Kanton Solothurn. Dieses war die Quelle für die zweiteilige Serie in dieser Zeitung.

Oliver Menge

Vor zehn Jahren veröffentlichte der pensionierte Grenchner Bezirkslehrer German Vogt im Jahrbuch für Solothurnische Geschichte seinen 245-seitigen Bericht über den «Nationalsozialismus im Kanton Solothurn 1939–1945» (Jahrbuch für Solothurnische Geschichte 78. Band, 2005). Mit frohem Erstaunen nahm der Autor zur Kenntnis, dass diese Zeitung Inhalte seines Berichtes für eine zweiteilige Serie unter dem Titel «Nazis im Kanton Solothurn» verwendete. «Es freut mich ausserordentlich, dass meine Arbeit zehn Jahre nach Erscheinen nun doch noch Erwähnung in der Solothurner Presse erfahren hat», so German Vogt. Wir wollten wissen, warum er zwischen 1995 und 2005 den Bericht verfasst hat, wie er vorgegangen ist und wie die Reaktionen nach der Publikation waren.

«Schuld daran, dass ich diesen Artikel in Angriff nahm, ist Grenchens ehemaliger Schuldirektor Teddy Buser», sagt German Vogt beim Gespräch. «Buser hat mich 1993 aufgefordert, für das Grenchner Jahrbuch einen Artikel zum Thema «Nationalsozialismus in Grenchen» zu verfassen. Das sei der Beginn gewesen, sich mit dem Thema zu befassen. Vogt hatte sich bis dahin öfters mit der Geschichte von Grenchen und dem Leben von bekannten Personen beschäftigt. «Ich hatte verschiedentlich in den Grenchner Jahrbüchern insbesondere über die epochalen Umwälzungen der Grenchner Uhrenindustrie geschrieben. Den Nationalsozialismus und den Faschismus kannte ich natürlich schon als kleiner Knabe, aber weitgehend unbekannt waren mir die Namen der einheimischen und die der Solothurner Nationalsozialisten».

Dennoch wagte sich Vogt an die Arbeit, denn bis dahin existierte keine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Umtriebe im Kanton Solothurn. «Als ausgebildeter Bezirksschullehrer verfüge ich nicht über eine historisch-wissenschaftliche Ausbildung. Zwar hatte ich während meines Studiums Geschichte studiert und dabei ein Proseminar über mündliche Quelleninterpretation besucht. Als ich mich an die Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus im Kanton Solothurn wagte, wandte ich mich an Staatsarchivar Andreas Fankhauser und an den wissenschaftlichen Assistenten der Zentralbibliothek Hans Rindlisbacher. Jener informierte mich über die Namen der bekanntesten Solothurner Nationalsozialisten und über das Vorgehen bei den Recherchen im Bundesarchiv. Dieser machte mich auf die jährlichen Berichte des Regierungsrates und des Kantonsrates aufmerksam. So begann ich mein Werk. Nach einer kleinen Weile wollte ich das bisher Erarbeitete dem Historiker Urban Fink zur Prüfung vorlegen, doch er meinte, er wolle die ganze Arbeit sehen. Das tat er dann auch und hier muss ich festhalten, dass ich es ihm verdanke, dass mein historischer Apparat den strengen wissenschaftlichen Anforderungen für eine Veröffentlichung genügte.»

Vogt hat seinen damaligen Rechercheaufwand exakt notiert: Ganze 75-mal reiste er nach Bern und begutachtete Unterlagen und Dokumente im Schweizerischen Bundesarchiv sowie in der Landesbibliothek. Auch im Staatsarchiv und in der Zentralbibliothek Solothurn war er oft anzutreffen, dazu im Archiv Zeitgeschichte in Zürich oder im Staatsarchiv Aarau. Vor zwanzig Jahren noch ohne Computer und Laptop unterwegs, machte er sich handschriftliche Notizen über die nötigen Fakten, schrieb Seite um Seite. Für diese Aufarbeitung kamen ihm auch seine Italienischkenntnisse, die er sich als junger Bezirkslehrer aneignete, zugute. Ihn interessierten eben auch italienischsprachige Zeitungsartikel über den italienischen Faschismus. «Ich bin auch in Kontakt mit ein paar Zeitzeugen gekommen, die mir über jene Jahre interessante Details verrieten. Hilfreich waren Vorträge, bei denen ich über das Thema referierte.»

Dass das Thema allgemein von Interesse ist und Vogts Arbeit viele Leser fand, belegt die Tatsache, dass das Jahrbuch für Solothurnische Geschichte 2005 trotz erhöhter Auflage seit ein paar Jahren vergriffen ist. «Das kommt selten vor», stellt der Grenchner zufrieden fest. Doch einen Wermutstropfen hat er anzumerken. «Gleich nach Erscheinen wurde das Buch totgeschwiegen und daher erhielt ich bis heute nie irgendwelche Anerkennung, insbesondere von behördlicher Stelle im Kanton Solothurn. Wohl aber von zahlreichen Einzelpersonen.»

Hingegen erfuhr er 2008 eine ausserkantonale Ehre. Die Stiftung «Kreatives Alter, Zürich» hat ihm einen Preis für diese Arbeit ausgerichtet. «Mit den 10 000 Franken Preisgeld sind meine Spesen abgedeckt worden», sagt er lakonisch. 2012 verlieh ihm die Gemeinde Grenchen den Grenchner Kulturpreis – eine weitere Ehrung seiner geschichtlichen Arbeit, wobei man in Grenchen insbesondere an seine stete Dokumentation und Aufarbeitung der Grenchner Uhrenindustrie, insbesondere der Swatch, dachte. So sagt Vogt heute: «Mit dem Nationalsozialismus befasste ich mich etwa elf Jahre; mit der Geschichte des Grenchner Urprodukts, der Swatch, seit 33 Jahren.»