Der 25-jährige Schwergewichtsboxer macht im Boxlub Grenchen von sich reden. Ihm kann zurzeit lokal keiner das Wasser reichen.
In der schon etwas angejahrten Turnhalle in der Schulanlage Kastels fliesst an diesem Sommerabend der Schweiss in Strömen. Ein Dutzend Männer rennen in Tatzelwurm-Formation durch die Halle, tänzeln hin und her, bewegen die Arme schattenboxend gegen den Vordermann der seltsamen Polonaise. Ein anstrengendes Intervalltraining bringt die Sportlergruppe auf «Betriebstemperatur» für die anschliessenden Übungen mit den Boxhandschuhen.
Ein Trainingsabend im Olympischen Boxen beim Boxclub Grenchen ist nichts für Weicheier. Kreislauf, Reaktionsvermögen und Schnellkraft werden extrem gefordert. Das Keuchen wird bald einmal hörbar, wird laut und lauter. Die Schweisstropfen fliegen bei jeder Bewegung durch die Luft.
Während der Hauptharst der Gruppe nach dem Aufwärmtraining die Sandsäcke bearbeitet, stürzt sich der 25-jährige Hugo Hémeray in die komplette Boxmontur. Das heisst, neben den Bandagen und den Handschuhen wird ein Kopfschutz montiert und ein Zahnschutz. Denn heute gibts ein Sparring mit Clubkollege Rafael Stern. Er ist zusammen mit Hémeray zurzeit der Einzige im Boxclub Grenchen, welcher gezielt auch für Wettkämpfe trainiert. Wettkampftrainer Stefan Bernhard hat zu diesem Zweck in einer Ecke der Halle mit einer Kordel einen supponierten Boxring aufgezogen.
Eine Begegnung dauert drei Runden à drei Minuten. Am Ende der ersten Runde ist Rafael Stern schon ziemlich mit Treffern eingedeckt, am Ende der Begegnung buchstäblich angezählt. Doch er hält durch. «Gegen Hugo einen klaren Treffer zu landen ist schwierig», keucht er nach tapfer geschlagener Schlacht. Doch eine freundschaftliche Umarmung zum Schluss zeigt: das ist Sport.
Dass Hugo Hémeray die grosse «Nachwuchshoffnung» im Boxclub Grenchen ist, wird bald klar. Hier kann ihm zurzeit niemand das Wasser reichen und auch an diesem Trainingsabend ist er sichtbar in seinem Element.Zwischendurch, wenn Rafael pausiert, traktiert Hugo die Pads, die Trainer Stefan Bernhard ihm druckvoll entgegenstreckt mit Doubletten und Mehrfachschlägen. Dieser muss sich mit aller Macht entgegenstemmen. «Hugo ist erst seit letztem Herbst bei uns und ist seither bei zwei Wettkämpfen angetreten, die er beide überlegen gewonnen hat. Wenn er dranbleibt, dann kann er es noch weit bringen», meint Bernhard anerkennend.
Und Hugo Hémeray will dranbleiben. Der in der Nähe von Paris aufgewachsene Mitarbeiter bei der Uhrenfirma Breitling hat, als er 2018 nach Grenchen zog, den Boxclub noch vor seiner Wohnung gefunden. «Ich boxe seit meinem 15. Lebensjahr und investiere einen Grossteil meiner Freizeit in diesen Sport», berichtet er in recht gutem Hochdeutsch.
Warum gerade Boxen und wie fing das an? «Als meine Eltern sich in meinem Teenager-Alter trennten, merkte ich, dass sich was anstaute in mir, das ich mit intensiver sportlicher Betätigung bewältigen konnte», erzählt Hugo Hémeray. Als ihm seine Mutter die ersten Boxstunden erlaubte, war dies «Boxe française», Französisches Kickboxen, danach probierte er auch weitere Formen wie Thai-Boxen aus.
Boxen ist ein äusserst anstrengender und anspruchsvoller Sport. Es braucht ausgiebiges Konditions- und Krafttraining, um nur schon die Grundphysis zu erzielen, auf der man aufbauen kann. Hugo Hémeray trainiert zurzeit dreimal wöchentlich mit dem Boxclub, daheim dazu mit Springseil und Hanteln.
Was ist sonst noch wichtig? - Rasches Reaktionsvermögen, Wendigkeit, Reflexe. «Als Boxer musst du auch schlau sein und einen schlauen Trainer haben. Und du musst lernen, auf ihn zu hören und das umzusetzen, was er dir sagt», meint er weiter. Denn der Trainer habe die Gelegenheit, den Gegner und seine Schwächen und Stärken im Kampf genau zu studieren.
Die Ausrüstung fürs Boxen ist nicht teuer. «Für 100 Franken kann man sich die wichtigsten Dinge kaufen», meint Jennifer Corti, welche bis zur aktuellen Familienpause Frauen und Jugendliche im zurzeit 50 Mitglieder umfassenden Boxclub Grenchen trainierte. Etwa die Hälfte von ihnen trainieren regelmässig, darunter etwa gleich viele Frauen wie Männer. Der Boxclub Grenchen hat eine traditionsreiche Vergangenheit und wird nächstes Jahr 100-jährig. In den 1960er-Jahren hat er grosse Zeiten gesehen mit Karl Gschwind, dem mehrfachen Schweizer Meister, dem viele nacheiferten. Am kommenden 14. März soll im Parktheater das Jubiläum gross gefeiert werden unter anderem mit der Schweizer Box-Nationalmannschaft. Hémeray will dannzumal auch im Ring antreten.
Denn ebenbürtige Gegner findet er in der Region nicht viele. Ab und zu fährt er zu anderen Boxclubs zum Trainieren. Beispielsweise nach Thun, wo mit dem erst 18-jährigen Andri Beiner der Stern eines Jungtalents am Aufgehen ist.
Was sind Hugo Hémerays Ambitionen? - «So weit zu kommen, wie es eben geht», sagte er, ohne lange zu überlegen. Nur eine Ambition hat er nicht: sich in einer Schlägerei abseits des Sports durchzusetzen. «Die meisten Boxer sind wie ich friedliebende Typen. Ich gehe dem Streit aus dem Weg. Ich will mir weder die Hand brechen noch die Lizenz verlieren.»