Die Erinnerung an die Pariser Kommune von 1871, dessen 150-jähriges Jubiläum am 18. März begann, scheidet die Gemüter ennet der Grenze. Ähnlich wie beim hundertjährigen Jubiläum des Generalstreiks 1918 in der Schweiz und in Grenchen.
«Ein historisches Ereignis existiert auf zwei Ebenen. Die erste ist jene der Realitäten. Die andere jene der Darstellungen oder der Scheinwelten.»
Dieser Satz des französischen Historikers Jacques Le Goff, der sich lange mit der Verbundenheit von Geschichte und Erinnerung beschäftigte, bestätigt sich immer wieder. Momentan bekriegen wir uns um die Erinnerung politischer Figuren – sollen wir den Piz Agassiz umbenennen, da der Neuenburger Glaziologe ein notorischer Rassist war? Oder ihn wegen seiner unbestreitbaren wissenschaftlichen Errungenschaften ehren? Und was ist mit Henry Dunant, seinem roten Kreuz und seinen problematischen kolonialen Abenteuern in Algerien?
Diesen Kampf führen wir auch bei Jubiläen von wichtigen Ereignissen. Ennet der Landesgrenze herrscht momentan ein ähnlicher Zustand wie in Grenchen und im Rest der Schweiz vor drei Jahren: Ein Jahrestag, der 18. März, ein Volksaufstand, die Pariser Kommune von 1871.
Die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo will das Ereignis feierlich gedenken, die Märtyrer dieser kurzlebigen sozialistischen Republik – neun Wochen – zu Helden stilisieren. Schliesslich starben zwischen 20’000 und 40’000 Menschen beim Niederschlagen dieses Versuchs, horizontalere gesellschaftliche Strukturen aufzubauen.
Da fällt ihr die republikanische Opposition in den Rücken: Und was ist mit den barbarischen Plünderungen von Kirchen, der Verbrennung zahlreicher Pariser Monumente? Somit stehen sich, als wären keine 150 Jahre verflossen und zwei Republiken gestorben, die «communards» den «versaillais» gegenüber.
Die Pariser Kommune hat mehr mit dem Generalstreik und der kleinen Uhrenstadt Grenchen zu tun, als man glaubt: Ein soeben erschienenes Buch deutet es als globales Ereignis, das über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus die Welt beeinflusste: So sollen Verbindungen zwischen der Kommune zu Aufstände in Algerien, Mexiko und New York bestehen. Karl Marx selbst betrachtete es als ein zentraler Wendepunkt der sozialistischen Bewegungen, die Jahre später auch in Grenchen, Zürich, Olten und Bern den Generalstreik organisierten.
Und ähnlich, wie sich die Pariser Politiker momentan um die politische Deutungshoheit streiten, stritt sich die Schweiz 2018 anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Generalstreiks: Die Linken forderten mehr Monumente, bekräftigten, dass 1918 mindestens so wichtig war zur Schaffung der modernen Schweiz als 1848. Man solle sich an jene 250’000 Arbeitende erinnern, die den Weg zur Einführung der AHV und der 48-Stunden-Woche bannten.
Für andere ist der Generalstreik nichts anderes als eine Revolution nach bolschewistischem Vorbild, die dank des Militärs scheiterte. Und so schlug Christoph Blocher vor, mit Weltkriegsuniformen zu marschieren und sich an die 95000 mobilisierten Soldaten zu erinnern, während linke Lokalpolitiker nach Gedenktafeln für Arbeiter aufriefen, die von denselben Soldaten erschossen wurden.
Momentan erinnert uns am Grenchner Zeitplatz eine Tafel an die drei Todesopfer, die der Streik hier forderte. Eine unscheinbare Tafel, die aber aufzeigt, wie globale, hundertjährige Machtkämpfe immer auch mit winzigen, gar unscheinbaren Orten kollidieren - bis heute.