Rund 70 Prozent weniger Konsultationen

Ein Augenschein in der Gruppenpraxis Grenchen, wo nichts mehr so ist wie vor der Coronavirus-Pandemie.

Oliver Menge
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Raphael Tièche im Isolationszimmer der Gruppenpraxis, wo Patienten auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 getestet werden.

Raphael Tièche im Isolationszimmer der Gruppenpraxis, wo Patienten auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 getestet werden.

Bild: Oliver Menge

In der Gruppenpraxis Grenchen am Marktplatz arbeiten normalerweise fünf Ärztinnen und Ärzte, sechs medizinische Praxisassistentinnen (MPA) und Mitarbeiterinnen in der Adminis­tration sowie drei Lernende. Jeder der Ärzte, die im Teilzeitpensum arbeiten, empfängt im Schnitt 25 Patienten pro Tag.

Seit der Coronakrise allerdings ist nichts mehr wie früher: Nicht nur, dass Praxisgründer Marcel Tièche mit seinen 75 Jahren zur Risikogruppe zählt und konsequent zu Hause bleibt, alle Abläufe innerhalb der Praxis wurden komplett umgestellt, sagt Raphael Tièche, der die Gruppenpraxis leitet. «Statt der 25 Patienten, die normalerweise pro Tag hier zur Konsultation kommen, sind es jetzt noch sechs bis zehn. Die Konsultationen haben bis gegen 70% abgenommen.» Zugenommen haben stattdessen die telefonischen Konsultationen. Diese Gespräche bereitet man laut Tièche konsequent vor, als ob der Patient in die Praxis kommen würde. Per Telefon wird ein, zwei Tage vor dem Termin abgeklärt, ob es akute Probleme gibt oder ob man den Termin um einen, zwei, fünf Monate verschieben kann.

Alle möglichen Kontakte werden minimiert

«Es geht darum, die Anzahl Kontakte zu minimieren. Das Wartezimmer ist so nicht mit Patienten besetzt und die MPAs kommen weniger in Kontakt mit Patientinnen und Patienten.» Patienten, die zur Untersuchung in die Praxis kommen – es gebe schliesslich auch andere Beschwerden als die Infektion mit dem Coronavirus – werden zeitlich so aufgeboten, dass sie nicht warten müssen. Am Empfang sind die MPA durch Plexiglasscheiben geschützt, auch in den Sprechzimmern können Ärztinnen und Ärzte mobile Plexiglasscheiben auf ihre Pulte stellen, wenn sie mit Patienten sprechen.

Telefone laufen heiss – Konsultationen nehmen ab

Auch die Organisation innerhalb der Praxis wurde komplett neu aufgestellt, sagt Tièche: «Wir arbeiten nun in zwei voneinander getrennten Teams, die sich nicht kreuzen. Sollte sich jemand im einen Team infizieren, müsste das ganze Team in Isolation für eine gewisse Zeit, das andere Team könnte in dem Fall weiterarbeiten.» Medikamente werden neu auch nach Hause geliefert. Am Anfang der Coronakrise, als die Weisung des Bundesrates veröffentlicht wurde, man müsse die Risikogruppen schützen, seien die Telefone heissgelaufen mit besorgten Patientinnen und Patienten, die wissen wollten, ob sie nun zur Risikogruppe gehörten oder nicht. «Wir stellten für Personen, die zur Risikogruppe gehören und zu Hause bleiben mussten, viele Arztzeugnisse zuhanden ihrer Arbeitgeber aus. Dann wurde die Weisung abgeändert und die Arbeitgeber mussten dafür sorgen, dass Hygiene- und Abstandsvorschriften eingehalten werden, was wiederum zu einer Flut von Anrufen führte. Der administrative Aufwand war sehr gross.»

Er sei sehr froh über die Kompetenz von Kantonsarzt Prof. Lukas Fenner, der klare Informationen vermittle und Anweisungen gebe, sagt Raphael Tièche. «Ohne ihn würde im kantonalen Gesundheitswesen Chaos herrschen.»

Tièche betont, dass die Hausärzte auch dafür zuständig seien, die isolierten Patienten zu betreuen und sie falls nötig hospitalisieren zu lassen, sollte sich ihr Zustand verschlechtern. Dies geschehe durch regelmässige Kontaktaufnahme übers Telefon. «Die Spitäler haben keine Kapazitäten, sich auch noch um solches zu kümmern.»

Die Zusammenarbeit mit dem Bürgerspital klappe aus­gezeichnet. Man habe dort ein offenes Ohr für die Grenchner Hausärzte und informiere diese auch umfassend. Momentan seien etwa 12 Personen mit ernsthafter Covid-19-Erkrankung hospitalisiert, zwei davon in der Intensivstation. Aber das Spital sei vorbereitet auf die grosse Welle, die noch kommen werde, und habe Bettenkapazitäten freigeschaufelt.

Wie sieht der Arzt die Zukunft? «Wir werden lernen müssen, mit diesem Virus zu leben. Auch wenn die Infektionswelle vorüber ist, werden wir nicht so weitermachen können wie bisher.» Man werde die Hygienemassnahmen und Abstandsregeln beibehalten müssen. Denn im Sommer werde es auf Grund des Klimas zu einer Baisse kommen, aber im Winter kehre das Virus zurück. «Es wird uns noch zwei, drei Jahre beschäftigen, bis eine gescheite Impfung auf den Markt kommt oder die Durchseuchung 60–70% beträgt. Dann können wir damit wie mit einem normalen Grippevirus umgehen und brauchen keine Angst mehr zu haben.»