Die Grenchnerin Tabea Wullimann ist Regisseurin bei einem Theaterstück, das Menschen mit psychischer Beeinträchtigung gemeinsam erarbeiten.
«Mues i jetz vore oder hinger düre?» Die junge Frau mit farbigen Tüchern über den Schultern stellt diese Frage schon zum vierten oder fünften Mal. «Du musst hinter dem Stuhl durch, so wie letztes Mal.» «Aber ich weiss nicht, wohin ich gehen muss, ich war drum bei der letzten Probe nicht dabei und jetzt habe ich alles vergessen. Wo muss ich hingehen?» «Nur ruhig, Melanie, es kommt schon gut. Wenn du nicht mehr weisst, was du tun musst, dann mach einfach etwas anderes. Und du wirst sehen, plötzlich fällt es dir wieder ein.»
Tabea Wullimann ist im Grunde kein geduldiger Mensch, vor allem dann nicht, wenn es um sie selber geht. Aber bei diesem Theaterprojekt, bei dem in erster Linie Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen mitmachen, ist sie die Ruhe selbst. 12 Personen unterschiedlichen Alters aus der Stiftung Solodaris Langendorf und der Stiftung Schmelzi Grenchen und fünf Betreuungspersonen nehmen teil. Nach der erfolgreichen Durchführung eines Theaterprojekts im letzten Jahr, welches durch Solodaris organisiert und finanziert wurde, übernahmen die Gesundheitstage Solothurn dieses Jahr das Patronat und fragten die Grenchnerin Tabea Wullimann an, ob sie wiederum das Theaterprojekt leiten wolle.
Wullimann ist in Grenchen seit 1995 als Kindergärtnerin tätig. Ihre Ausbildung als Schauspielerin, Clownin und Trainerin für Körpersprache absolvierte sie bei Christoph Schwager in Härkingen und liess sich bei Carlos Martinez in Barcelona als Mime ausbilden. Seit 2004 arbeitet sie am Schwager Theaterinstitut in Olten als Regisseurin, Seminar- und Kursleiterin, Schauspielerin und Leiterin der Improvisationstheatergruppe «dito». Sie führte bei mehreren Stücken Regie und schrieb verschiedene Solostücke.
Das Stück, welches sie nun gemeinsam mit den psychisch kranken Menschen einstudiert, haben diese selber erarbeitet. «Ich bin von einer Insel ausgegangen und habe ihnen die Frage gestellt, was man auf einer solchen Trauminsel alles finden kann. Dabei kamen dann schnell Piraten, Fabelwesen, ein Prinz und eine Liebesgeschichte aufs Tapet.» In Gruppenarbeiten wurden einzelne Passagen erarbeitet und später zu einem ganzen Stück zusammengefügt. Vor ein paar Monaten begannen die Theaterproben, nun steht man kurz vor der Premiere am 1. November.
Die Geschichte spielt auf einer Schatzinsel: Ein verarmter Prinz findet in seiner Bibliothek eine Karte einer Insel, auf der ein Schatz vergraben ist. Aber noch bevor er selber herausfinden kann, wo sich diese Insel befindet, wird er von Piraten entführt. Nach vielen Wirren und gefährlichen Situationen findet am Ende das Happy End auf der Insel statt, mit einer Hochzeit und einem grossen Fest, das Kobolde, Eingeborene, Piraten und der Prinz mit seinem treuen Diener gemeinsam feiern.
«Für mich ist ein normaler Umgang mit diesen Menschen das Wichtigste. Obwohl es oft eine Gratwanderung ist, ob man auf ihre Probleme, die oft sehr schnell und deutlich an die Oberfläche kommen, eingehen soll oder nicht», sagt Wullimann. Aber sie vertraue einfach darauf, dass es am Schluss gut herauskomme. Die junge Frau, die immer wieder sagt, sie wisse nicht mehr weiter, sei ein gutes Beispiel. «Letztes Jahr hatte sie eine Hauptrolle. Jetzt spielt sie den Papagei, der immer und überall nachplappert, was gerade gesagt wird. In den Proben ist sie noch unsicher, aber ich bin davon überzeugt, sie wird in den Vorstellungen ihre Rolle zu einer Hauptrolle machen.»
Dass solche Theaterprojekte einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen können, ist unbestritten. Wullimann selber ist überzeugt davon: «Diejenigen Teilnehmer, welche letztes Jahr schon mit dabei waren, haben dadurch gewaltige Fortschritte gemacht. Sie sind selbstsicherer, treten ganz anders auf und haben offensichtlich einen grossen Schritt in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gemacht.»
Dem Beobachter fällt auch der lockere und positive Umgang zwischen den Betreuungspersonen und den Menschen mit psychischer Beeinträchtigung auf. Die fünf Betreuerinnen und Bereuer spielen genauso im Stück mit wie die 12 Menschen aus der Schmelzi und der Solodaris. «Beim Theaterspiel haben sie auch einen ganz anderen Zugang, können die Personen, die sie betreuen, mitziehen und zu tollen Leistungen motivieren, weil sich alle im selben Kontext bewegen und die Rollen nicht nach dem Grad der psychischen Beeinträchtigung verteilt werden.» Jeder spielt die Rolle, die er eben gerne spielen möchte, und im Stück gibt es auch viel Raum für Improvisation. «Das Stück ist zwar komplex, aber es gibt eigentlich nur einen Rahmen, einen Handlungsstrang, den wir einhalten müssen. Wenn jemand seinen Text vergisst, dann ändert er ihn halt etwas ab, diese Möglichkeit bietet das Stück eben auch», erklärt Wullimann.
Premiere ist am 1. November in Olten, am 3. November findet eine weitere Vorstellung im kleinen Konzertsaal Solothurn statt.