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Die Quoten unbesetzter Wohnungen in Grenchen und Umgebung sind mit Vorsicht zu geniessen. Der Grund: In den Gemeinden wird unterschiedlich gezählt.
Anfang Jahr ist Pieterlen überregional in die Schlagzeilen geraten. Der Grund: Die Quote der leeren Wohnungen von 10,05 Prozent hatte im Vorjahr die zweifelhafte Ehre, landesweit eine der höchsten zu sein. Eine Zahl, die mit dem Leerwohnungsbestand 2018 in Grenchen von 2,57 Prozent, scharf kontrastierte. Das, obwohl auch in der Uhrenstadt eine Wohnüberbauung nach der anderen aus dem Boden gestampft wird.
Nun zeigen Recherchen dieser Zeitung, dass die beiden Gemeinden bei der Zählung der leerstehenden Wohnungen unterschiedlich vorgehen – aber erst seit dem Jahr 2014. Vorher (ab 2009) bewegte sich die Quote hüben wie drüben der Kantonsgrenze im ähnlichen Bereich, zwischen 1,68 und 2,99 Prozent – mit einem Ausreisser von 4,81 Prozent 2011 zu Beginn des Baubooms in Pieterlen. Der Clou dabei: Mit der Umstellung in Pieterlen auf eine andere Erhebung vervierfachte sich die dortige Quote, von 2,03 Prozent im Jahr 2013 auf 8,68 Prozent im Folgejahr. Von da an wuchs sie im Einklang mit dem rasanten Wohnungsbau (Höchstquote: 2016: 12,47%).
Arch 2009: 2,01 % von 698 Wohnungen (Whg.); 2018: 1,17% von 768 Whg.
Bettlach 2009: 2,48% von 2257 Wohnungen; 2018: 2,9% von 2514 Whg.
Grenchen 2009: 1,94 % von 8915 Wohnungen 2018: 2,53% von 9672 Whg.
Lengnau 2009: 2,07 % von 2268 Wohnungen; 2018: 2,09% von 2635 Whg.
Pieterlen 2009: 2,34 % von 1666 Wohnungen; 2018: 10,05% von 2079 Whg.
Offenbar werden hier Äpfel mit Birnen verglichen. Überraschend ist das nicht, denn die Gemeinden haben bei der Ermittlung ihrer Leerstände weitgehend freie Hand. Das Bundesamt für Statistik macht für diese Hausaufgabe zum jährlichen Stichtag, dem 1. Juni, lediglich eine Reihe von Vorschlägen. So können die Gemeinden die Inserate im Anzeiger sowie auf den einschlägigen Internetplattformen (Immoscout, Homegate usw.) zählen, das Elektrizitätswerk um die Zahl von Stromzählern ohne Abonnenten bitten, die Anzahl der Wohneinheiten mit dem Einwohnerregister abgleichen, mit Immobilienfirmen Rücksprache nehmen und noch einiges mehr.
In Grenchen werden nach Auskunft von Stadtbaumeister Aquil Briggen die Wohnungsinserate im Internet sowie in den Zeitungen gezählt.
Das Problem dabei: «Gleichartige Wohnungen innerhalb einer Überbauung oder eines Mehrfamilienhauses werden oft in einem einzigen Inserat ausgeschrieben.» Das erklärt der Immobilienexperte Urs Leimer von der gleichnamigen Grenchner Firma auf Anfrage und ergänzt: «Die Verlässlichkeit der hiesigen Leerstandszahlen versehe ich darum mit Fragezeichen.»
In Pieterlen werden nach Auskunft von David Löffel von der Präsidialabteilung seit 2014 «alle im Gebäude- und Wohnungsregister erfassten Wohnungen mit der Einwohnerkontrolle abgeglichen. Dabei werden natürlich auch Wohnungen erfasst, die allenfalls gar nicht zur Vermietung stehen (zum Beispiel ein altes Bauernhaus mit zwei Wohnungen, bewohnt durch eine Familie).» Daraus schliesst er: «Somit sind diese Werte eher höher als in der Realität.»
Als Grund für die Umstellung des Systems in Pieterlen von Inseratezählung und Anfragen bei Vermietern zum oben geschilderten softwaretechnischen Verfahren nennt David Löffel folgende Erkenntnis: Die stagnierenden Leerwohnungszahlen nach dem Beginn des Wohnbaubooms 2011 in Pieterlen bildeten die Realität ungenügend ab. Zwar füllten sich die Neubauten erfreulich – Pieterlen hat bei der Einwohnerzahl in den letzten zehn Jahren 25 Prozent zugelegt – doch nun begannen sich die Altbauten zu leeren. Eine Verlagerung, die auch Urs Leimer in Grenchen feststellt. Hier betrug der Bevölkerungszuwachs im gleichen Zeitraum übrigens rund zehn Prozent.
