Bis vor kurzem war ich noch diejenige, die meinte, dass mit einer guten Portion Geduld und einer positiven Einstellung auch die Corona-Krise zu bewältigen sei.
Jammern bringt nichts und uns geht’s in der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern, immer noch sehr gut. Im Moment jedoch wünsche ich mir nichts mehr zurück als einen guten Teil an Normalität. Ich möchte die mir lieben Menschen wieder in die Arme schliessen können, ihnen unmaskiert in die Augen sehen.
Ich möchte über einen belebten Märetplatz gehen, ein Fest erleben, Musikern zuhören, tanzen, in einem Restaurant mit Freunden an einem grossen Tisch sitzen, ich möchte bitte mein altes Leben zurück.
Wenn ich mir vorstelle, dass auch in diesem Jahr Stillstand auf der ganzen Linie angesagt ist, dann macht sich selbst bei mir Ungeduld breit.
Sicher, es tat gut, dass wir uns alle innerlich und äusserlich verlangsamen mussten. Dass wir uns Zeit nahmen und uns bewusst machten, was für uns ganz persönlich wichtig ist und was wir getrost auch in Zukunft nicht mehr brauchen werden. Trotzdem, ich habe den Verleider. Mir stinkt’s. Ich möchte dem Virus samt seinen diffusen Mutationen alle Schande sagen.
Ich möchte sicher sein, dass in den Arztpraxen hier in Grenchen genügend Impfstoff für alle Impfwilligen vorhanden ist. Ich möchte nicht Monat um Monat mehr verströstet werden auf bessere Zeiten. Ich wünsche mir klare und unmissverständliche Worte von Politik und den Gesundheitsämtern.
Und, ich verstehe beispielsweise beim besten Willen nicht, warum ein Baumarkt geöffnet ist, wir aber vor geschlossenen Buchhandlungen und Museen stehen. Wenn Sie mich fragen, halten sich in Baumärkten wahrscheinlich mehr Kunden auf als in einer kleinen Buchhandlung. Ich freue mich darüber, dass wir Blumen kaufen dürfen und wundere mich gleichzeitig, dass wir uns zwar Unterwäsche aber keinen Pyjama besorgen dürfen, Kaffeekapseln, aber keine Kaffeemaschine.
Freuen tut es mich, dass der Grenchenberg für die Wintersportler offen ist und wünschen tue ich den Urlaubern in den Sportferien ganz viel Pulverschnee. Trotz allem auch Erfreulichem also: Jammern kann gut tun, kann die Seele entlasten, der Selbstbeherrschung eine kleine Pause gönnen. Rein kopfmässig ist mir klar, dass ich dazu eigentlich keinen Grund habe. Ich lebe nicht allein, bin umgeben von einem naturnahen Garten, bin wohlig eingebettet in einen Freundeskreis, meine Nachbarn sind freundlich und hilfsbereit und alles, was ich benötige, kann ich mir beschaffen.
Und dennoch fehlt es an Leben, überall und wohin man auch schaut. Es fehlen die spontanen Zusammentreffen. Es fehlt der Applaus für ein gelungenes Theaterstück. Und immer wieder, es fehlt die Umarmung, die körperliche Nähe, das sich nahe sein überhaupt.
Distanz kann einsam machen und in so manchem Gespräch taucht es auf, das Wort Einsamkeit.
Und genau dann, wenn man in so einem Fall sein Gegenüber trösten möchte und dies nicht nur mit Worten, dann müssen wir auf Distanz gehen. Und sagen Sie selber, es ist doch einfach nicht dasselbe, ob sie online einkaufen oder in einem Geschäft alles vor Augen haben, die Waren anfassen dürfen, die sie kaufen möchten und wie so oft noch jemanden treffen, den sie kennen und mit dem sie dann ein kleines Schwätzchen halten. Mitten im Laden, unmaskiert, auf Augenhöhe.
Ach, wie freue ich mich darauf. Ich freue mich auf ein Grenchner Fest, auf den „coffre ouvert“, auf einen Flohmarkt, auf viele vollbesetzte Bänke auf allen Plätzen. Und endlich wieder einmal in einem Speisewagen sitzen, einen Strandspaziergang machen und (lachen Sie jetzt bitte nicht!) neue Lippenstifte ausprobieren. Und wir werden uns erinnern an jetzt und die vergangenen Monate. Weisch no wie das gsi isch mit däm Virus. Und wir werden uns erinnern, dass es regenreiche, trübe Wintertage gab, an denen auch die Stimmung langsam nach ganz unten rutschte und einem alles zu viel wurde oder ganz einfach nervte.
Manch einer wird sagen, dass er endlich einmal Zeit hatte, um über sein Leben nachzudenken und viele andere werden auch in Zukunft leider um ihre Existenz bangen müssen. Vieles wird sich verändern und uns allen wird nichts weiter übrig bleiben als mit diesen Veränderungen zu leben. Bei alldem darf auch ein wenig Gejammer seinen Platz haben und das ganz ohne schlechtes Gewissen, jedoch mit viel Hoffnung auf eine hellere Zukunft.