Polizeieinsätze
Stadtpolizei Grenchen muss vermehrt wegen Streit um Waschpläne ausrücken

Robert Gerber, Kommandant der Grenchner Stadtpolizei, stellt eine Zunahme der Delikte im letzten Herbst fest. Immer öfters müssen die Beamten auch wegen Streitigkeiten in Mietshäusern ausrücken. Streitpunkt: Der Waschplan.

Oliver Menge
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Oft Stein des Anstosses: Die Waschmaschine (Symbolbild)

Oft Stein des Anstosses: Die Waschmaschine (Symbolbild)

Keystone

«Früher hatten wir im November Zeit, um Aus- und Weiterbildung zu betreiben, das ist jetzt kaum noch der Fall», sagt Robert Gerber, Kommandant der Stadtpolizei Grenchen. Im letzten November rückte die Polizei an manchen Wochenenden bis zu 30 Mal aus, meist wegen kleiner Delikte oder Zwischenfälle. «Das Journal von einem Wochenende, Freitagabend bis Montagmorgen, quillt fast über: Hilfeleistungen, Sachbeschädigung, Ruhestörungen gleich mehrfach, Handtaschendiebstahl, Intervention häusliche Gewalt, Verkehrsunfall, Diebstahl – gleich mehrere Male, sowohl aus Fahrzeugen wie auch einfacher Diebstahl, Brand, mehrere Personenkontrollen, Übertretung des Strassenverkehrsgesetzes, Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und so weiter», so der Polizeikommandant.

Prävention schwierig

Vor Jahren sei man im November höchstens den eigenen Rücklichtern nachgefahren, scherzt Gerber. Präventionsaufgaben, welche die Polizei eigentlich auch zu leisten habe, seien so schwierig geworden. «Polizeipräsenz findet in dem Moment statt, wenn meine Leute im angeschriebenen Auto vom einen Einsatzort zum anderen fahren.

Stadtpolizei-Kommandant Robert Gerber

Stadtpolizei-Kommandant Robert Gerber

Hanspeter Bärtschi

Die Gründe für die Zunahme sieht Gerber unter anderem im veränderten Ausgehverhalten. Grenchen sei Gott sei Dank kein Ausgangs-Mekka, aber die hin- und rückreisenden Partygänger, die dank der Rund-um-die-Uhr-Mobilität zu jeder Nachtzeit für Unruhe sorgten, gebe es natürlich auch in Grenchen. «Es ist eine Illusion zu glauben, dass mit den neuen Öffnungszeiten bis 5 Uhr in der Früh die Leute dann müde und dementsprechend ruhig sind. Mit Anbruch des Tages wird man auch wieder wacher.»

Polizeieinsätze in Waschküchen

Dämmerungseinbrüche habe man weniger verzeichnet als in anderen Jahren, sagt Gerber, dafür aber Nachteinbrüche und zahlreiche Autoaufbrüche, die meist gut organisierten Banden zuzuordnen sind.

Eine bemerkenswerte Zunahme stelle er aber bei speziellen Einsätzen fest, sagt Gerber: Immer öfter müssten die Beamten wegen Streitigkeiten in Mietshäusern ausrücken, wo es zum Beispiel um das Nichteinhalten von Waschplänen gehe. Da die herkömmlichen Autoritätspersonen, die Hauswarte, oft nicht mehr dort wohnten, die Verständigung zwischen den Parteien oft schwierig sei, rufe man die Polizei. Mindestens einmal im Monat komme das vor. Auch Ruhestörung sei oft ein Grund, die Polizei zu rufen. Gerber meint, dass in manchen, schlecht isolierten Mietblöcken, die Probleme vorprogrammiert seien: «Vor 50, 60 Jahren wurden diese Häuser für eine tagsüber arbeitende und nachts schlafende Bevölkerung gebaut. Heute wohnen dort viele Arbeitslose und Ausgesteuerte ohne Tagesstruktur oder Menschen aus anderen Kulturkreisen mit anderem Lebensstil. Auch ist die Hemmschwelle, die Polizei zu rufen, sehr niedrig.»

Zunahme bei häuslicher Gewalt

Grenchen unterscheidet sich nicht sonderlich von anderen Schweizer Städten, was die Entwicklung bei Gewaltdelikten anbelangt. Der Meinung ist jedenfalls Gerber. Zwar sprechen jüngste Untersuchungen in grossen Schweizer Städten von einer Abnahme der häuslichen Gewalt und einer Zunahme von Gewalt im öffentlichen Raum, aber das habe auch mit dem Freizeitangebot in diesen Städten zu tun. In Grenchen habe die Anzahl der Fälle von häuslicher Gewalt eher zugenommen, so Gerber. «Das hat einerseits mit einem Systemwechsel vor ein paar Jahren zu tun: Früher war häusliche Gewalt ein Antragsdelikt, heute ein Offizialdelikt, bei dem die Polizei und die Strafbehörden aktiv werden müssen, sogar wenn das Opfer das nicht will. Andererseits trauen sich die Opfer eher, sich bei uns zu melden.»

Die Zahl der Gewaltdelikte insgesamt habe leicht abgenommen, sagt Gerber, wenn man Körperverletzung und Tätlichkeit dazurechne. Aber die Schwere der Delikte habe in den letzten Jahren deutlich zugenommen. «Wenn jetzt zugeschlagen wird, dann härter. Früher hörte man auf, sobald jemand am Boden lag, jetzt kriegt das Opfer unter Umständen noch einen Schuh ins Gesicht.»

Die Gründe dafür seien vielfältig, erklärt Gerber. Zum einen habe Gewalt in Filmen und Games einen Einfluss, denn die Opfer stünden dort immer wieder auf, also werde den Jugendlichen ein realitätsfremdes Bild vermittelt. Dazu komme, dass viele Eltern sich wenig bis gar nicht um ihre Kinder kümmern würden. Das führe oft zu einer Vereinsamung vor dem Computer, die zum Teil bis ins Erwachsenenalter anhalte.

Die Kinder hätten auch oft die Möglichkeit nicht, sich die nötigen sozialen Fähigkeiten anzueignen. «Der Schulweg beispielsweise ist ein wichtiges Element: Dort können die Kinder und Jugendlichen ihren Platz im Umfeld feststellen und sich einordnen, Aggressionen abbauen, ohne gleich dreinzuschlagen. Fahren die Eltern ihre Kinder jedoch tagtäglich zur Schule, wo sie dann sofort in den kontrollierten Raum des Schulzimmers kommen, fällt dieser Lerneffekt weg. Und wenn dann später mal zugeschlagen wird, kann das heftiger ausfallen, als es gesund wäre, weil man nicht gelernt hat, wo die Grenzen sind.»