Grenchen
Stapo-Kommandant gegen Einheitspolizei: «Ohne Bürgernähe ist die Polizeiarbeit viel schwieriger»

Seit drei Monaten ist Christian Ambühl Kommandant der Stadtpolizei in Grenchen. Er tritt für eine unabhängige Stadtpolizei ein und sieht auch einen Silberstreifen für die Finanzierung des Grenchner Rettungsdienstes.

Andreas Toggweiler
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Christian Ambühl, der neue Kommandant der Stadtpolizei, ist seit 100 Tagen im Amt.

Christian Ambühl, der neue Kommandant der Stadtpolizei, ist seit 100 Tagen im Amt.

Hanspeter Bärtschi

Herr Ambühl, wie gefällt es Ihnen nach drei Monaten in Grenchen?

Christian Ambühl: Sehr gut! Ich habe einen positiven Eindruck bekommen, sowohl vom Korps als auch von der Stadt. Ich habe engagierte und kompetente Mitarbeiter und fühle mich auch von der Bevölkerung mit offenen Armen empfangen – jedenfalls von jenen, die froh sind über die Polizeiarbeit. Natürlich gibt es auch andere, das ist mir schon bewusst (lacht).

Grenchen brüstet sich etwas mit einer vergleichsweise tiefen Kriminalität, trotz sehr vielen Ausländern und Sozialhilfebezügern. Ist das tatsächlich so oder ist hier einfach die Hemmschwelle höher, die Polizei zu rufen?

Ich möchte diesen Effekt nicht gänzlich negieren. Es gibt Bevölkerungsgruppen, die regeln Konflikte eher unter sich, weil sie in ihrer Heimat schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben, wo diese vielleicht eher ein Repressionsapparat des Staates ist. Ich glaube aber nicht, dass dies der massgebliche Effekt ist. Der Umstand, dass wir eine Stadtpolizei haben mit Polizisten und Polizistinnen, welche hier verwurzelt sind und die Bevölkerung und jeden Winkel der Stadt kennen, ist einfach ein Vorteil, den Grenchen ausspielen kann.

Dann sind Sie also gegen eine Einheitspolizei?

Zur Person: Er kennt alle Facetten der Polizeiarbeit

Am 1. Mai hat Christian Ambühl das Amt des Kommandanten der Stadtpolizei angetreten. Er führt in dieser Funktion 23 Polizisten und leitet administrativ den Rettungsdienst Grenchen.

1970 geboren und in Klosters/Davos aufgewachsen, machte Ambühl zuerst eine Schreinerlehre und war sportlich sehr aktiv. Von 1990 bis 1994 war der Bündner Mitglied der Biathlon-Nationalmannschaft. Er machte 1996 die Polizeischule und leistete bei der Stapo Bern «Alltagsdienst» in Uniform.

Später kamen dann der Wechsel zur Kriminalpolizei, Abteilung Observation und etliche Kommando- und Instruktoren-Ausbildungen. Er war auch sechs Jahre Mitglied der Sondereinheit Stern der Stadtpolizei Bern und leistete zwei Einsätze von je zwei Monaten als Airmarshall bei der Swiss.

2006 wechselte Ambühl von der Stadtpolizei Bern zur Sonderformation des Grenzwachtkorps, wurde dort zum Adjutant ernannt und hat beim Aufbau der neu gegründeten Einheit mitgewirkt.

Von 2009 bis zur Wahl als neuer Polizeikommandant der Stadtpolizei Grenchen war Ambühl Abteilungsleiter Sicherheit und Kommunikation der Anstalten Witzwil. In dieser Funktion war er für den Neuaufbau des Sicherheitsdienstes zuständig, verfasste für die Anstalten ein Sicherheitskonzept und setzte dies entsprechend um.
Während dieser Zeit als Sicherheitsverantwortlicher der Anstalten Witzwil bildete sich Christian Ambühl auch im Bereich Führungstätigkeit immer weiter aus und schloss 2013 die Höhere Fachprüfung zum eidg. dipl. Justizvollzugsexperten ab.

Ambühl ist Vater von zwei Kindern und wohnt mit seiner Familie in Aarberg. Er will bis in etwa zwei Jahren nach Grenchen umziehen. (ato)

Auf jeden Fall. Auch wenn ich sehe, wie auch hier alle paar Jahre diese Frage aufgeworfen wird. Ich komme aus dem Kanton Bern und konnte in eigener Anschauung erleben, dass eben die Einheitspolizei nicht überall funktioniert. Es genügt nicht, wenn eine Patrouille mit Blaulicht durch ein Dorf fährt und meint, dies sei Präsenz vor Ort. Ohne Bürgernähe ist die Polizeiarbeit viel schwieriger und auf jeden Fall weniger effizient.

Der Kanton lobte bisher die Zusammenarbeit mit der Stapo Grenchen – «Kunststück, wenn Grenchner Polizisten im Bucheggberg und Wasseramt patrouillieren», sagen Kritiker. Die Stadt helfe sogar noch der Kapo bei ihrer Arbeit, statt für Sicherheit in der Stadt zu sorgen.

