Die soziale Institution «Netzwerk» hat vor mehr als drei Jahren das DAB+-Radio «Chrigu» entwickelt. Geschäftsführer Reto Kämpfer erklärt: «Es ist Swiss made, das ist die Idee dahinter.»
Vorneweg: Es ist nicht so, dass «Chrigu» in den letzten drei Jahren verstummte. Im Gegenteil, rund 50 «Chrigus» spielen heute in verschiedenen Schweizer Wohnzimmern die Charts auf und ab oder erzählen die Nachrichten des Tages. Zudem hat «Chrigu» ein eigenes Logo und gar eine eigene Homepage. Doch «Chrigu» machte die gute Konjunktur zu schaffen. Oder anders gesagt: Die gute Konjunktur half dem Netzwerk Grenchen zwar seinen Grundauftrag zu erfüllen, sorgte aber auch dafür, dass das DAB-Radio auf der Strecke blieb.
Zweck und Geschichte
Der Verein Netzwerk Grenchen bezweckt die Förderung und Ausbildung von Stellensuchenden wie auch von sozial, körperlich, geistig und psychisch beeinträchtigten Menschen. Der Ursprung führt ins Jahr 1982 zurück. Im Jahr 2001 schlossen sich die drei Betriebe Beschäftigungs- und Weiterbildungsstätte für Arbeitslose (BWS), Sozialer Industriebetrieb (SIB) und Atelier Mühle zum Verein Netzwerk zusammen. Die finanziellen Mittel stammen in der Hauptsache von den Arbeitslosenkassen, von Kostenrückvergütungen der Sozialversicherungen und von den Gemeinden des Kantons Solothurn. Daneben wird auch ein positiver Ertrag durch Arbeiten für Industrie und Gewerbe sowie den Verkauf von Produkten erwirtschaftet. (tru)
Reto Kämpfer, seit einem Jahr Geschäftsführer des Netzwerks, erklärt: «Ist die Konjunktur schlecht, haben wir Leute bei uns, die es braucht, um ein solches Projekt mit einer hohen Präzession voranzutreiben. Diese Leute sind nun aber im ersten Arbeitsmarkt tätig.» – «Zum Glück», so Kämpfer, denn das Ziel ihrer Institution sei ja, dass die Personen langfristig eine Stelle finden. Darum stehe für sie auch immer wieder die Frage im Zentrum, wie viel Produktivitätsgrad sie bei einem solchen Projekt überhaupt brauchen können. «Bei ‹Chrigu› sind wir bei einem sehr hohen angelangt», so der Geschäftsführer.
Thomas Häring, Bereichsleiter der geschützten Werkstatt, sitzt neben Kämpfer und nickt. Der gelernte Elektroniker war bei der Lancierung des DAB-Radios mit dabei und hat den «Stillstand» von «Chrigu» in den letzten Jahren miterlebt. «Wir sind eigentlich gesund und mit guten, motivierten Leuten im Beschäftigungsprogramm der 18- bis 25-Jährigen gestartet. Dann haben diese aber eine Stelle gefunden, und von dort an wurde es schwierig.» Er wird konkret: «Ich glaube, unser Anspruch war von Anfang an zu gross.» Der Gedanke, die Frontplatte im Haus zu fräsen, das Holzgehäuse in der Schreinerei zu fertigen und die rund 250 Komponenten im Innern des Radios selbst zu löten sei zwar ein schöner, aber wohl ein Wunschgedanke gewesen.
Es mangelt an Fachkräften
Mit was für Hindernissen «Chrigu» zu kämpfen hat, zeigt sich auch an folgendem Beispiel. Wegen der hohen Produktivität wurde die Herstellung des Radios von den Beschäftigungsprogrammen für die Arbeitslosenversicherungen und den Sozialdienst entfernt und stattdessen im Bereich der geschützten Arbeitsplätze installiert. «Dort haben wir auch Personen, die grundsätzlich vom Fach wären.» Thomas Häring ergänzt: «Besonders der eine. Er konnte die Radios testen und wusste, wo die Fehler auftraten.» Und dann? «Eines Tages ist er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Arbeit gekommen. Solche Probleme sind bei unserer Arbeit Alltag und machen halt die Situation auch nicht einfacher», so Häring.
Trotz der Hindernisse bei der Produktion, bis vor kurzem gabs die «Chrigus» beim Radio- und Fernsehgeschäft Expert in Solothurn zu kaufen (siehe Kasten). Und laut Häring habe man dort gar etwa 20 Stück verkauft. «Das habe ich jetzt aber gestoppt», so der Bereichsleiter weiter. Denn es finde sich zurzeit einfach niemand, der sich der Produktion und Betreuung der Radios annehmen könne. Als Beispiel erwähnt er ein DAB mit einem technischen Defekt, das er vor kurzem zurückholen musste. «Schon bei einem erfahrenen Techniker dauert es einen Moment, bis er den Fehler gefunden hat ... wenn dann aber hier niemand weiter weiss, hängt es an mir», so Häring.
