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Auf einem Ausbildungsflug ab Grenchen mit der Pilotenschule von Swiss.
«Ja, das Wetter lässt heute die Flüge zu.» David Ochsner schaut im Klassenzimmer gespannt auf den grossen interaktiven Bildschirm, auf dem das Radarbild der Niederschläge zu sehen ist. Gleichzeitig ist in vielen Ziffern und Zeichen das Wetter von Grenchen und anderen Schweizer Flugplätzen dargestellt.
Malva Unseld, Rafael Bossart und Johannes Wernz beurteilen ebenfalls die Wetterlage. Die Frau und die zwei Männer sind Pilotenschüler der Fluggesellschaft Swiss, absolvieren die European Flight Academy und sind zurzeit zum zweiten Mal während ihrer Ausbildung in Grenchen stationiert.
Es riecht nach frischer Farbe. Durch breite Fenster sieht man auf das Gelände des Grenchner Flugplatzes, die Wände sind mit hell gestrichenem Holz getäfert. Wir befinden uns im Obergeschoss des neuen Hangars, in dem neben der Rega auch die European Flight Academy, also die Pilotenschule der Swiss, ihre neue Bleibe gefunden hat. In den modernen Klassenräumen sitzen die Schüler hinter ihren Laptops, studieren Karten oder beschäftigen sich mit den Checklisten ihrer Flugzeugtypen. Im Büro der Fluglehrer drehen sich die Gespräche um das Wetter und die Flugaufträge des Tages.
Fluglehrer David Ochsner und Pilotenschüler Rafael Bossart ziehen sich in einen kleinen Raum zurück und besprechen beim Briefing den bevorstehenden Flug. Nachdem am Tag zuvor Grenoble angeflogen wurde, bleibt der heutige Flug in der Nähe. Für Rafael Bossart steht der dritte Instrumentenflug auf der zweimotorigen Diamond Aircraft DA-42 auf dem Programm. Auf ihn wartet ein intensiver Einsatz: Von Grenchen zum Funkfeuer Willisau, von dort ein Instrumentenanflug zum Flughafen Bern-Belp, dann wieder zurück nach Willisau, das ebenfalls der Ausgangspunkt für den Instrumentenanflug nach Grenchen ist. Das sind relativ kurze Wege, in denen alle Prozesse eines Instrumentenflugs zwei Mal durchgespielt werden können.
Beim Gang zum Flugzeug hängen die Wolken der abziehenden Front noch tief über dem Flugplatz. Die drei Flugschüler machen die DA-42 mit der Registrierung HB-LUJ und dem Namen «Grenchen» bereit und ziehen sie aus dem Hangar. «Diese Teamarbeit ist sehr wichtig. Da erkennen wir Fluglehrer, ob die Schüler einsatzfreudig, zuverlässig und hilfsbereit sind. Eigenschaften, die für einen Piloten benötigt werden», hält David Ochsner fest. Unter den beobachtenden Augen seines Fluglehrers programmiert Rafael Bossart den Flug ins System des Autopiloten. Er ist 23 Jahre alt, ist teilweise in Barcelona aufgewachsen und hat das Gymnasium in Bülach besucht. «Schon immer wollte ich Pilot werden», sagt er zu seiner Motivation für diesen Beruf, «quasi vom ersten Tag an.» Seit er die Matura absolviert hat, ist er auf gutem Weg dazu. Bereits hat er die Phasen der Grundausbildung in Grenchen und die dreimonatige Ausbildung in den USA hinter sich (siehe Kasten). Wenn alles weiterhin gut verläuft, sollte er in rund einem Jahr auf dem Copiloten-Sitz eines Verkehrsflugzeuges sitzen.
Die Ausbildung zum Piloten für Swiss oder Edelweiss beginnt mit einem Theorieblock im Schulungsgebäude beim Flughafen Zürich-Kloten. Dem schliessen sich sieben Wochen Flugschulung in Grenchen an, der mit dem ersten Alleinflug auf dem einmotorigen Flugzeug beendet wird. Einem weiteren Theorieblock und ersten Flügen im Simulator nach Instrumentenflugregeln (IR) in Zürich schliessen sich die 15 Wochen in den USA an.
In Vero Beach (Florida) erfolgt nach Grenchen der zweite Teil der Sichtflug-Ausbildung sowie die Basis-Schulung im Instrumentenflug auf ein- und zweimotorigen Flugzeugen. Nachher sind die Flugschüler wieder für fünf Wochen in Grenchen, wo sie auf der zweimotorigen Diamond Aircraft DA-42 die «Europäisierung» im Instrumentenflug erfahren. Diese Phase wird mit der Bazl-Prüfung zum kommerziellen Pilotenausweis mit Instrumentenflug abgeschlossen. Weiter heisst es wieder Schulbankdrücken für die elfwöchige Theorie zum Linienpiloten und die Prüfungen, denen die Phase auf dem Simulator Airbus A320 folgt. Hier wird die Zusammenarbeit im Zweier-Cockpit trainiert, zudem erfolgt die Angewöhnung an die grösseren Geschwindigkeiten.
