Stadtbummel
Vom Schützengraben zum digitalen Graben

Roger Rossier
Roger Rossier
Drucken

hanspeter baertschi

Der Grossvater erzählte oft vom Schützengraben. Als später die eidgenössischen Abstimmungen in der deutschen Schweiz entschieden wurden, sprach man vom Röstigraben. Heute geistert der Begriff «digitaler Graben» durch die Stuben der Politik. Angela Merkel zählte die Überwindung dieses Grabens bereits vor fünf Jahren zur grössten Herausforderung für die Zukunft. Wie sieht es bei uns aus? Fallen wir nicht immer wieder in diesen Graben? Ich denke da nicht an Übertragungsgeschwindigkeiten der Mobilfunkgeneration G5, sondern an Situationen aus dem Alltag, wie folgende Beispiele zeigen:

An Weihnachten war der achtjährige Vincent bei seiner Uroma im entfernten Ausland zu Besuch. Nachdem die Geschenke ausgepackt, die Wohnung erforscht und die leckeren Waffeln gegessen waren, meinte der Junge: «Ich möchte jetzt gehen, die Uroma hat kein WLAN (kein Internet).» Ohne Internet riskiert die rüstige Achtzigjährige, vom Urenkel ausgegrenzt zu werden, da sie weder skypen noch einen Tweet à la Mister Trump senden kann und der Junge keinen Zugriff auf seine in Clouds gespeicherten Spiele hat.

Ein Lehrer in Grenchen unternahm mit seiner Klasse einen Ausflug und erlaubte den Teenagern, ausnahmsweise das Handy mitzunehmen, sofern sie damit keine Fotos machen würden. Bedingung: Sie müssten alle den Fotomodus im Smartphone ausschalten. Fotomodus im Handy? Die Schüler lachten sich ins Fäustchen, im Wissen, dass es diese Funktionssperre beim Smartphone gar nicht gibt und sie deshalb das Gerät während des Ausflugs völlig legal zum Bilderschiessen und Weiterleiten an die sozialen Medien verwenden konnten.

Als gelegentlicher Schönwetter-Grillchef überprüfe ich den Gargrad des Fleisches nach der Methode, die bereits unsere Vorfahren seit der Erfindung des Feuers angewandt haben dürften; ich schneide mir ein Stück Fleisch ab. Der langjährige Departements-Sekretär Marcel Châtelain belächelte süffisant meine Erfahrungen als Grillmeister. Châtelain, heute leidenschaftlicher Hobbykoch, erklärte mir sein System, das aus einem kabellosen, digitalen Fleischthermometer bestehen würde. Dieser misst zeitecht die Temperatur des Bratens mittels Bluetooth und sendet die Ergebnisse auf die dafür geschaffene «Grill-App» seines Smartphones. Da mir dieser digitale Fortschritt nicht bekannt war, kam ich mir plötzlich vor, als sässe ich im digitalen Graben.

Es gäbe noch viele weitere Anekdoten rund um digitale Errungenschaften, wie Self-Scanning-Kassen, ParkingApps, Bancomaten, SWG-Stromablesung oder Bahnticketverkäufe. Allen gemeinsam ist die Tatsache, wehrt man sich gegen diese Erneuerungen, fällt man über kurz oder lang in den digitalen Graben und kann Verschiedenes nicht mehr machen. Reiten aber alle auf der digitalen Welle mit, verschwinden laufend Gelegenheiten, bei denen man sich mit Menschen austauschen kann. Menschen wie die Verkäuferin, die Kassiererin, der Bankberater, die SBB- oder Postangestellten, um nur einige zu nennen. Bei allen Anstrengungen, den digitalen Graben zuzudecken, muss man aufpassen, dass man nicht einen neuen Graben innerhalb der Gesellschaft erzeugt, weil die tägliche persönliche Kommunikation verloren geht. Doch wie sagte Churchill so treffend? Ein Pessimist sehe in jeder Gelegenheit ein Problem, ein Optimist sehe in jedem Problem eine Chance. Bleiben wir doch 2020 Optimisten.