«Das sind Tage, von denen wir sagen, sie gefallen uns nicht.» Warum kommt mir dieser Satz gerade heute in den Sinn und steht er nicht irgendwo in der Bibel? Bevor ich nachschaue, mache ich mich auf den Weg zum Bücherschrank auf dem Märetplatz. Allerdings regnet es heute in Strömen, von Altweibersommer (wäre in meinem Fall nicht unpassend) keine Spur. Im Radio läuft «Corona» und jemand spricht von Hatern, also Hassenden und über Menschen, die sich im Internet anonym, versteht sich, im Ton vergreifen. Ich höre von steigenden Fallzahlen und zunehmender Frustration.
Mir ist im Moment nicht nach Aufregung, sie beeinflusst meinen Blutdruck, also jetzt oder nie hinaus ins herbstliche Nass. Einen Schirm brauche ich nicht. Schirme verliere ich. Regelmässig. Alle. Windjacken mit Kapuzen sind bei diesem Wetter genau das Richtige, vor allem, wenn es draussen auch noch stürmt. Und das tut es. Egal, meine Tasche ist bis oben hin gefüllt mit nur einmal gelesenen Büchern, die bald neue Leser finden werden.
Eine gute Idee, so ein Bücherschrank und für meine Bücherregale zu Hause ungemein Platz sparend. Nach zehn Minuten Fussweg auf menschenleeren Strassen überlege ich mir kurz, den nächsten Bus zu besteigen. Andererseits tut frische Luft gut und in Grenchen kommt man auch zu Fuss recht zügig vorwärts. Entlang der Lindenstrasse kommt mir erstens ein Hund entgegen, ein nasser Hund, springt an meinen Hosenbeinen hoch und grüsst mich, als würde er mich ewig kennen. Hinter dem Hund höre ich sein Herrchen rufen: «Fuss»! «Aus»! Macht nichts, beruhige ich, die Hosen kommen sowieso in die Wäsche. Hund und Herr und ich gehen zügig weiter.
Ich werfe noch einen Blick auf die alte Turnhalle, heutige Stadtbibliothek und freue mich jedes Mal über deren gelungenen Ausbau. Endlich bin ich angekommen auf dem Marktplatz und lege Buch um Buch in den Bücherschrank. Der Marktplatz ist leer, die bunten Stühle unbesetzt natürlich und der Regen hat eindeutig zugelegt. Meine Windjacke, so stelle ich fest, ist nicht mehr das, was als wasserdicht zu bezeichnen wäre, also werde ich so schnell wie möglich im nächsten Geschäft noch einen kleinen Einkauf erledigen und mich dann auf den Heimweg machen.
Im Laden sind viele Menschen, endlich, ich wähnte mich schon in einer Geisterstadt. Und freundlich sind sie alle, sie winken, geben Zeichen, rufen etwas, das ich nicht auf Anhieb verstehe. Einfach nette Menschen, diese Grenchner. Bis jemand auf mich zukommt und sagt, ob ich denn nicht wisse, dass hier Maskenpflicht herrsche und was mir einfalle und ob ich wenigstens beim Eingang die Hände desinfiziert hätte.
Tja, da stehe ich nun, inmitten von Menschen, der letzte Depp im Umzug, leichte Panik macht sich breit. Ich entschuldige mich, schaue in die Tasche. Die Tasche ist leer. Keine Maske, leider auch kein Portemonnaie, rein gar nichts. Mit hochrotem Kopf also nix wie raus aus dem Laden und einmal tief durchatmen und dann den Heimweg unter die Füsse nehmen.
Da spricht mich wieder jemand an. Sie kenne mich doch und leihe mir gerne eine Maske. Und was ich denn vorhätte, bei diesem Wetter. Ich bummle, erkläre ich ihr. Bei jedem Wetter. Aber jetzt hätte ich weder eine wasserdichte Jacke, noch Geld, noch Maske bei mir, drum sei jetzt ausgebummelt für heute. Die nette Dame bietet mir an, mich nach Hause zu fahren und ich nehme ihr Angebot dankend, tropfend und schniefend an. Ich sage ja immer, nette Menschen hier.
Zu Hause angekommen ziehe ich die nassen Sachen aus, setze Teewasser auf, sage zur friedlich im Trockenen schlafenden Katze «hallo Katze». Sie schaut mich aus halboffenen Augen an und schläft weiter. Kluges Tier. Das Portemonnaie und die Tüte mit den Masken finde ich fein säuberlich neben dem Einkaufszettel auf der Anrichte liegend. Das Licht brennt überall noch, die Türe zum Sitzplatz vergass ich zu schliessen.
Immerhin, die Bücher sind im Bücherschrank und der heutige Kalenderspruch lautet: «Achte auf das Kleine in der Welt, das macht das Leben reicher und zufriedener.» Die einen sagen so, die anderen ... Ich wäre schon froh gewesen um etwas Kleingeld in der Tasche. Den Einkaufszettel ergänze ich noch mit «neue Windjacke kaufen», dringend!
Aber nicht mehr heute. Das Wetter soll bald schöner werden und die Blätter noch farbiger. Das lässt doch immerhin hoffen oder etwa nicht? Und der eingangs zitierte Spruch über die Tage, die nicht ganz nach unserem Gusto sind, stammt tatsächlich aus der Bibel. Der Prediger Salomo soll das gesagt haben. Denn siehe, die Bibel hat doch recht!