Das ist stark übertrieben. Die Stadtpolizei Grenchen hat tagsüber eigene Patrouillen, ja sogar, – je nach Ereignis oder Anlass in der Stadt Grenchen – bis 2 Uhr nachts oder länger. Und wenn eine gemischte Patrouille auswärts tätig ist, wurde sie für einen wichtigen Einsatz aufgeboten. Man darf aber wirklich sagen, dass die Zusammenarbeit Stapo/ Kapo sehr gut funktioniert und wir natürlich auch von ihren Ressourcen bei entsprechenden Einsätzen profitieren oder darauf zurückgreifen können.

Sparen scheint aber unerlässlich. Wo sehen Sie denn allfällige Synergien zwischen Stapo und Kapo?

Wir nutzen diese schon heute, wo dies möglich ist, beispielsweise bei der Materialbeschaffung. Ich könnte mir zudem vorstellen, dass man die beiden Polizeiposten räumlich zusammenführt. Das gäbe beispielsweise Synergien, wie z.B. bei der Schalterbesetzung. Zudem muss man bei einer solchen Planung noch weitergehen und auch weitere Bereiche wie die Stadtverwaltung einen Sozialdienst usw. einbeziehen, welche ebenfalls einen Nutzen von einem gemeinsamen Gebäude haben könnten. Dieser Gedankenanstoss kommt aber nicht etwa von mir, sondern wurde bereits von Gremien, welche diese Vorteile erkannt haben, eingebracht. Allerdings ist die Suche nach einem dafür geeigneten Gebäude nicht einfach.

Sind Sie mit dem heutigen Standort an der Simplonstrasse nicht zufrieden?

Im Gegenteil, wir sind mit unserem Polizeiposten, wo auch der Feuerwehrkommandant und der Zivilschutz ihre Büros haben, zufrieden. Für die Bedürfnisse der Stadtpolizei ist er eigentlich optimal geeignet. Ich finde, der Polizeiposten entspricht unseren Anforderungen, ist gut erreichbar und es bestehen Parkmöglichkeiten für Kunden sowie die Mitarbeiter.

Kann die Stadtpolizei personell verkleinert werden?

Meiner Meinung nach nein. Wir schöpfen schon heute unseren Personaletat nicht ganz aus. Ein Stellenabbau kommt für mich, um die Dienstabdeckungen und die Qualität der Arbeiten nicht abzubauen, nicht infrage.

Sie sind auch administrativer Leiter des Rettungsdienstes. Die Politik beklagt sich über das hohe Defizit. Sind Lösungen in Sicht?

Ja. Das Defizit wurde bereits verkleinert und wenn wir gegenüber den Versicherungen kostendeckende Tarife anwenden können, ist sogar, so hoffe ich, eine ausgeglichene Rechnung erreichbar. Der Kanton müsste diese dekretieren und wir haben die klare Erwartung, dass er dies in absehbarer Zeit auch tut. Wann das genau sein wird, kann ich aber nicht sagen.

Ihr Vorgänger hat Grenchen als Autostadt bezeichnet. Sehen Sie das auch so?

Und ob! Die Freiheit auf vier Rädern scheint hier eine grössere Rolle zu spielen als anderswo. Die Leute sind offenbar gern und oft mit dem Auto unterwegs. Ich sehe das nicht nur positiv, insbesondere wenn ich an die Elterntaxis denke, die mit dem Schulbeginn wieder auftauchen werden. Der Kampf dagegen ist schwierig, denn die Ursache ist oft auch kulturell bedingt. Zu Fuss gehen ist halt mancherorts verpönt und die Benutzung des Autos ein Statussymbol.

Dafür können die Kinder nicht mehr Velo fahren ...

Das ist möglich. Auch wenn diese Fälle überblickbar sind. Ich denke aber, dass es nicht umsetzbar ist, das Velofahren lernen auch noch den Schulen zu übertragen. Dies würde den Rahmen sicher sprengen und liegt eigentlich in der Verantwortung der Eltern. Hier unterstützt aber die Stadtpolizei Grenchen gerne, mit Besuchen und Lektionen in den Schulen und der bekannten Veloprüfung.

Es gibt ja auch schon E-Bike-Raser. Sogar Velofahren ist gefährlich.

Bei gewissen heutigen Modellen durchaus, wenn man sie nicht beherrscht oder sich selbst überschätzt. Doch auch hier möchte ich vor allem an die Selbstverantwortung appellieren.

Werden Sie die Stadtpolizei Grenchen reorganisieren?

Nein, das habe ich nicht vor. Das Korps funktioniert gut. Vielleicht ist da oder dort etwas Modernisierung angesagt, sei dies bei der Ausrüstung oder im Arbeitsstil.

Sie waren Mitglied einer Sondereinheit. Pflegen Sie einen militärischen Führungsstil?

Das kann man nicht sagen. Oder nur insofern, als dass ich bei einem wichtigen Einsatz sicher an der Front dabei sein werde. In einer solchen Situation ist dann ein militärischer Führungsstil unumgänglich. Meine Laufbahn, die auch viel praktische Polizeiarbeit beinhaltete, ist da bestimmt ein Vorteil. Ansonsten werde ich bei der Führung vor allem Wert auf Offenheit und Transparenz legen, sei dies im Korps, im Umgang mit den Behörden und der Bevölkerung, aber auch gegenüber den Medien.

Haben Sie einen Wunsch an die Grenchner Politiker und an die Bevölkerung?

Dass sie hinter ihrer Stadtpolizei Grenchen stehen und uns unterstützen.