Hoffnung, Streit und der Kampf ums Überleben. Die jüngste Auflage der Hornerblätter der Vereinigung für Heimatpflege Büren ist eine Fundgrube für alle, die ihre Wurzeln kennen lernen wollen.
Was sich in Büren a. A. im 19. Jahrhundert in Gemeinderat, Verwaltung, Kirche und vor Gericht zugetragen hat, steht stellvertretend für das ganze Land, sei es nun ländlich oder städtisch geprägt.
Der Autor, Martin Stotzer, konnte für seine «Berührenden Aktenfunde aus verblichenen Jahrhunderten» aus dem Vollen schöpfen. Fand er doch die Sammlung der Dokumente im Nachlass seines Vaters Werner Stotzer. Dieser war Gründungsmitglied der Heimatpflege Büren und der Vater der Hornerblätter.
Der Wert des Buches besteht einerseits in der dekorativen Abbildung und der Transkription der Dokumente. Dabei sind die sauber geschriebenen Briefe und Bittschriften mit ihren altertümlichen Grussformen für sich allein ein Studium wert sind. Andererseits erschliessen die Einleitungen mit Hintergrundinformation von Martin Stotzer die Unterlagen dem modernen Publikum.
Der Autor bettet die Ereignisse in ihren gesellschaftlichen und historischen Zusammenhang ein, zeigt Wissenslücken auf und erweckt die Akteurinnen und Akteure durch seine Kommentare zum Leben. Die Einleitungen sind mitfühlend und respektvoll geschrieben und laden immer wieder zum Schmunzeln ein.
So begegnet man auf den 192 Seiten des Buches einem Tunichtgut auf dem Weg nach Übersee. Leider fehlt ihm zu seinem «Klük» die schwangere Angetraute, deren Herausgabe er von der Gemeinde Wimmis, ihrem Heimatort, fordert. Eine rechtschaffene ehemalige Bürerin wehrt sich aus Vevey gegen die «Schingfung» (Vorwurf), Geld in Form der Ehesteuer bezogen zu haben. Mit geschliffenen Sätzen verwahrt sich gegen diese Verleumdung. Ihr Ziel: Die Abgrenzung von «allem Ungeziefer, das nach Büren kommt».
Die einen Petitionäre – angeblich arbeitsscheu und von liederlichem Lebenswandel – wollen partout in eine Anstalt aufgenommen, die anderen ebenso dringend daraus entlassen werden. Ein Brief aus dem belagerten Paris 1870 berichtet von Hungersnot und Kampfeswille. Auf dem Markt würden Hundefleisch, Ratten und Schnecken zu Wucherpreisen gehandelt.
Die Behörden in Büren schlagen sich derweil mit Wahrsagern und «Überhöcklern» in der Wirtschaft herum, die sich um polizeiliche Anweisungen foutieren. Der Pfarrer klagt über Lärm vor der Kirche und immer wieder müssen blutige Schlägereien geschlichtet werden.
Die aktuelle Ausgabe der Hornerblätter bringt der Leserschaft auch die Not der Schwächsten nahe. Die Schicksale von Frauen und Kindern sind besonders tragisch. Verlassene Frauen mit Kindern appellieren verzweifelt um Hilfe.
Ein düsteres Kapitel sind Säuglinge, die ausserhalb der Siedlungen ausgesetzt wurden. Gemildert werden diese Geschichten einzig durch die finanziellen Verwicklungen, mit denen sich die Armenfürsorge nach der Rettung der Babys herumschlagen muss.
Leichtere Kost sind da zänkische Frauen und die Darstellung der Midlife-Crisis in einer Ehe. Auch der Holzdiebstahl im Burgerwald zählt zu dieser Sorte von Geschichten. Von historischem und zugleich medizinischem Interesse ist der Fund eines ärztlichen Attests. Ausgestellt hat es 1832 kein Geringerer als Johann Rudolf Schneider aus Meienried – der Vater der Juragewässerkorrektion.
Martin Stotzer, Berührende Aktenfunde aus verblichenen Jahrhunderten, Hornerblätter 2021, Büren a. A. Weitere Information und Bestellung: www.heimatpflege.ch