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Die Segelflieger in Grenchen haben ihren Saisonstart hinter sich. Eine Reportage von der Graspiste des Flughafens.
Der Blick geht prüfend zu den Cumulus-Wolken über dem Jura. Über Funk hört Thomas Fessler die Piloten, die bereits irgendwo im Jurabogen am Fliegen sind. Sie schwärmen über die gute Thermik, die Flüge über weite Distanzen ermöglicht. Er schnallt sich an und wartet, bis das Schleppflugzeug kommt und ihn an den Grenchenberg «hängt».
Der Bettlacher Schreinermeister, Gemeinderat und Experte für Segelflugzeug-Oldtimer sitzt in der «Olympia Meise», das ist eine Konstruktion aus dem Jahr 1938. Nach dem total verregneten Frühling des letzten Jahres freut er sich, dass die Segelflug-Saison heuer mit einem wettermässigen Bilderbuch-Start beginnen kann.
- Absaufen: Den Anschluss an die Thermik verpassen, sodass man ungewollt landen muss.
- An den Jura hängen: Das Segelflugzeug an den Jura schleppen.
- Es ist bockig: Die Luft ist sehr turbulent, das Flugzeug wird stark geschüttelt.
- FLARM: Instrument, das andere Segelflugzeuge anzeigt und mit dem Kollisionen verhindert werden.
- Hang polieren: Wenn man unter einer Krete in Achterschleifen einem Berghang entlangfliegt.
- Kurbeln: Im Aufwind drehen.
- Schlauch: Thermik, Aufwind.
Die «Olympia Meise» ist der einzige Oldtimer am Start. Das Bild auf dem Segelfluggelände des Flughafens Grenchen ist geprägt von eleganter Stromlinienform. Ein modernes Segelflugzeug trägt schlichtes Weiss. Die Profile der langgestreckten Flügel sind wissenschaftlich millimetergenau auf Hochleistung getrimmt. Die Oberfläche des mit Kohlefaser verstärkten Kunststoffs ist glatt wie Glas.
Das vorläufige Endprodukt des bald hundertjährigen Kampfs der Aviatikingenieure gegen den Luftwiderstand. Die Segelflugzeuge sind, wie man neudeutsch gerne sagt, die Highend-Produkte der Aerodynamikforschung, und der faserverstärkte Kunststoff, den man im Segelflugzeugbau zum ersten Mal anwendete, findet sich heute auch in den neusten Verkehrsflugzeugen.
Schon vor Thomas Fessler ist Kurt Uebersax gestartet. Seit Jahrzehnten ist der Oltner in der Segelfluggruppe Solothurn aktiv und war Wettbewerbspilot, stets unterstützt von seiner Ehefrau Marianne. Sie hält ihm den Flügel beim Start, wenn das Schleppflugzeug anzieht, was einen Schnellstart mit kurzem Sprint bedeutet, bis genügend Strömung anliegt und der Pilot die Flügel mit den Querrudern stabil in der Waagrechten halten kann.
Nach Sekunden ist der «Discus» mit ihrem Mann in der Luft. Der Segelflug existiert im Spannungsfeld zwischen dem «Ich» und «Wir»: In der Luft ist man stundenlang auf sich alleine angewiesen, ein Einzelkämpfer; am Boden geht nichts ohne Team.
Die Segelflieger haben einen Wettbewerb im Internet, den sogenannten Online-Contest. Dort können die einzelnen Piloten ihre Flüge eintragen und sich dem dezentralen Wettbewerb stellen.
Es gibt auch eine Mannschaftswertung unter den Segelfluggruppen. Die laufend ergänzten Resultate findet man unter den Stichworten Onlinecontest oder Nationaler Segelflugwettbewerb.
