Swiss Made
Uhren-Zulieferer Estima: «Schweiz kann höhere Nachfrage abdecken»

Die IG Swiss Made kämpft gegen verschärfte Swissness-Regeln - auch weil teurere Uhren-Komponenten aus dem Ausland eingekauft werden müssten. Die Grenchner Zeigerfabrik Estima gibt Gegensteuer. Sie könnte den Mehrbedarf an Komponenten bewältigen.

Franz Schaible
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Geschäftsführer Marcel Giger (l.) und Mehrheitsaktionär Philipp Looser führen durch die Zeigerproduktion in der Grenchner Estima AG, deren Wurzeln bis auf 1924 zurückreichen.

Geschäftsführer Marcel Giger (l.) und Mehrheitsaktionär Philipp Looser führen durch die Zeigerproduktion in der Grenchner Estima AG, deren Wurzeln bis auf 1924 zurückreichen.

Hanspeter Bärtschi

Wie viel Schweiz muss künftig in einer Uhr stecken, damit diese unter dem Label «Swiss Made» verkauft werden kann? Zwar haben National- wie Ständerat die verschärften Swissness-Regeln bereits im Sommer 2013 definitiv abgesegnet, trotzdem bleibt der Widerstand aktiv. Die IG Swiss Made, eine Gruppierung von rund 30 kleinen und mittelgrossen Uhrenfirmen, der Schweizerische Gewerbeverband und einzelne Politiker wollen, dass das Gesetz sistiert oder dessen Einführung zumindest verschoben wird.

Ihre Argumentation: Zum Erreichen der höheren Hürde müssten mehr teurere Komponenten in der Schweiz eingekauft werden. Die Uhren im niedrigeren und mittleren Preissegment würden zu teuer, die Umsätze schrumpfen und Arbeitsplätze sind in Gefahr. Hinzu komme der Frankenschock, welcher die Uhrenfirmen zusätzlich massiv belaste. Und selbst wenn Uhrenfirmen mehr Teile in der Schweiz einkaufen wollten, wäre das schwierig. Es fehle die unabhängige Zulieferindustrie, welche die Hersteller mit Komponenten wie Gehäuse, Zeiger und Zifferblättern versorge.

«Grosse Chance für alle»

Jetzt hat Philipp Looser genug. Der Mehrheitseigner und Verwaltungsratspräsident der Estima AG in Grenchen – sie produziert Zeiger für die Uhrenindustrie – gibt Gegensteuer. «Die schärferen Regeln, damit eine Uhr mit Swiss Made beworben werden darf, sind eine grosse Chance für alle – für die Uhrenhersteller wie für die Zulieferindustrie in der Schweiz», sagt er. Es sei falsch, dass die Schweizer Zulieferer nicht in der Lage seien, die höhere Nachfrage abzudecken.

Heutige Regelung ermöglicht «Trittbrettfahrer»

Die heutige Swiss-Made-Regelung basiert auf einer Branchenverordnung aus dem Jahr 1971. Demnach müssen Bestandteile aus schweizerischer Produktion mindestens 50 Prozent des Uhrwerkes ausmachen. Zudem müssen die Montage und die Endkontrolle in der Schweiz erfolgen. Dieser Anteil bezieht sich aber nur auf das Uhrwerk und nicht auf das fertige Produkt. Dies habe zur Folge, dass auch Uhren, bei denen die Mehrheit der übrigen Komponenten aus dem Ausland stamme, legal unter «Swiss Made» verkauft werden könnten, erläutert Philipp Looser, Mehrheitsaktionär der Zeigerherstellerin Estima AG in Grenchen. Und Estima-Geschäftsführer Marcel Giger spricht von «Trittbrettfahrern». Sie profitierten vom immateriellen Wert «Swiss Made», ohne die entsprechende Gegenleistung, sprich Wertschöpfung in der Schweiz, zu erbringen.

Eine Studie der Universität St. Gallen habe schon vor Jahren gezeigt, dass das Swissness-Label einen Mehrwert von bis zu 20 Prozent des Verkaufspreises ermögliche. Deshalb sei die verschärfte Regelung, wonach künftig 60 Prozent der Herstellkosten der gesamten Uhr in der Schweiz anfallen müssen, der richtige Schritt. «Es braucht Ehrlichkeit gegenüber den Kunden. Dazu trägt die Stärkung der Marke Swiss Made bei», ist Giger überzeugt. Dasselbe gelte für die grosse Mehrheit der in der Schweiz produzierenden Uhrenindustrie. (FS)

Die 1924 gegründete Estima ist von Beginn an auf die Herstellung von Uhrenzeigern spezialisiert. Mangels Nachfolgeregelung hat die Ostschweizer Unternehmerfamilie Looser das Traditionsunternehmen 2009 übernommen. Bereits damals haben sich die neuen Besitzer auf die Neuausrichtung der Swissness-Regelung eingestellt. «Wir haben inzwischen mehrere Millionen Franken in die Modernisierung der Fertigung gesteckt», sagt Looser.