«Das Produkt ist bei unseren Kunden sehr gut angekommen»
Nicola Nozzi, Mitinhaber des Radio- und Fernsehgeschäfts Expert in der Kronengasse in Solothurn, zeigt sich auf Anfrage begeistert vom «Chrigu DAB+»-Digitalradio. «Das Produkt ist bei unseren Kunden sehr gut angekommen, weil es eben komplett in einer sozialen Institution gefertigt wurde», so Nozzi. Vor allem auch der Gedanke daran, dass viele verschiedene Berufsgattungen am Digitalradio mitgearbeitet haben, gefalle den Kunden. Und der stolze Preis? «Weil man damit eben ein soziales Projekt unterstützt, waren die Personen auch bereit die 500 Franken zu bezahlen», erklärt der Mitinhaber des Radio- und Fernsehgeschäfts. Das Produkt sei ausserdem mit DAB+ auf dem neusten Stand und auch der technische Support («Thomas Häring hat sich ständig um die Softwarupdates gekümmert») sei top. «Das Zusammenspiel zwischen dem Netzwerk als Hersteller, den Kunden als Käufer und uns als Zwischenposten war sehr familiär. Auch das gefiel den Kunden besonders.» (sbi)
Dabei sei es ja nicht ihre Aufgabe, sich selbst zu beschäftigen, sondern mit den Teilnehmenden der Beschäftigungsprogramme Sinnvolles zu machen.
Stolzer Preis für ein DAB-Radio
Ein anderes Thema ist der stolze Preis von 500 Franken. Ist dieser vertretbar? Geschäftsführer Kämpfer: «Den Grundsatz, ein Produkt im oberen Preissegment herzustellen, den finde ich gut.» Schliesslich sei es nicht das Ziel, mit ihren Leuten Billigware zu produzieren, und zudem, das wisse ihre Klientel, habe das Produkt auch einen ideellen Wert. «Und es ist ja Swiss made, das ist die Idee dahinter.» Eine Idee übrigens, die noch von Kämpfers Vorgänger stammt. Christian Rohr, ehemaliger Netzwerk-Leiter, hatte damals das Projekt zusammen mit dem Elektroingenieur Andreas Zutter initiiert. Zutter hatte zwischen 2009 und 2011 sechs Monate Zivildienst und viele freiwillige Stunden bei sich zu Hause für die Schöpfung von «Chrigu», aufgewendet.
Probleme beim Löten umgehen
Blick in die Zukunft: Das verbliebene und bereits bezogene Material ist verarbeitet und die anfangs geplanten 100 «Chrigus» produziert – wie geht es weiter? «Ich hätte eigentlich grosse Lust, das Projekt weiterzuführen, denn ich finde nach wie vor, dass es für eine Institution eine sehr gute Idee ist, so etwas herzustellen», so Häring. Wenn das Projekt aber weiterlaufen würde, dann sei für ihn klar, dass die Komponenten nicht mehr selbst gelötet würden. Er könne sich eher vorstellen, dass die Teile fixfertig bestückt angeliefert kommen, und die Teilnehmenden des Netzwerks Grenchen würden sie dann noch zusammenbauen. «Es wäre dann immer noch in der Schweiz hergestellt und wir hätten es immer noch entwickelt. Ich glaube, so wäre es realisierbar.» Denn gerade beim Löten seien grosse Probleme entstanden. Rund zehn Platinen könne man nicht mehr gebrauchen, weil sie falsch gelötet und anschliessend beim «Rettungsversuch» komplett zerstört wurden. «Darum können wir wohl von den geplanten 100 nur 90 herstellen», so Häring. Auch eine Zusammenarbeit mit einer anderen sozialen Institution könne er sich vorstellen. «Dann könnte man sagen, das ist ein Radio, der in sozialen Institutionen hergestellt wurde. Das ist ein schöner Gedanke.»
Geschäftsführer Reto Kämpfer gibt zu, dass er dem Projekt anfangs skeptisch gegenüberstand. «Vor allem betreffend der Finanzierbarkeit.» Aber mittlerweile könne er sich gut vorstellen, das Produkt offensiv zu bewerben und gar als Aushängeschild der Institution Netzwerk Grenchen zu vermarkten. Dazu brauche es aber Personen wie Thomas Häring, die mit Leidenschaft für das Projekt einstehen. «Und Personen wie die Inhaber von Expert Solothurn, die an solche Projekte glauben und mir gesagt haben, ich könne jederzeit wieder kommen, sie würden das Radio sofort wieder in den Verkauf nehmen», ergänzt der so gerühmte.
Und wer weiss, sagt Geschäftsführer Kämpfer, vielleicht finde sich ja auf diesen Artikel hin ein grosszügiger Investor, der bereit wäre, etwas Geld in die Hand zu nehmen, um das Material für eine grössere Produktion vorzufinanzieren. «Das wäre natürlich schön», so Häring zum Schluss.