Zu Beginn des Segelflugs in Grenchen, das war 1932, war die Mannschaftsarbeit noch ausgeprägter als heute. Nicht selten wurden sogar die Flugzeuge in monatelanger Arbeit selber hergestellt. Einen richtigen Boom erlebte der Segelflug nach dem Zweiten Weltkrieg bis gegen Ende der 1980er Jahre. Grenchen wurde als Ausgangspunkt für ausgedehnte Flüge in den Jura, Schwarzwald und in die Schwäbische Alb und als Ausbildungszentrum zu einem Eldorado des Segelflugs.
In den Frühlings- und Sommermonaten war an jedem Tag Flugbetrieb. Deutsche Fliegerklubs kamen zu Sommercamps in die Technologie- und Fliegerstadt. Das Spitzenjahr war 1981 mit 9984 Landungen, heute ist die Marke bei etwas über 2000 Flügen. Der Segelflug erfuhr in den letzten beiden Dekaden des letzten Jahrhunderts zunehmende Konkurrenz durch das Hängegleiten. Ab 1932 war es die Segelfluggruppe Grenchen, die mit den ersten Gleitern flog. Damals wurden bei den Flügen noch die Sekunden gemessen.
Aus der Segelfluggruppe Grenchen wurde später die Segel- und Motorfluggruppe Grenchen, welche heute die renommierte Flugschule Grenchen betreibt. Ab 1955 kam die Segelfluggruppe Solothurn in Grenchen hinzu, da der Solothurner Flugplatz im Brühl dem Stadtmist weichem musste.
Sind alle Streckenflieger mal oben und ist kein Schulungsbetrieb, dann gibt es ein paar ruhigere Stunden auf dem Segelfluggelände. Die Zurückgebliebenen und die Abgesoffenen (Begriffe siehe Kasten) treffen sich beim «Campo».
Das ist ein umfunktionierter Lieferwagen für das Material, eine Festbank und ein Sonnenschirm, unter dem der Flugdienstleiter sitzt. An diesem Tag ist es Walter Jäggi aus Bettlach, der schon lange Segelflieger ist, aber heute aufs Fliegen verzichtet und als Funktionär für seine Kolleginnen und Kollegen am Funk den Betrieb koordiniert. Die Segelflieger haben für «Campo» eine eigene Frequenz.
Ab und zu meldet der Kontrollturm des Flughafens einen Verkehr an, der auf dem Segelfluggelände landen möchte. Es sind Flugzeuge, die ein Heckrad haben, also ein kleines Rad zuhinterst am Rumpf, mit denen eine Landung auf Gras einfacher ist als auf dem Beton. Heute ist es die «Tante Anna», die dicke und dunkelblaue Antonov An-2, die auf dem Segelfluggelände landet.
Beim «Campo» wird gefachsimpelt und die Liste der Start- und Landezeiten geführt, was ein amtliches Dokument ist. Am Funk wird mitgehört, wo sich die Kollegen befinden. Neigt sich die Sonne dem Horizont zu, kommen die Streckenflieger zurück und landen einer nach dem anderen.
Dann kann wieder etwas Hektik aufkommen im «Campo», weil die Flugzeueg rasch von der Piste gestossen werden müssen. Bei einem Bier werden die Erlebnisse ausgetauscht, gar manchmal klingt der erlebnisreiche Flugtag bei einer Wurst auf dem Grillplatz hinter dem Hangar aus.
Noch kurz zu Thomas Fessler und Kurt Uebersax, deren Starts wir verfolgt haben: Fessler musste mit seinem Oldtimer «Olympia Meise» zuerst an der Hasenmatt um Aufwind kämpfen, bis er über die Krete kam.
Aber später flog er zwischen 2000 und 2800 Meter zwischen dem Chasseral und Balsthal hin und her, bis er nach 3,5 Stunden landete. Kurt Uebersax flog mit seinem Discus die Route Grenchen–Morez–Balsthal–Dombresson–Grenchen ab, was 374 km gab. Er war der erste Flug der neuen Saison, Uebersax ist sich sonst längere Strecken gewohnt.