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Zu Zeiten der Uhrenkrise halfen Arbeitslose bei der Schaffung von Kunstwerken mit. Einige sind bis heute zu sehen.
Wer die Grenchner Bahnhofstrasse nach Süden hinuntergeht, der wird bald einmal links das «Hôtel de Ville» sehen, einen Bau aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, verziert im Zeitgeist mit zahlreichen fein herausgearbeiteten schweizerischen Symbolen und heute Sitz des Stadtpräsidiums und eines Grossteils der städtischen Verwaltung. Südlich des Gebäudes schliesst ein kleiner Park an, in dessen Zentrum eine eigenartige geheimnisvolle Holzkugel steht, die von stummen und verzweifelt wirkenden hölzernen Gestalten umgeben ist. Die ganze Gruppe ist von Pflanzen überwachsen, die aus dem morschen Holz wuchern.
Wer vom Nordbahnhof herkommend durch die Lindenstrasse an der «alten Turnhalle» vorübergeht und schliesslich auch an den Schulbauten aus verschiedenen Bauepochen, gelangt schliesslich im Gebiet des modernistischen unpassenden Zweckbaus der Holzfeuerungsanlage an den markanten Schlusspunkt der Strasse, an ein monumentales, eindrückliches Werk, das die 24 Stunden des Tages symbolisiert und, wie es sich für ein mächtiges Symbol der Zeit und deren Wiederholung gehört, den Wanderer zum Verweilen zwingt.
Wer auf dem Obergrenchenberg angekommen ist, die Aussicht hoch über der geheimnisvollen und gefährlich erscheinenden Wandfluh geniessen will und sich dabei vielleicht erinnert, dass hier einmal ein Mann in den Fängen eines Bären festgehalten mit diesem in die Tiefe stürzte und den Sturz im Gegensatz zum Tier überlebt hatte, der konnte vor einigen Jahren noch eine begehbare Holzplastik nicht übersehen. Beim längerem Hinsehen verschmolz sie mit dem Berg und dessen Weiden sowie dünnen Wäldchen zu einer geheimnisvollen neuen Einheit-
Alle drei Kunstwerke gehören zusammen, besitzen eine gemeinsame Herkunft und erinnern nachdrücklich an die Zeit der grössten Not, an die Zeit der letzten Krise in Grenchen. Und alle drei waren Arbeiten, die im Rahmen eines bisher einzigartigen Arbeitslosenprogramms entstanden sind – Arbeitslose arbeiten mit Kunstschaffenden zusammen.
Im «Grenchner Jahrbuch 1994» schilderte Lukas Walter unter dem Titel «Arbeitslosigkeit und der Kampf dagegen» die Bemühungen der Öffentlichkeit, dieser Arbeitslosigkeit Herr werden zu können. Vieles wurde unternommen: Auf den Bergweiden wurden zur Abgrenzung verschiedener Gebieten nach überlieferten Methoden Trockenmauern gefügt.
Die Stadt richtete bereits in der Krise der 1980er-Jahren eine Metall- und eine Holzwerkstatt ein, in beiden konnten Arbeitslose ihre Kenntnisse vertiefen, konnten ihre Fähigkeiten verbessern und damit auch die Chancen, eine neue Stelle finden zu können. Es gab das Restaurant «Löwen – das andere Restaurant», das arbeitslose Frauen für Berufe in der Gastro-Branche qualifizierte. Und schliesslich gab es: die Kunst.
Drei Künstler liessen sich dazu begeistern, mit Arbeitslosen während Wochen intensiv an der Erstellung eines Kunstwerkes zu arbeiten. Anspruchsvolle Bedingung war, dass durch die Arbeit am Kunstwerk das technische und handwerkliche Können der Beteiligten verbessert würde. Die drei engagierten Künstler waren Hanspeter Schumacher, Ueli Studer und Marc Reist. Ihnen gelang es, die Elemente der Kunst sehr eng mit sozialem Empfinden zu verbinden und auf dieser Basis Neues entstehen zu lassen.
Ueli Studers «Ammonit» auf dem Obergrenchenberg steht heute nicht mehr. Die Natur war – so könnte man sagen – stärker und forderte ihren Platz zurück. Es gibt noch Bilder vom Kunstwerk und Erinnerungen. – Marc Reist schuf mit seinen Mitarbeitern 24 gebogene Stelen, die in ihrem Innern aus zahlreichen genau berechneten verschieden geformten Einzelkistchen gefügt waren. Das Werk erforderte genaues Arbeiten, sicheres Zusammenfügen und schliesslich die Freude, gemeinsam etwas Positives zu tun – ein Zeichen zu setzen.
Dieses Kunstwerk wurde mit der Zeit von der Witterung zerstört. Weil es ein wichtiges Werk war und der Stadt viel bedeutete, wurde es nachgebildet und in Beton gegossen. Heute erinnert es uns noch immer an die schweren Zeiten. Das dritte Kunstwerk steht noch, doch die «Weltkugel» von Hanspeter Schumacher wird langsam vom Grün der Pflanzen eingehüllt und so mehr und mehr ein Teil der Natur im Park südlich des «Hôtel de Ville».
Mit dem 7. und letzten Teil beenden wir die Serie zu den Uhrenkrisen in Grenchen. Die zugehörige Ausstellung im Kultur-Historischen Museum dauert noch bis zum 13. Mai 2018. Im Rahmen der Ausstellung finden zahlreiche Veranstaltungen statt, so eine öffentliche Führung am kommenden Sonntag, 22. Oktober, um 15 Uhr.