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Lidl hat es auf Autofahrer abgesehen, die ihr Auto auf dem Parkplatz stehen lassen ohne ein Ticket zu kaufen. Jetzt geht die deutsche Handelskette mit «Nachzahlungsforderungen» gegen Parksünder vor. Eine private Sicherheitsfirma verteilt «Bussen».
Er gibt es unumwunden zu: «Ich parkiere öfters mal auf dem Lidl-Parkplatz in Grenchen, bezahle keine Parkgebühr und lasse mein Auto den ganzen Tag dort stehen.» David S.* arbeitet wenige hundert Meter vom Lidl entfernt und macht sich seit längerem die Situation zunutze, dass die seit 2011 in Grenchen ansässige deutsche Handelskette «Parksünder» gewissermassen gewähren lässt. Denn, wer die ordentlichen Parkgebühren nicht bezahlt, dem klemmt Lidl einfach einen Zettel unter den Scheibenwischer, mit der Bitte, man solle doch bezahlen.
Vor einiger Zeit änderte sich die Situation aber. Als David S. nach Arbeitsschluss zu seinem Auto zurückkehrte, entdeckte er etwas, das auf den ersten Blick aussah, wie eine gewöhnliche Ordnungsbusse (40 Franken). Bei genauerem Hinschauen stellte sich aber heraus: Es ist eine Parkgebühr-Nachzahlungsforderung. Ausgestellt wurde diese von der Securitas, mit einem aufgeklebten Zettelchen, auf dem Uhrzeit und Autokennzeichen vermerkt waren. «Einzuzahlen innert zehn Tagen. Zahlbar an die Securitas Inkassostelle in Aarau, nicht an Lidl», erzählt David S. verwundert. Er fragt sich nun, ob er diese Nachzahlungsforderung wirklich begleichen muss. «Grundsätzlich darf ja nur die Polizei Bussen ausstellen», so seine Überlegung. Und: «Darf eine private Sicherheitsfirma solche Umtriebsgebühren verlangen?»
Die Parkplatzbewirtschaftung durch Lidl ist eine Auflage der Gemeinde Grenchen. Massgebend sei der Gestaltungsplan, so der Kommandant der Stadtpolizei Grenchen, Robert Gerber. Er sagt, dass der Gestaltungsplan für das fragliche Gebiet im Jahre 2008 vom Gemeinderat erlassen worden sei. Der Regierungsrat habe diesen genehmigt. «Im Übrigen müssen sowohl Aldi als auch die Landi ihre Parkplätze bewirtschaften.» Das sei aber auch schon mehrere Jahrzehnte bei der Migros so. «Dies auch als Schutz für die Gewerbetreibenden im Stadtzentrum. Dort sind auch alle Parkplätze bewirtschaftet», so Gerber.
Was die Unternehmen mit den Einnahmen aus den Parkgebühren machen, ist derweil ihnen überlassen. Einige erstatten die Gebühr ihren Kunden gegen Vorweisung des Tickets zurück, Lidl zum Beispiel spendet seine gesamten Einnahmen aus den Parkplatzgebühren nach eigenen Angaben der Krebsliga Schweiz.
Gibt es Probleme mit «Parksündern» auf privatem Grund, ist die rechtliche Situation nicht ganz einfach, weshalb diese Zeitung den Solothurner Rechtsanwalt Konrad Jeker um eine allgemeine Beurteilung bat. Zusammengefasst ist die Situation etwa folgende: Privatgrundbesitzer dürfen eine private Überwachungsfirma damit beauftragen, ihr Gelände zu überwachen und zu bewirtschaften. Diese kann dann bei einer Widerhandlung der Nutzungsordnungen eine sogenannte Umtriebsgebühr einfordern, wenn ein gerichtliches Parkverbot gut sichtbar aufgestellt ist. Ein gerichtliches Verbot bewirkt, dass zum privatrechtlichen Schutz des Eigentums zusätzlich ein strafrechtlicher Schutz hinzukommt, der wie beim Hausfriedensbruch durch die staatlichen Organe durchgesetzt wird.
