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Grenchen fällt auf, wenn es um die Wirtschaftsstruktur gehts. Die Betriebszählung zeigt einmal mehr eklatante Ungleichgewichte. Während die Beschäftigung im industriellen Sektor anstieg, bleibt der dritte Sektor notorisch unterentwickelt.
Als sich die Solothurner Regierung letzte Woche mit den Grenchner Behörden traf, erhielt sie unter anderem Zahlen über die Wirtschaftsstruktur Grenchens unter die Nase gerieben, die belegen, dass Grenchen eine Sektoralstruktur aufweist, wie sie schweizweit Mitte des letzten Jahrhunderts verbreitet war. Daran ist die Ressourcenallokation des Kantons nicht unschuldig.
Doch der Reihe nach. Wirtschaftsförderin Karin Heimann konfrontierte den Gemeinderat Grenchen im Januar erstmals mit Zahlen einer Sonderauswertung der kantonalen Wirtschaftsförderung zu «Struktur und Wandel in der Stadt Grenchen», welche auf Zahlen des Bundesamtes für Statistik (Betriebszählung) der Jahre 2005 und 2015 beruht.
Die kantonale Wirtschaftsförderung konstatiert dabei einerseits einen «beachtlichen Beschäftigungsanstieg». Zwischen 2005 und 2015 stieg die Zahl der Beschäftigten in der Stadt Grenchen um 11,9 Prozent auf rund 11 000 Personen an, was knapp das Doppelte des kantonalen Wachstumsdurchschnitts von 6,5 Prozent bedeutet. «Diese Performance ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Mitten in der Beobachtungsperiode als Folge der Weltwirtschaftskrise 2009 die Beschäftigung in der Industrie generell deutlich zurückgegangen ist», kommentiert die Wirtschaftsförderung.
Im industriellen Sektor in Grenchen stieg die Beschäftigung sogar um 17 Prozent an, was die gesamte Beschäftigungsentwicklung der Schweiz für diese Periode (14,4 Prozent) deutlich übertrifft. Die Job-Motoren zwischen 2005 und 2015 sind laut Auswertung der Wirtschaftsförderung vom August 2017 die Uhrenindustrie und die Medizinaltechnik.
In der Statistikkategorie «Elektronik, Optik Uhren» des Bundes (in Grenchen vor allem Uhren) wurden 445 Stellen geschaffen, bei «Sonstige Waren» (in Grenchen primär Medizinaltechnik) waren es 318 Stellen. Positive Wachstumsbeiträge lieferten ferner der Bereich «Verkehr und Logistik» mit plus 174 Beschäftigten und die Metallindustrie mit 132 neuen Stellen. Spürbare Rückschläge wurden demgegenüber beim Maschinenbau (-113 Beschäftigte) und im Gesundheitswesen gezählt (-133 Beschäftigte oder -28,2 Prozent)
Dies ist umso bemerkenswerter, als der 3. Sektor (Handel, Dienstleistung, Verwaltung, Gesundheitswesen) in Grenchen notorisch unterentwickelt ist. Grenchen ist und bleibt eine Industriestadt mit dem deutlichen «Klumpenrisiko» Uhrenindustrie. Die an sich erfreulichen Wachstumszahlen der Industriebeschäftigung kaschieren ein sektorielles Strukturproblem.
«Kunststück», meint Stadtpräsident François Scheidegger, habe doch der Kanton in den letzten Jahren vor allem eines gemacht: «Arbeitsplätze in Grenchen abgebaut und in Solothurn und Olten aufgebaut.» In Grenchen existieren laut Informationen der lokalen Wirtschaftsförderung noch genau 87 Arbeitsplätze des Kantons – beim Berufsbildungszentrum BBZ, der Kantonspolizei und der Amtschreiberei-Filiale.
Das ist lächerlich wenig, wenn man die Präsenz der kantonalen Verwaltung in der Hauptstadt vergleicht mit 1500 Arbeitsplätzen – das Bürgerspital mit mehreren hundert zusätzlichen Stellen nicht eingerechnet. In Olten ist der Kanton ähnlich präsent mit Gerichten, Kantonsspital, Motorfahrzeugkontrolle und seit den 1990er-Jahren auch mit Fachhochschulen. Beide Spitäler wurden, beziehungsweise werden komplett neu gebaut und auch die Fachhochschule erhielt neue Räume.
Dieses Ungleichgewicht wird von den in Grenchen gut vertretenen Heimen etwas abgemildert. Diese auch primär über Transferhaushalte finanzierten Institutionen beschäftigten in Grenchen 2015 immerhin 927 Personen, Tendenz wachsend.
Nachdem der Detailhandel (3. Sektor) sich ebenfalls im Krebsgang befindet, wäre die Stadt umso mehr auf Verwaltungsarbeitsplätze angewiesen, meint der Stadtpräsident. «Ankündigungen des Kantons, nach der Schliessung des Grenchner Spitals und der Steuerverwaltung Arbeitsplätze nach Grenchen zu bringen, blieben bis jetzt leere Versprechungen.»
Das führt schliesslich zu einer grotesk einseitigen Sektoralstruktur in der Uhrenstadt. Hochgerechnet auf Vollzeitstellenäquivalente arbeiten in Grenchen 60,7 Prozent der Beschäftigten in der Industrie, während es in Solothurn und Olten noch je 15 Prozent sind. Anders gesagt: 84,6 der arbeitenden Bevölkerung in Solothurn und sogar 84,7 Prozent in Olten arbeiten im wenig konjunktursensitiven Dienstleistungssektor.
Auch bei der Anzahl der vollzeitäquivalenten Beschäftigten fällt Grenchen deutlich ab. Hochgerechnet auf Vollzeitarbeitsplätze werden in Grenchen 9158 Stellen angeboten, während es in Solothurn 15 437 sind und in Olten 16 544. Grenchen hat also fast die Hälfte weniger Arbeitsplätze als die anderen Solothurner Städte. Dies bei einer ähnlichen Bevölkerungsgrösse der drei Städte.
Bei der Sektorentwicklung ist immerhin seit 2013 eine Trendwende festzustellen. Der Industriesektor schrumpft (anteilsmässig), während der Dienstleistungssektor zulegt (vgl. Grafiken).