Hoher Anteil an Handarbeit

Zusammen mit Geschäftsführer Marcel Giger führt Looser durch die Produktionshallen. Insbesondere die sogenannte Applikenfertigung sei ausgebaut worden, erklärt Giger. Die Zeiger aus Messing, Kupfer, Eisen und Stahl werden mit modernen Maschinen bedruckt oder mit einer selbst entwickelten automatischen Sprühanlage lackiert. Estima biete eine breite Palette an Oberflächenvergütung an, vom Vergolden bis hin zum Brünieren von Eisenzeigern oder thermisch gebläuten Zeigern. Ganz neu sind Hightech-Anlagen, auf welchen die Zeiger mit diamantbesetzten Werkzeugen hauchdünn abgefräst werden, um eine hochglänzende Oberfläche zu erhalten. Allein dafür habe man über eine Million Franken investiert.

Trotzdem ist der Anteil der Handarbeit hoch. Mit flinken Fingern bringen Spezialistinnen beispielsweise Leuchtfarben auf die winzigen Zeiger auf. Da viele Uhrenserien in relativ kleinen Auflagen mit häufig wechselnden Zeigerformen und Farben hergestellt werden, sei der Automatisierungsgrad beschränkt. Die Mindestbestellmenge liegt bei nur 100 Stück pro Version. «Das ist aber auch eine Stärke von uns. Das Einkaufen von Uhrenkomponenten in Asien lohnt sich vorab bei Grossserien», berichtet Giger.

Er weiss, wovon er spricht. Während zehn Jahren war der gelernte Uhrmacher und technischer Kaufmann in Asien in der Uhrenproduktion tätig. Noch klassisch präsentiert sich die eigentliche Herstellung der Zeiger. Zig Maschinen rattern um die Wette und Stanzen die Zeiger in verschiedensten Formen aus den Metallbändern aus. Die Stanzwerkzeuge werden alle im Hause gefertigt.

«Neues Personal nicht auf Vorrat»

Zurück im kleinen Sitzungszimmer der Estima AG. Philipp Looser nimmt Platz und erklärt die Strategie im Hinblick auf die neuen Spielregeln für das Label Swiss Made. «Wir sind bereit, mehr Zeiger zu fertigen», sagt Looser. Derzeit produziert Estima mit rund 45 Angestellten jährlich gegen vier Millionen Zeiger, nur rund fünf Prozent davon werden exportiert. «Das Volumen können wir gut verdoppeln.» Die Kapazitäten im Stanzbereich und der Galvanisierung seien vorhanden.

Schwieriger sei die Situation bei der Oberflächenveredlung und den Applikationen. Um mehr Zeiger zu lackieren, Leuchtmittel aufzubringen oder zu diamantieren, werde es mehr Personal benötigen. «Doch wir können nicht auf Vorrat hin neues Personal einstellen.» Zuerst brauche es verlässliche Absichtserklärungen der hiesigen Uhrenfirmen, die Zeiger künftig bei Estima einzukaufen. Die Zeit dränge, wenn das neue Gesetz wie geplant auf Anfang 2017 eingeführt wird, mahnt er – auch im Eigeninteresse. Falls die Uhrenfirmen mit Bestellungen bis im Herbst 2016 zuwarteten, könnten vorerst nur sehr einfache Zeiger ausgeliefert werden. Das bedeute galvanisierte Teile ohne farbige Spitze, ohne Leuchtstoff oder ohne diamantgehobelte Oberfläche, weil diese Veredlungen wie erwähnt praktisch in Handarbeit erfolgten.

«Aufpreis verkraftbar»

Das Argument, dass Uhren mit mehr Komponenten aus Schweizer Produktion zu teuer und damit fast unverkäuflich werden sollen, lässt Looser nicht gelten. Je nach Modell erhöhen sich die Kosten mit Schweizer Uhrenzeiger teilweise um lediglich 2 Franken pro Uhr gegenüber einer Uhr mit asiatischen Zeigern. Die Differenz – begründet in den massiv unterschiedlichen Lohnkosten – sei mit einer minimen Senkung der Margen durchaus verkraftbar.

Das gelte auch für jenen Fall, in welchem der Uhrenhersteller künftig Zeiger und Zifferblatt aus der Schweiz beziehe. Die Mehrkosten im unteren Preissegment beliefen sich auf 10 bis 15 Franken. Die Argumentation der «Swissness»-Gegner, wonach durch Handelsspannen in der Vertriebskette jeder Franken mehr in der Herstellung bis zu acht Franken mehr im Endverkauf führe, sei nicht nachvollziehbar.

Einige Hersteller sehen sich vor

Erste Gespräche mit zusätzlichen Uhrenherstellern, welche künftig Zeiger der Estima beziehen möchten, seien am Laufen. Zudem gebe es Beispiele von Uhrenfirmen, die sich auf die neue Regelung einstellten. Looser erwähnt die Victorinox-Gruppe, die neben Sackmessern auch Uhren produziert. Das Unternehmen investiert derzeit 32 Millionen Franken im Bereich Uhren in neue Fabriken in Delémont.

Ziel ist es, den Schweizer Wertschöpfungsanteil zu erhöhen, um die Bezeichnung «Swiss Made» auch weiterhin zu rechtfertigen. Und selbst die Uhrwerkherstellerin Ronda in Lausen – die sich als Mitglied der IG Swiss Made für eine Sistierung der neuen Regelung einsetzt – mahnt ihre Kunden, sich auf die Umstellung vorzubereiten. «Das Absichern der Beschaffung von Gehäusen, Zifferblättern und Zeigern in der Schweiz hat für alle Uhrenhersteller höchste Priorität», heisst es auf der Ronda-Homepage.