Zurück zum «Fall» von David S. und zum Lidl-Parkplatz: Beim Eingang des Parkplatzes hat die Firma ein Parkverbotsschild aufgestellt, auf dem klar ersichtlich ist, dass die Autoabstellplätze ausschliesslich von Kunden und Mitarbeitern benutzt werden dürfen. Bei Widerhandlung droht eine Busse von bis zu 2000 Franken. Das Parkverbot scheint aber kein gerichtliches zu sein. Doch der Schein trügt, denn wie Stapo-Kommandant Gerber erklärt, hat Lidl nämlich bereits 2011 ein richterliches Verbot erlassen lassen, den Text aber nicht angeschlagen.
Wie der Chef der Grenchner Stadtpolizei weiter sagt, hätten sich von der Securitas «Gebüsste» oder «Begebührte» auch bei ihnen am Schalter gemeldet. Was bedeutet, dass David S. wohl bei weitem nicht der Einzige war, der bis vor einiger Zeit «gratis» auf dem Lidl-Parkplatz parkierte. «Lidl hat anscheinend feststellen müssen, dass Krethi und Plethi die Parkplätze ganztags benützen, selbstverständlich nichts bezahlen und irgendwo in der Stadt einer Arbeit nachgehen», mutmasst Gerber und fügt etwas zynisch an: «Welcher Arbeitnehmer hätte nicht gerne einen Gratisparkplatz im Zentrum der Stadt und erst noch einen gedeckten.» Den «Gebüssten» teile man mit, dass es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit handelt und allfällige Fragen an Lidl zu richten seien, so Gerber.
Diese Zeitung wollte sich den Sachverhalt darum von Lidl erklären lassen. Pressesprecher Nico Frey gab Antwort: «Die Firma Securitas ist von Lidl beauftragt, die Kontrolle der Parkplatzbewirtschaftung in der Filiale Grenchen durchzuführen, das heisst kontrollieren und büssen.» Die Auslagerung an eine Drittfirma sei üblich und mache Sinn, da Securitas unter anderem auf dieses Gebiet spezialisiert sei. Die private Überwachungsfirma werde nach vereinbarten Konditionen entlöhnt. «Die Parkplatzeinnahmen aus den Bussen fliessen Lidl zu», so Frey.
Durch die vielen Fremdparkierer sei Lidl leider gezwungen gewesen, diese Massnahmen zu ergreifen. Das gelte auch für das richterliche Verbot. «Aufgrund unserer Erfahrungen und der deutlichen Signalisierung des Parkverbotes verzichten wir aber aktuell auf das Aushängen des richterlichen Verbots.» Zu den Umtriebsentschädigungen könne man aufgrund des jungen Vorgehens in Grenchen und der fehlenden Erfahrungswerte aktuell noch keine Angaben machen. «Lidl ist bestrebt, all seinen Kunden ein bequemes Einkaufen zu ermöglichen, dazu gehört auch eine ausreichende Anzahl verfügbarer Parkplätze», begründet Frey das Vorgehen.
Fest steht: Lidl hätte bei Verzeigung eines «Parksünders», der die «Nachzahlungsforderung» nicht begleicht, kaum eine Chance vor Gericht. Dies aus dem einfachen Grund, dass die Firma eben gerade das gerichtliche Verbot nicht angeschlagen hat. Diese Feststellung wird gestützt von früheren Entscheiden des Solothurner Obergerichts.
Dieses musste sich nämlich unter kantonalem Recht verschiedentlich damit befassen und hat Folgendes festgehalten: «Der Bürger hat einen Anspruch darauf, zu wissen, dass er allenfalls beim Übertreten eines Verbotes mit einer Sanktion zu rechnen hat.»
Die Bekanntmachung des richterlichen Verbotes habe somit in eindeutiger Form zu geschehen, was bedeute, dass das blosse Aufstellen von symbolisierenden Zeichen, wie sie für das Gebiet des Strassenverkehrs in der SSV vorgesehen sind, für sich allein nicht genügen. Und weiter: «Vielmehr muss aus der Bekanntmachung ersichtlich sein, dass es sich um ein vom Richter erlassenes Verbot handelt.»
*Name von der Redaktion geändert