Abgeschlossen wird die Ausbildung mit einer achtwöchigen Diplomarbeit Höhere Fachschule zum Pilot HF. Dann ist es geschafft: Die neuen Pilotinnen und Piloten erfahren die Streckeneinführung entweder auf dem Airbus A220 (ehemals Bombardier CSeries) oder Airbus A320. (pbg)
Vorerst wartet aber wieder ein Ausbildungsflug. Um 9.58 Uhr drückt Bossart die Leistungshebel der beiden Dieselmotoren auf der Piste 24, also Richtung Westen, nach vorne. Nur Sekunden später hebt sich die Nase des Flugzeugs und nach knapp einer Minute ist es vom Grau der Wolken verschluckt. Im Blindflug wird die Linkskurve Richtung Willisau geflogen. Plötzlich wird es wieder hell und die «Grenchen» surft wie auf Wellen knapp über den Wolken. Ab und zu ist durch ein Wolkenloch die Landschaft zu erblicken. Gerade eben ist das Flugzeug über Dagmersellen. Rafael Bossart dirigiert die Maschine in den Anflug nach Bern-Belp. Der führt zuerst über das Mittelland Richtung Westen; beim Navigationspunkt Birki, das liegt bei Schüpfen, wird anschliessend mit einer Linkskurve auf das Instrumentenladensystem der Piste 14 von Belp eingedreht. Die Kommunikation zwischen Fluglehrer und seinem Schüler läuft ununterbrochen, gleichzeitig muss Bossart auf die Funkgespräche achten.
Während des Anflugs sagt David Ochsner, dass der Autopilot ausgefallen ist, um den Flugschüler einer zusätzlichen Probe zu unterziehen. Bossart reagiert sofort, spricht auswendig die erforderlichen Checkpunkte hinunter und übernimmt manuell das Steuer. Er folgt den Kursangaben der Flugsicherung. Dann wird er am Funk aufgefordert, auf die Frequenz des Towers von Belp zu wechseln. Birki ist erreicht, es folgt das Eindrehen auf die Pistenachse von Bern-Belp. Weit vorne ist das helle Band der Piste zu sehen, davor liegt die Stadt Bern, deren Altstadt kurz vor der Landung überflogen wird. Das Wetter ist ein Mix von allem: Leichter Regen, sonnenbeschienene Flecken und teils tiefhängende Wolkenbänke. Sauber führt Bossart das Flugzeug auf die Piste hinunter. Er hat keine Zeit das Bundeshaus mit seiner glänzenden Kuppel zu bestaunen. Der Flug wird mit einer sanften Landung abgeschlossen, aber es gibt nur einen Touch-and-go: Haben alle drei Räder Bodenkontakt, wird sogleich wieder volle Leistung gegeben. Der Flugplatz rast vorbei, nur Sekundenbruchteile bleiben für einige Eindrücke: Vor dem Tower ein paar Flugzeuge, der Bundesratsjet steht bereit, beim Rega-Hangar ist kein Heli zu sehen. Schon ist die «Grenchen» wieder in der Luft. Es folgt eine leichte Linkskurve, um dem Belpberg auszuweichen.
David Ochsner arbeitet je zur Hälfte bei Swiss als Copilot auf den Langstreckenflugzeugen Airbus A330 und A340 sowie als Fluglehrer bei der European Flight Academy. Der 36-jährige Aviatiker ist in Einsiedeln aufgewachsen und lebt nach wie vor im bekannten Klosterdorf. Bei seinem Einsatz als Fluglehrer ist er unter der Woche oft in Grenchen, wo er in der Regel ein Zimmer im Hotel Airport hat. In der Freizeit macht er gerne Sport. «Als Einsiedler bin ich ja ein Bergler, und da habe ich plötzlich die Grenchenberge für mich entdeckt.» So ist er «auf dem Berg» beim Joggen, Biken oder auf einer kleinen Klettertour unterwegs. «Es ist mir beim Biken zu Hause noch nie passiert, dass ich bei einer Talfahrt eine Pause machen musste, weil die Bremsen zu heiss wurden, aber am Grenchenberg schon», schmunzelt der sympathische Naturbursche, dem man statt Pilot gut auch Förster als Beruf geben würde. David Ochsner schätzt das kulinarische Angebot in und um Grenchen, wo er öfters zusammen mit den Fluglehrerkollegen in diversen Restaurants das Abendessen einnimmt. (pbg)
Ochsner macht seinen Schüler darauf aufmerksam: «Du siehst, wie nahe der Berg ist. Theoretisch könnte er unsichtbar sein, wenn wir in den Wolken fliegen würden.» Quer über das Emmental führt der Flug wieder zurück zum Funkfeuer Willisau. Sobald über dem Luzerner Hinterland der Anflug nach Grenchen beginnt, stellt Fluglehrer Ochsner seinen Schüler erneut auf die Probe. Er simuliert einen Ausfall des GPS, sodass Bossart den Anflug wie früher nur mit den Angaben des elektromagnetischen Funkfeuers steuern muss. Den Gleitweg muss er dabei selber einteilen. Der Anflug erfolgt in den Wolken, vom Oberaargau und Wasseramt ist nichts zu sehen. Im Cockpit wird es spannend, ob das Minimum erreicht wird. Das Flugzeug darf nicht tiefer sinken als 2020 Fuss (Flugplatzhöhe: 1410 Fuss), sonst muss durchgestartet werden. Doch beim Aareinseli ist das Grau vor der Scheibe auf einmal weg, die Grenchner Piste ist gut zu erkennen.
David Ochsner ist zufrieden mit der Leistung seines Schülers, das bekundet er beim Zurückrollen zum Abstellplatz. 52 Minuten höchster Konzentration liegen hinter der Crew. Nach einer Kaffeepause macht der Fluglehrer den gleichen Flug noch mit den beiden anderen Schülern Johannes Wernz und Malva Unseld. Vor Feierabend stehen dann die Debriefings auf dem Programm, bei denen mit jedem Schüler der Flug detailliert analysiert und bewertet wird. Grenchen bietet lange Tage für Lehrer wie Flugschüler.