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Früher wurden Ziffernblätter und Zeiger mit radioaktiver Leuchtfarbe bemalt. Bei unsachgemässer Handhabung konnte sich diese in Böden und Wänden festsetzen. In Grenchen werden deshalb drei ehemalige Uhrenateliers auf radioaktive Spuren untersucht.
Nach Veröffentlichung einer Liste mit 85 Standorten von ehemaligen Uhrenateliers im Jura und entlang des Jurasüdfusses durch die «SonntagsZeitung» am letzten Wochenende wurde man aktiv: Bereits am Dienstag gaben Vertreter des Bundesamtes für Gesundheit BAG und der Suva an einer Medienkonferenz in Biel Auskunft über die weiteren Massnahmen im Zusammenhang mit den Kleinbetrieben und Ateliers, die in den 40er-, 50er- und 60er- Jahren Zifferblätter und Zeiger mit Leuchtfarbe bemalten.
Diese Leuchtfarbe bestand hauptsächlich aus radioaktivem Radiumpulver, das sich bei unsachgemässer Handhabung in Böden und Wänden festsetzen konnte. In Biel waren laut besagter Liste 29 Ateliers betroffen, acht wurden bereits kontrolliert.
Die Frage stellt sich unweigerlich, ob nicht auch die grösste Arbeitgeberin der Stadt, die ETA, über solche «Altlasten» verfügt. «Auf gar keinen Fall», sagte Hanspeter Rentsch, Leiter des Rechtsdienstes der ETA, auf Anfrage. Der Grund sei einfach: Bis zur Erfindung der Swatch hat die ETA lediglich Uhrwerke hergestellt und keine kompletten Uhren. Ziffern und Zeiger sind bei einigen Swatch-Modellen zwar auch mit lumineszierenden Farben behandelt, allerdings wurden dafür nie radioaktive Stoffe wie Radium oder Tritium verwendet. Offen bleibt natürlich, ob Vorgängerfirmen oder Uhrenfirmen, die früher einmal existiert haben und eingegangen sind, vor 1963 solche Ateliers betrieben haben. Der Umgang mit Radium war bis dahin weder geregelt noch bewilligungspflichtig, eine genaue Dokumentation fehlt heute. Erst ab 1963, als die erste Strahlenschutzverordnung und die entsprechenden Gesetze eingeführt wurden, mussten Betriebe eine Bewilligung für Arbeiten mit Radium einholen. Die Dunkelziffer könnte hoch sein. Michel Hammans geht davon aus, dass die Liste noch um einiges länger als die bisher bekannten 60 Standorte werden könnte, und ruft die Bevölkerung dazu auf, Hinweise auf weitere Ateliers, in denen eventuell mit Radium gearbeitet wurde, den Behörden zu melden. (om)
str@bag.admin.ch
Die Uhrenstadt Grenchen figuriert mit drei Standorten auf besagter Liste: Am Blumenrain 8 war bis 1949 ein Uhrenatelier beheimatet, das drei Mitarbeiter beschäftigte, an der Allerheiligenstrasse 71 waren bis 1961 sechs Personen in einem solchen Atelier tätig und an der Alpenstrasse 47 warens bis 1949 deren drei.
Laut Auskunft von Silvan Granig von der Stadtverwaltung sind diese Standorte bereits im kantonalen Altlastenkataster erfasst und bekannt. Und einzig das ehemalige Atelier am Blumenrain 8, in dem sich jetzt ein Gewerbebetrieb und Wohnungen befinden, wurde im erwähnten Altlastenkataster als belastet eingestuft. Die zwei anderen Standorte wurden von den kantonalen Amtsstellen als nicht belastet bezeichnet, laut Suva wurde die Alpenstrasse 47 bereits saniert.
Wie Martin Brehmer, Fachstellenleiter Altlastenkataster beim Kanton auf Anfrage erklärt, unterscheide man bei belasteten Standorten grundsätzlich zwischen «gefährlich» und «harmlos», also hoch belasteten Standorten, bei denen man weitere Untersuchungen durchführen müsse und wenig belasteten Standorten, die als nicht untersuchungswürdig eingestuft würden.
