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«Kein Trinkwasser» heisst es neuerdings bei den Grenchner Waldbrunnen. Dies nach Vorschrift des Kantons - obwohl eine der Quellen sogar für gute Wasserqualität bekannt ist. Diese Forderung soll ein «Beispiel des Bevormundungswahns» sein.
Seit Menschengedenken sprudeln am Berg zahlreiche Wasserquellen, und seit mehr als 100 Jahren betreibt die Bürgergemeinde Grenchen Laufbrunnen, an denen sich Erholungsuchende und Wanderer erfrischen. Aus der Quelle am Dählenbrüggliweg wurde früher auch das Dorfschulhaus mit Wasser versorgt.
Dieser Brunnen machte unlängst positive Schlagzeilen. Im Juli 2014 veröffentlichte die Zeitschrift «Gesundheitstip» einen Qualitätstest von 15 Brunnen aus der ganzen Schweiz. «Sehr gut», lautete das Urteil zur Wasserqualität des bekannten Brunnens mit dem Wasserrad.
Kanton setzt sich durch
Dies hinderte den Kanton allerdings nicht daran, von der Bürgergemeinde Grenchen zu verlangen, alle ihre Laufbrunnen mit der Inschrift «Kein Trinkwasser» zu versehen. Denn diese macht keine regelmässigen Messungen der Wasserqualität ihrer Brunnen.
«Wir sahen bisher keinen Anlass dazu, denn es gab noch nie Probleme, wenn jemand Wasser aus diesem Brunnen getrunken hatte. Und das sind nicht wenige», meint Bürgerpräsident Franz Schilt und nimmt einen kräftigen Schluck aus der Röhre des Dählenbrügglibrunnens.
Ist er ein Hasardeur? Denn seit ein paar Tagen prangt ein Schild am Brunnen: «Quellwasser, aber aus gesetzlichen Vorschriften kein Trinkwasser! Genuss auf eigene Gefahr.».
Die Formulierung lässt erahnen, dass es eine Vorgeschichte gibt. Denn die Bürgergemeinde hat erst nach Gesprächen und einem Briefwechsel mit der kantonalen Lebensmittelkontrolle eingewilligt, die Schilder zu montieren.
«Es ist eine zeitgeistige Erscheinung. Überall Disclaimer, keiner will mehr für irgendetwas Verantwortung übernehmen», meint Schilt. Und so habe man halt auch die Schilder montiert, wonach der, der hier seinen Durst stillt, das auf eigene Gefahr macht.
Denn das sei billiger als regelmässige Wasserkontrollen, die bei den neun Brunnen der Grenchner Bürgergemeinde beträchtliche und jährlich wiederkehrende Ausgaben verursachen würden, wie der Bürgergemeindepräsident sagt.
Ein Inspektor kommt
Auffallend ist, dass die Beamten aus Solothurn erst nach dem positiven Testresultat bzw. der Berichterstattung dieser Zeitung auf die fehlenden «Kein Trinkwasser»-Schilder aufmerksam wurden.
Vorher hatte sich nie jemand für die Brunnen der Grenchner Bürgergemeinde interessiert. Es ist ja auch nie etwas passiert.
Doch es könnte. Denn das Trink- und Badewasserinspektorat hat nach der renitenten Haltung der Grenchner einen Inspektor nach Grenchen geschickt, der die Brunnen der Bürgergemeinde näher unter die Lupe nahm.
Resultat: bei einzelnen Brunnen ist das Schild für empfindliche Mägen durchaus angebracht, denn das Wasser entsprach zum Testzeitpunkt nicht den strengen Vorschriften für Trinkwasserqualität. Sogar im gelobten Dählenbrügglibrunnen hat die Lebensmittelkontrolle vereinzelte Bakterien gefunden.
Wasserqualität schwankt
Wie ist das möglich? «Wir sind in einem Karstgebiet. Die Wasserqualität der Brunnen kann deshalb ziemlich schwanken», meint Revierförster Patrik Mosimann. Am heikelsten sei es nach Regenperioden, meint Mosimann, der jetzt sämtliche Waldbrunnen mit den entsprechenden Schildern markiert.
Für Franz Schilt bleibt es dabei: «Für mich ist das ein Beispiel des staatlichen Reglementierungs- und Bevormundungswahns und das schleichende Zurückdrängen der Eigenverantwortlichkeit von mündigen Bürgerinnen und Bürgern.»
Er werde jedenfalls seinen Durst weiterhin an den Laufbrunnen des Grenchner Waldes löschen – «ganz auf meine eigene Verantwortung», wie er betont.
«Wer in der Öffentlichkeit Trinkwasser abgibt, ist in der Pflicht, dass dieses einwandfrei ist», erklärt Kantonschemiker Martin Kohler auf Anfrage. Er bestätigt, dass man aufgrund der Berichterstattung über die gute Wasserqualität des Grenchner Dählenbrüggli-Brunnens die Bürgergemeinde Grenchen kontaktiert und einen Nachweis über die Wasserqualität der Brunnen verlangt habe.
Andernfalls müssten die Brunnen mit «Kein Trinkwasser» gekennzeichnet werden. Gleichzeitig räumt Kohler ein, dass man die Waldbrunnen im Kanton nicht systematisch kontrolliere, sondern sich aus Ressourcengründen auf die über 100 Wasserversorgungen und Brunnengenossenschaften konzentriere.
Ansonsten werde man bei allfälligen Reklamationen aktiv. Eine Brunnenwasseranalyse koste rund 100 Franken und geschehe am besten nach einer Regenperiode. (at.)