Vergleicht man die Systeme, mit denen die zwei fast Nachbargemeinden ihre Leerwohnungen zählen, drängt sich folgender Schluss auf: Pieterlen setzt die Quote zu hoch an und Grenchen zu tief. Irgendwo dazwischen liegt die Realität. Bezieht man die vielen Baukräne und verschlossenen Läden in den Wohnquartieren in die Überlegung ein, so ist anzunehmen, dass sich die tatsächlich leerstehenden Wohnungen in den letzten fünf Jahren da wie dort ähnlich entwickelt haben.
Die Quote der Leerwohnungen ist für die Gemeinden ein Instrument der Standortattraktivität. Eine tiefe Quote signalisiert Investoren, dass Wohnüberbauungen sich in nützlicher Frist bezahlt machen. Bei einem hohen Wert ist es umgekehrt. Dazu sagt der Gemeindepräsident von Pieterlen, Beat Rüfli: «Ich sehe, welche Herausforderungen das rasante Wachstum auslöst. Dennoch haben wir Interesse, weitere Investoren anzuziehen.» Allerdings: «Fast alle Flächen, die sich für Überbauungen eignen, sind inzwischen überbaut oder aktuell im Bau. Wir haben mit der äusseren Siedlungsgrenze eine Grösse, die wir erhalten wollen.»
Die Grenchner Perspektive formuliert der Stadtpräsident, François Scheidegger, wie folgt: «Grenchen hat traditionell eher hohe Leerstandsquoten, und wir haben besonders beim Wohnungsbau im gehobenen Segment Nachholbedarf. Die stabilen Leerstandsquoten in den letzten Jahren zeigen, dass der Markt in der Lage ist, die neuen Wohnungen aufzunehmen, und das ist erfreulich. Aber natürlich wäre es für alle Beteiligten, Gemeinden wie auch Investoren, besser, wenn die Erhebung nach einheitlichen Kriterien erfolgen würde.»
Wohnungsmarkt Wann funktioniert der Wohnungsmarkt optimal? «Gut ist eine Leerstandsquote von 1,3 Prozent», erklärt Alain Chaney von der Immobilienfirma Wüest Partner Bern auf Anfrage. Damit seien in der Vergangenheit sowohl eine «nötige Grundfluktuation» wie auch Preisstabilität zu beobachten gewesen.
Gemessen daran haben die meisten Gemeinden in der Region Bauboom-bedingt ein Überangebot auf dem Wohnungsmarkt. Doch hier gibt es Überraschungen. Das zeigt die Nachfrage bei den drei Nachbargemeinden von Grenchen: Arch, Bettlach und Lengnau. In den letzten zehn Jahren hatten sie Leerstandsquoten im Bereich zwischen 1,72 und 2,9 Prozent (Bettlach), 1,23 und 3,02 Prozent (Lengnau) und 1,17 und 2,83 Prozent (Arch). Während in Lengnau der Tiefstwert 2010 datiert, vor dem Boom, ist es in Arch, wo der Bauboom im Vergleich zu den übrigen Gemeinden erst ein paar Jahre später einsetzte, ausgerechnet das Jahr 2018.
Da ist es interessant zu erfahren, wie ennet der Aare, in Arch, die Leerstandsquote erhoben wird. Die Antwort von Gemeindeschreiberin Barbara Bösiger per Mail: «Wir zählen die Wohnungen aufgrund der Inserate im Anzeiger, Immoscout und allfälligen eigenen Angaben etc.» Auf die telefonische Nachfrage mag sie sich nicht weiter in die Karten schauen lassen: «Wir füllen via Link das Formular des Bundesamts für Statistik (BFS) aus, und seit wir das elektronisch tun können, sind die Leerstandsquoten auch nicht mehr lokal bei uns abgelegt.»
In Lengnau werden «Bauverwaltung, Rücksprache mit Eigentümern und Immobilienfirmen, Tageszeitungen, comparis» konsultiert, und in Bettlach war es bis zum letzten Jahr die AEK, die der Gemeinde die Zahlen lieferte. Da wäre es spannend zu wissen, wie in Bettlach die Quote heuer ausfällt, mit neuer Erhebungsmethode. Doch die aktuellen Zahlen gibt das BFS erst im September bekannt. Ob die Gemeinden die Zahlen vorher schon kommunizieren, liegt in ihrem Ermessen. In Bettlach will man daraus im Prinzip kein Geheimnis machen, doch wie Gemeindepräsidentin Barbara Leibundgut erklärte, habe man aufgrund der Vakanzen in der Verwaltung kurzfristig keine Kapazität, um sich Leerstandsquoten zu widmen. (dd)