Diese Beurteilung nehme man aufgrund der Art der Tätigkeiten und des Zeitraums vor, in welcher ein Betrieb dort tätig gewesen sei. Dabei spiele die Branche, der so ein Betrieb angehöre, eine massgebende Rolle.
Der Standort Blumenrain 8 gehöre zur zweiten, harmlosen Sorte und wurde im Altlastenkataster als «belastet, nicht untersuchungsbedürftig» eingestuft. Konkret heisst das aber auch: Messungen oder Untersuchungen wurden dort nie vorgenommen. Insbesondere das Thema Radioaktivität sei nie spezifisch behandelt oder untersucht worden, weil das im Grunde Sache des Bundes sei und dieser in jedem Fall die Federführung in diesem Bereich übernimmt, so Brehmer.
Gesundheitsgefährdung ist minim
Wie Roland Charrière, Vizedirektor des BAG und Michel Hammans, Teamchef Strahlenschutz bei der Suva an der Medienkonferenz in Biel erklärten, ist nicht mit einer akuten Gefährdung der Gesundheit für die Menschen zu rechnen, die jetzt in den ehemaligen Ateliers leben oder arbeiten. Denn der allergrösste Teil des damals verwendeten Radiumpulvers sei schon längst weggeputzt worden.
Obwohl die Halbwertszeit von Radium rund 1600 Jahre beträgt, Rückstände aus der besagten Zeit also noch genaugleich strahlen wie damals, erachten die Fachleute die Gefahr als äusserst gering - dies aufgrund der Erfahrungen, die man an anderen Orten bei Messungen gemacht hat.
Laut Hammans beträgt die zusätzliche Strahlenbelastung heutzutage in einem ehemaligen Atelier etwa 1 Millisievert pro Jahr. Die Belastung durch natürliche, radioaktive Strahlung beispielsweise sei höher. Das heisse aber nicht, dass man die Sache verharmlosen wolle, so Hammans.
Aber die in den nächsten Monaten geplanten systematischen Messungen an den bekannten Standorten sollen in erster Linie die Bewohner beruhigen. Nur in Einzelfällen, wie das Beispiel einer Firma im Jura zeigte, mussten aufwendige und kostenintensive Sanierungsarbeiten vorgenommen werden.
Keine Gefahr gehe in der Regel auch von radioaktiven Rückständen aus, die in Deponien entsorgt worden seien, wie in der Deponie im Brüggmoos bei Biel, in der man beim Aushub für die Umfahrungsautobahn Radiumrückstände entdeckt hatte.
Solange solche Rückstände von einer etwas dickeren Erdschicht bedeckt seien, bestehe absolut keine Gefahr, erklärte Hammans. Erst wenn sie bei Aushubarbeiten zutage gefördert würden, könne die Strahlung für eine Gefährdung der Gesundheit sorgen. Inzwischen sei aber auch die Regel, dass bei Aus- und Einfahrten zu Deponien oder Altmetallverarbeitern Messgeräte installiert würden, die im Fall von radioaktiver Strahlung in einer Ladung Alarm auslösen.
Stadt erhielt Post vom BAG
Laut Silvan Granig hat die Stadt Grenchen gestern bereits einen Brief erhalten, in welchem das BAG der Stadt vorschlägt, die betroffenen Personen direkt zu kontaktieren und zu informieren. Man könne im Hinblick auf eine eventuelle gesundheitliche Gefährdung beruhigt sein.
Das Expositionsrisiko in solchen Liegenschaften betrage in der Regel etwa einen Viertel der Dosis an natürlicher Umweltradioaktivität pro Jahr. Aber man sei sich bewusst, dass betroffene Bewohner oder Eigentümer mit der blossen Information, ihre Liegenschaften seien auf einer öffentlichen Liste mit potenziell kontaminierten Gebäuden zu finden, nicht zufrieden sein können. Das Bundesamt werde daher in Zusammenarbeit mit den Gemeindebehörden ein Radiummessprogramm organisieren, im September/Oktober sollten in Grenchen die Messungen vorgenommen werden.
Die Stadtverwaltung werde sich in jeglicher Hinsicht zur Verfügung stellen, um die nötigen Informationen zu liefern, so Granig. Es sei gut, dass der Stein ins Rollen gekommen sei. Man werde sich auch bemühen, die Bevölkerung stets offen und transparent zu informieren.